Mala Sombra - Böser Schatten. José R. Brunó
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»Gibt es einen besonderen Grund, warum du mir die Unterlagen bringst, Laura?«
»Sei mir bitte nicht böse, Juan Carlos, aber ich möchte die Unterlagen in diesem Fall persönlich übergeben.«
Contento schaute Laura eine Weile nachdenklich an. »Der Ermittler ist Medina, oder?«
Laura nickte mit dem Kopf. »Ich möchte niemanden verdächtigen, aber …«
»Schon gut, Laura, ich werde den Fall genau beobachten. Mach dir keine Gedanken.«
In den nächsten Tagen ging alles sehr schnell. Der Politiker wurde festgenommen.
Adolfo Casillas wurde letztendlich des Mordes an seine Ehefrau angeklagt. Der Politiker blieb bis zum Beginn des Prozesses, immerhin sollte das vier Jahre dauern, auf freiem Fuß. Casillas wurde zu dreißig Jahren Haft verurteilt. Warum er bereits nach drei Jahren wieder ein freier Mann war, wurde nie bekannt.
*
Es war Juli 1985, einer der heißesten Monate des Jahres. Die Temperaturen stiegen auf unerträgliche vierzig Grad. Barcelona war völlig verwaist. Die Menschen machten Urlaub am Meer, und wer trotzdem noch in der Stadt verblieben war, suchte sich, zumindest bis in die frühen Abendstunden, einen kühlen Platz.
In diesen Tagen überschlugen sich die Ereignisse. Lauras Lebensgefährte, der Ermittler José Cardona vom Departamento I der Mordkommission, hatte gerade einen Serienmörder zur Strecke gebracht. Eine Sensation für das Land. So etwas hatte es noch nie gegeben. Zumindest konnte sich niemand an einen vergleichbaren Fall erinnern. Was selbstverständlich daran lag, dass es in der vierzigjährigen Franco-Diktatur, so etwas nicht gab und nicht geben durfte. Sicherlich hatte es auch in jener Zeit Fälle dieser Art gegeben, aber sie kamen nicht an die Öffentlichkeit.
Für die Presse, die seit einigen Jahren ihre Freiheit erlangt hatte, war das ein gefundenes Fressen. Viele Boulevardblätter, die es vorher nie gegeben hatte, waren in den letzen Jahren erschienen, ein Journalismus, den man bisher nur aus Amerika, Frankreich oder England kannte.
Lauras Lebensgefährte war über Nacht zu einer Art »Star« geworden. Fotografen und Schreiberlinge tauchten überall auf, um mit ihm Fotos oder Interviews zumachen. Es sollte eine schreckliche Zeit werden, in der auch seine Lebensgefährtin Laura nicht zur Ruhe kam. Ihr Bild war plötzlich auch überall in der Regenbogenpresse zu sehen. Sie konnte sich nirgendwo mehr sehen lassen, überall wurde sie angesprochen.
Laura und José hatten sich kurzerhand entschlossen, einige Tage aus Barcelona zu verschwinden. Die beiden verbrachten ihren Urlaub immer im Baskenland, in der Nähe von San Sebastian. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. An der Biskaya war es merklich kühler und sie konnten sich für einige Tage dem Presserummel entziehen. In der Grenzstadt zu Frankreich, in Irun, hatten Laura und José viele Freunde, mit denen sie sich auch ab und zu telefonisch austauschten.
In diesen Tagen war es besonders gefährlich im Baskenland. Die Gewalt zwischen den baskischen Separatisten ETA und ihren Todfeinden, der Guardia Civil hatte wieder enorm zugenommen. Die Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten, war riesengroß. Die Verkehrspolizei, die Guardia Civil, traute sich kaum noch, Verkehrskontrollen durchzuführen. Die Separatisten hatten bereits mehrere Polizisten bei ihrer Arbeit erschossen.
Am Abend waren die beiden mit Freunden im Parador de Hondarrabia verabredet, einem alten historischen Gebäude, das in den 1930er Jahren zu einem Hotel – Restaurant umgebaut wurde. Das kleine Örtchen Hondarrabia, direkt an der Grenze zu Frankreich gelegen, war die Hochburg der ETA. Von hier aus konnten die Separatisten ohne Probleme im benachbarten Frankreich untertauchen.
