»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland. Werner Rosenzweig
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Norberts Gedanken glitten in die Gegenwart zurück. Vor fünf Minuten hatte ihn Doris Kunstmann angerufen. Er hatte sich am Telefon gewunden wie ein Aal, aber sie bestand darauf, dass er ihre Fragen beantwortete. Er war eben kein guter Lügner.
10
Adem Gökhan war vor drei Jahren aus seiner Heimatstadt Ankara an das Türkische Generalkonsulat in der Regensburger Straße in Nürnberg versetzt worden. Von Anbeginn fühlte er sich in der fränkischen Metropole pudelwohl. Mit seiner Frau Ipek und seiner Tochter Akasya bewohnte er seitdem einen kleinen Bungalow im südöstlichen Stadtteil Nürnberg-Fischbach. Wenn da nicht dieser unglückselige Unfall gleich zu Beginn seines Amtsantritts gewesen wäre, ginge es ihm heute noch deutlich besser. Von Zeit zu Zeit erinnerte er sich an das tragische Ereignis von damals. Es war am 17. März 2010. An diesem Tag war er mit seinem Pkw dienstlich zur türkischen Botschaft in Berlin unterwegs, um sich persönlich beim Botschafter seines Landes vorzustellen. Er war fast am Ziel angelangt, als auf der Tiergartenstraße in Höhe Clara-Wieck-Straße ein Junge quer über die Fahrbahn lief. Der Kleine ignorierte den schnell dahinfließenden Verkehr. Er war plötzlich da, ein huschender Schatten. Adem hatte nicht die geringste Chance zu reagieren. Ein wuchtiger Schlag gegen das Fahrzeug, dann wirbelte ein kleiner Körper durch die Luft, flog über das Dach seines silbergrauen Volvos hinweg und schlug hart auf dem Straßenasphalt hinter ihm auf. Auch der nachfolgende Fahrer des grünen Ford Escort hatte keine Chance mehr, rechtzeitig zu bremsen. Er überrollte den reglosen Körper, der bereits aus Nase und Ohren blutete. Der zehnjährige Muhammed Abusharekh, Sohn von Ali Abusharekh, war sofort tot. Die Gerichtsverhandlung im Frühjahr dieses Jahres ging wie erwartet gut für Adem Gökhan aus. Der Richter sah keinerlei Verschulden, welches dem Unglücksfahrer hätte angelastet werden können, und sprach den Mitarbeiter des Türkischen Generalkonsulats von jeglicher Schuld frei. Die palästinensische Großfamilie Abusharekh aus Berlin-Neukölln sah die Schuldfrage allerdings völlig anders als der deutsche Richter: Der Sohn der Abusharekhs sei getötet, der Täter aber nicht bestraft worden. Der Vorfall müsse nach den Bestimmungen der Scharia geregelt werden, forderten sie.
Als Adem Gökhan sich Anfang 2013 erneut auf den Weg nach Berlin machte, um, wie er hoffte, mit den Abusharekhs in einem Versöhnungstreffen zu erreichen, dass man sich nach alter arabischer Tradition die Hände reichen und Tee trinken würde, stellte er schnell fest, dass er sich gewaltig geirrt hatte. Als er die Wohnung der Familie Abusharekh betrat, wusste er, dass die Familie des Unfallopfers keine Friedenspfeife rauchen wollte. Fünfunddreißig Familienmitglieder und der Imam einer Neuköllner Moschee empfingen ihn. Der Geistliche rezitierte aus dem Koran und empfahl erneut, dass der Fall nach der Scharia geregelt werden sollte. Adem protestierte. »Ich akzeptiere die Scharia nicht«, stieß er wütend aus. »Wir leben in Deutschland und unterliegen der deutschen Rechtsprechung. Ich bin von einem ordentlichen deutschen Gericht freigesprochen worden. Mich trifft keine Schuld an dem unglücklichen Unfall.