Delikatessen für die Sinne (Band 2). Jutta Dethlefsen

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Delikatessen für die Sinne (Band 2) - Jutta Dethlefsen

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Speichel troff unkontrolliert aus seinem Mund.

      Als er verängstigt mit der Hand auf Mira zeigte, versuchte er krampfhaft und stotternd einen Namen zu rufen der wie Henene klang.

      Mira erinnerte sich an ihn. Wusste um seine Behinderung und dass er in Zusammenhang mit dem Krieg von ihrem Vater im Bootshaus versteckt wurde. Es hatte Streit mit der Mutter gegeben. Die Ursache für den Streit war, dass der Vater sich mit dem Verstecken damals in Gefahr begeben hatte. Mira hatte den Zusammenhang nicht verstanden. Wie alt mochte der Behinderte jetzt sein und wollte er ihr etwas sagen? Sie beachtete ihn nicht, ging ins Haus, um nach dem Schlüssel für das Bootshaus zu suchen.

      Schränke und Kartons wurden erfolglos geöffnet. Gerüche schlugen ihr entgegen, riefen Erinnerungen wach. Mutters Kleiderschrank war und blieb seit ihrem Tod verschlossen. Vater behauptete, den Schlüssel im See versenkt zu haben. Später hätte sie sich Mutters Sachen gerne angeschaut, aber sie traute sich nicht, mit ihrem Vater darüber zu sprechen. Alles, was mit Mutter zusammenhing, waren Tabuthemen.

      Es dunkelte. Mira betätigte den Lichtschalter neben Mutters Schrank. Die Glühbirne flackerte und erlosch.

      »So ein Mist, auch das noch. Ich suche mir jetzt einen Gasthof. Hier will ich nicht schlafen. Morgen ist auch noch ein Tag.« Sie wandte sich zum Gehen.

      Als sie einen letzten Blick auf Mutters Schrank warf, überkam sie eine Unruhe, die es nicht zuließ, zu gehen. Nein, heute noch musste sie diesen Schrank öffnen. Vielleicht verbarg er mehr als Mutters Bekleidung.

      Sie ging in die Küche, holte ein Messer und machte sich an dem Schloss zu schaffen. Erfolglos. Mira fluchte. Nun versuchte sie, den Schrank ein wenig vorzuziehen. Vielleicht ließ sich die Rückwand lösen? Als sie die Finger hinter den Schrank schob, spürte sie einen Metallgegenstand, der an einem Nagel befestigt war und nun zu Boden fiel.

      Mira knipste die Flurlampe an, um den Schein für den Schrank zu nutzen. Sie tastete auf dem Fußboden unter dem Schrank nach dem Gegenstand. Da war er! Ein Schlüssel! Der Schrankschlüssel? Es war bestimmt der Schrankschlüssel!

      Miras Herz klopfte zum Zerspringen. Sie nahm aus ihrer Handtasche ein Feuerzeug, beleuchtete die Schranktür und versuchte den Schlüssel im Schloss zu drehen. Er passte, die Schranktür sprang knarrend auf. Modriger Geruch schlug ihr entgegen. Im Schein des Feuerzeugs erkannte sie Kleider und Schuhe. Sie sah an der Innenseite der Tür einen weiteren angebrachten Schlüssel und wusste in dem Moment, in welches Schloss er passte.

      Sie lief mit dem Schlüssel durch das taunasse Gras, blieb wieder im Gestrüpp hängen, zerrte an dem Kleid, bis der Stoff nochmals zerriss.

      Es hatte aufgefrischt. Sie hörte die Wellen gurgelnd gegen das Ufer schlagen. Inzwischen gab es kein Tageslicht mehr. Es raschelte im Gestrüpp. In der Dunkelheit hatte die Umgebung alles Vertraute verloren.

      Der Schlüssel passte zum Bootshaus. Sie stand in der geöffneten Tür, suchte im Schein des Feuerzeugs erfolgreich nach dem Lichtschalter. Ein Tier huschte zu ihren Füßen in Richtung Garten. Über ihrem Kopf verließen Fledermäuse eilig den breiten Dachüberstand.

      Mit den Händen zerriss sie dicke Spinnweben. Sie verfingen sich in ihren Haaren.

      Ein Gartentisch, Stühle, eine Truhe und ein Gartengrill waren mit toten Fliegen bedeckt. Das kleine Ruderboot aus ihrer Kindheit hatte jegliche Farbe eingebüßt.

      Vor der Truhe zögerte sie einen Moment herzklopfend. Der Deckel ließ sich mühelos öffnen.

      Sie starrte auf einen verschnürten Stiefelkarton, ahnte, dass der Inhalt ihre Fragen beantworten würde.