Zum Abendessen waren einige Freunde mit ihren Frauen gekommen, die ihre Freunde aus Barcelona willkommen heißen wollten.
Unter ihnen befand sich auch der Journalist Iñaki Etxebarria mit seiner Lebensgefährtin Maria. Laura und José kannten die Beiden seit einigen Jahren und hatten mit ihnen viele fröhliche Stunden verbracht. Iñaki war zugleich Kommunalpolitiker der baskischen Linkspartei Herri Batasuna und freier Journalist einer französischen Zeitschrift.
Zunächst genossen alle die baskisch–französische Küche. Immerhin waren in dieser Region die meisten Sterneköche der iberischen Halbinsel beheimatet.
Zu vorgeschrittener Stunde, der Wein zeigte bereits seine Wirkung, wurden die Diskussionen etwas lauter.
Laura hatte das Gefühl, dass Iñaki etwas loswerden wollte. Der kleine Kommunalpolitiker hatte schon zwei Mal den Versuch gemacht, das Gespräch mit der Forensikerin zu finden.
»Sag mal, Laura«, begann er, »was ist mit euren Mordfällen an den »Malas Sombras«, wie weit seid ihr?«
»Keine Ahnung, Iñaki, da musst du José fragen. Ich bin nicht der Ermittler dieser Fälle.«
Iñaki schaute nachdenklich. »Du bist doch im Thema, Laura, oder?«
Sie lächelte. »Natürlich, ich habe die Spuren beim ersten Opfer gesichert. Aber woher weißt du überhaupt von diesen Fällen?«
»Ich bin Journalist, Laura, schon vergessen?«
»Zunächst kann ich dir sagen, dass die Fälle bereits vier Jahre zurückliegen und längst zu den Akten gelegt wurden. Oder weißt du noch etwas, was wir nicht wissen?«
Iñaki schüttelte mit dem Kopf. »Wenn du glaubst, das hätte was mit der ETA zu tun gehabt, seid ihr auf dem Holzweg. Die hätten sich seinerzeit dazu bekannt. Der Typ hat ein anderes Motiv und ehrlich gesagt, es gibt noch Millionen Gründe, die alten Säcke ins Jenseits zu befördern.«
»Aber nach so vielen Jahren? Ich dachte, dass die Geschichte längst vorbei ist.«
Laura hatte keine Lust, am heutigen Abend über ihre Arbeit zu diskutieren und ließ Iñaki mit seinen Fragen allein.
Inzwischen hatten sich die Anwesenden wieder den Freuden des Lebens zugewandt, der Lieblingsbeschäftigung der Spanier – ausgiebig essen und trinken und das konnte viele Stunden dauern.
Die Basken waren ein Volk, das mit den typischen Spaniern nicht viel gemein hatte. Sie hatten ihre eigene Sprache, die niemand verstand, der nicht im Baskenland geboren war. Wenn es allerdings um die Freuden des Lebens ging, unterschieden sie sich keinesfalls von ihren spanischen Landsleuten.
DAS DRITTE OPFER
Der Alltag war wieder eingekehrt. Laura und José waren nach Barcelona zurückgekommen, als am Montag, dem dreiundzwanzigsten September in der Rechtsmedizin um neun Uhr das Telefon schellte. Nichts Außergewöhnliches, aber dieser Tag sollte es in sich haben.
In Grácia, einem Stadtteil Barcelonas, in der Avenida del Litoral, war ein Verbrechen gemeldet worden.
Laura packte rasch ihre Sachen zusammen, informierte den Gerichtsmediziner und machte sich mit zwei weiteren Kollegen auf den Weg.
Als die Spurensicherung dort ankam, war bereits der Ermittler Raúl Alonso vor Ort. Raúl war ein langer schlaksiger Katalane aus Girona, der aus der Abteilung Departamento I kam, der Mordkommission, in der der Lebensgefährte von Laura der Leiter war.
Raúl Alonso war der Stellvertreter und enger Vertrauter von José Cardona.
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