« Seine Argumente beeindruckten den Imam jedoch in keinster Weise. Er forderte Schadenersatz für die leidvoll geplagte Familie. Die Abushareks hörten die Worte des Imam und nickten mit versteinerten Mienen. Adem Gökhan solle den Gegenwert von achtzig Kamelen entrichten, dann wäre die Angelegenheit erledigt. Der Imam errechnete einen Betrag von 44.000 Euro. Nach heftigen Verhandlungen blieb immer noch ein Betrag von 30.000 Euro übrig, aber auch den lehnte Adem Gökhan aus Prinzip ab. »Wir wollen dich nicht bedrohen, aber wenn du auf der Straße bist, können wir für dein Leben nicht garantieren«, erklärte ihm Ali Abusharekh mit hasserfüllten Augen. Adem Gökhan wandte sich sowohl an die Berliner, als auch an die Nürnberger Polizei. »Die Abusharekhs gehen geschickt vor, sie haben keine direkte Bedrohung ausgesprochen«, erklärte ihm Lorenz Illgen, Leiter des Dezernats Organisierte Kriminalität beim Berliner Landeskriminalamt. »Obwohl wir wissen, dass Teile der Familie sich in der Vergangenheit durch Eigentums- und Gewaltdelikte hervorgetan haben, können wir aktiv nichts gegen sie unternehmen. Wir sind quasi zur Zuschauerrolle verdammt.«
11
Die Röttenbacher Kirchweih gehörte bereits der Vergangenheit an, und der September neigte sich seinem Ende zu. Die Tage waren merklich kühler geworden, und in den frühen Morgenstunden hingen die ersten herbstlichen Morgennebel über den feuchten Wiesen und den zahlreichen Karpfenweihern. Auch die milde Sonne war zwischenzeitlich immer öfter von tief segelnden Wolken verdeckt und trug einen nahezu aussichtslosen Kampf aus, um die Nebelschwaden bis zur Mittagszeit aufzulösen. Die Röttenbacher Störche hatten ihr Nest auf dem Brauhaus der Brauerei Sauer vor Kurzem verlassen und sich auf ihren weiten Weg in Richtung Süden begeben. CDU/CSU hatten die Bundestagswahlen mit deutlichem Abstand gewonnen, und die SPD und die Grünen leckten ihre Wunden. Die Freien Demokraten waren in ein Loch der Bedeutungslosigkeit abgestürzt.
Das alles hatte für Bernd Auerbach keine wirkliche Bedeutung. Keine der genannten politischen Parteien vertrat seine Interessen. Er und seine Lebenspartnerin hatten sich in Röttenbach zwischenzeitlich einigermaßen zurechtgefunden. Einigermaßen, denn mit den Franken hatten die beiden noch so ihre Probleme. Nicht mit den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die waren im Grundsatz kein Thema, denn die einheimischen Aborigines sind von Grund auf gutmütige Menschen. Sie hatten ja nicht die geringste Ahnung, warum die beiden Sachsen ins Fränkische gezogen waren und was sie vorhatten. Der mittelfränkische Dialekt war es, der den beiden Neubürgern aus Sachsen noch Schwierigkeiten bereitete. Der Ausspruch »Tut euch na net o, des wird schon noch wern« klang für die zwei Ostdeutschen wie Jodeln auf Fränkisch. Auf ihre Frage, wie sie denn zur nächsten Gaststätte gelangen könnten, erhielten sie zur Antwort: »Da gehst die Straß gar nauf, auf die ander Seitn nieber, a Stückerla grad aus – net weit – dann bist scho da.« Dennoch, die Franken waren okay, nette Leute, aber auch unheimlich neugierig. »Gell, ihr seid net vo da? Wo kommen wir denn her?« Mit dem »wir« konnten die beiden Sachsen schon rein gar nichts anfangen. »Was macht ihr denn bei uns, in Franken?« Immer wieder wurden sie während der einheimischen Kirchweih im Festzelt mit solchen Fragen konfrontiert. »So, aus Saxn seid ihr! Gibts dort a Karpfn und Schäuferle? Net? Was esstn dann ihr?« Ständig sprachen die Einheimischen über Karpfen, das Aischgründer Karpfenland oder der Einfachheit halber einfach nur von ihrem Karpfenland. Bernd Auerbach hatte keine Ahnung und konnte nicht mitreden, bis er bei der NORMA einen der Ur-Röttenbacher traf, den Sieberts Schorsch, der ihn ansprach. »Wohnst du a in Röttenbach? Dich habbi hier bei uns goar nunni gsehn«, wollte der