      Sie nahm den Karton heraus, pustete die Fliegen vom Tisch, bevor sie ihn dort abstellte.

      Auf dem Deckel stand in der Handschrift ihres Vaters: Für Mira.

      Mit dem Feuerzeug durchtrennte sie das Band. Dann entfernte sie entschlossen den Deckel. Ein Briefkuvert bedeckte den Inhalt.

      Adressiert war der Brief an Miras Vater, abgestempelt in Kalifornien.

      Mit zitternden Händen entfaltete sie die Bögen und las:

      »Lieber Rainer!

      Endlich habe ich die Kraft und den Mut, dir zu schreiben. Wie du siehst, bin ich nach Amerika ausgewandert. Ich habe bei einer alten Dame eine Anstellung im Haushalt gefunden. Meine Sprachkenntnisse sind inzwischen recht gut, ich komme zurecht.

      Ich möchte dich um Verzeihung bitten für mein heimliches Verschwinden. Geplant war es schon lange vorher. Wie hast du Mira mein Fortgehen erklärt? Immer wieder sehe ich ihr Gesicht und ihren traurigen Blick vor mir. »Lieber Rainer«, die Anrede fällt mir noch heute nicht schwer, ich habe dich sehr geliebt, aber Helenes Schatten stand zwischen uns. Du liebtest nur sie, öffnetest dich für niemanden mehr.

      Die Lüge, mit der Mira leben muss, lastet schwer auf meinem Herzen.

      Nachts in unserer Umarmung hast du häufig Helenes Namen geflüstert. Weißt du, wie schmerzhaft das war? Du hast dich umgedreht, als wenn du dich dafür schämtest, mit mir geschlafen zu haben. Ich habe die Tränen deiner Enttäuschung gesehen. Wenn du eingeschlafen warst, dann habe ich geweint, und immer wieder gehofft, dass die Zeit etwas ändern würde. Wie habe ich Helene um dich beneidet! War ich doch so sehr in dich verliebt, lange bevor sie deinem Werben nachgab. Sie konnte jeden haben, warum wollte sie dich auch noch in ihrer Sammlung? Rainer, glaube mir, sie liebte dich nicht wirklich, dazu war sie viel zu eitel.

      Ich spürte häufig deinen Hass, weil ich nun Helenes Platz eingenommen hatte. Aber eure Mira war doch noch so klein, sie brauchte eine Mutter. Dafür war ich dir recht, für mehr reichte es nicht. Ich glaube, selbst auf Mira warst du zornig, machtest sie verantwortlich für Helenes Tod. Aber Mira trifft keine Schuld.

      Irgendwann hatte ich keine Kraft mehr, um deine Liebe zu kämpfen. Nur das Kind ließ mich noch eine Weile zögern. Ich konnte mich auch nicht mehr mit dir auseinandersetzen. So habe ich diesen Weg gewählt in der Erkenntnis: Liebe kann man nicht erzwingen.

      Helene war meine Schwester und ich habe sie mit ihren Fehlern geliebt. Aber glaube mir, sie hätte dich ohnehin verlassen. Sie wollte auch keine Kinder, hatte sie mir gestanden. Fürchtete um ihre Figur. Und als sie mit Mira schwanger ging, sagte sie mir einmal, dass ihr das niemals wieder passieren würde.

      Ich habe ihren Tod nicht gewollt, er kam mir nicht gelegen, wie du im Streit mit mir einmal behauptet hast.

      Ich war sofort für Mira und dich da. Habe den Haushalt aufgelöst, bin mit euch auf das Land in das kleine Haus am See gezogen. Ich habe dich in aller Stille geheiratet und mit dir eine neue Geburtsurkunde für die Kleine angefordert, auf der ich als Mutter eingetragen wurde. Das war in den ersten Nachkriegsjahren nicht schwer. Es waren so viele Papiere verloren gegangen. Aber es war eine Lüge und sie wiegt schwer auf meinem Gewissen.

      Mira konnte nicht weiterlesen, starrte auf die Zeilen, ohne etwas zu erkennen. Die Buchstaben sprangen sie an wie Raubtiere.

      Da stand es: Die Frau, die sie für ihre Mutter gehalten hatte, war nicht ihre Mutter!

      Es dauerte zwei, drei Minuten, bis sie weiterlesen konnte.

      »Lieber Rainer, höre endlich auf, dir die Schuld zu geben an Helenes Tod. Du hättest ihn nicht verhindern können. Niemand ist verantwortlich für das Geschehene. Helene wurde doch nie gefunden, und auch kein Abschiedsbrief, der eine Schuldzuweisung beinhaltete, nur ihre

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