Delikatessen für die Sinne (Band 2). Jutta Dethlefsen
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Siebzig DM erhielt ich für jedes Foto, das angenommen wurde. Ich war fotogen und selbstbewusst und glaubte, die Welt würde zu meinen Füßen liegen. Aber meiner Schwiegermutter gelang es mit nur einem arroganten Blick aus ihren lang bewimperten Augen, dass ich mich klein und hässlich fühlte.
Und ausschließlich diesen Blick ließ sie mir zukommen.
Aus mir unverständlichen Gründen war meine Schwägerin Simone ständig eifersüchtig auf mich. Vielleicht, weil sie meistens in Umstandskleidung herumlaufen musste. Ich glaube, nur die ständigen Schwangerschaften ließen meinen Schwager an dieser Ehe festhalten.
Gleichzeitig erhielt Simone durch ihren Babybauch mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung von der gesamten Familie und erfuhr Rücksichtnahme.
Mein Mann war selten zu Hause. Sein Beruf forderte ihn. Er war Verkaufsleiter einer Firma für Heizungen und Sanitäreinrichtungen mit 60 Mitarbeitern. Viele geschäftliche Gespräche fanden bei einem Essen nach Feierabend statt. An den Wochenenden suchte er Erholung auf der Jagd. Seiner Familie gehörten ausgedehnte Ländereien. Ich hatte dieses Hobby hassen gelernt, aß aus Prinzip kein Wildfleisch. Es kam mir pervers vor, das Töten von Tieren als Hobby.
Die Fasane zum Beispiel wurden in einer Voliere gezüchtet, am Morgen des Treibjagdspektakels freigelassen, damit die erlauchte Jagdgesellschaft zum Abschießen etwas vor die Flinte bekam.
Meinem Schwiegervater war ich offensichtlich nicht unsympathisch, jedoch traute er sich kaum, mir gegenüber positive Gefühle zu zeigen. Er hatte ohnehin kein Stimmrecht in diesem Haus. Fünf Jahre nach meiner Eheschließung starb er.
Ich wünschte mir ein Kind. Mein Alltag war unausgefüllt. Ein paar Werbeaufnahmen, Reiten, Tennis, Shoppen.
Drei Jahre waren wir verheiratet, drei Fehlgeburten hatte ich hinter mir. Die nächste Schwangerschaft erkannte ich erst im vierten Monat. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet.
Es gab keine Anzeichen dafür. Ich blieb schlank, der Bauch rundete sich bis zum achten Monat kaum, dann wurde Laura geboren. Zu früh, ein Unfall. Ich war die große, breite Treppe in der Halle hinabgestürzt. Eine Haltestange vom Treppenläufer hatte sich gelöst. Sicher ein Zufall. Hoffentlich ein Zufall.
Nach drei Tagen im Kreißsaal hielt ich das kleine, zappelnde Bündel im Arm. Die Ärzte hatten dem Kind vor der Geburt kaum Chancen eingeräumt und nun bedurfte es keiner Sonderbehandlung. Die Kleine war gesund, fünfzig Zentimeter lang und fünf Pfund schwer.
Ich war so glücklich, so unbeschreiblich glücklich, wenn ich mich auch von meinem Mann alleingelassen fühlte. Gerd war einer Einladung zu einer Jagd im Harz gefolgt.
Als stolze Mutter kam ich nach Hause, aber meine Schwiegermutter besuchte mich nicht. Obgleich sie nebenan wohnte, schaute sie sich den neuen Nachwuchs der Familie nicht an.
Es war sechs Wochen später. Die Schwiegereltern hatten Gäste. Gerd ging zu ihnen, um vor der Gesellschaft zu fragen, ob sie sich denn ihr Enkelkind nicht einmal anschauen wollte.
Betretenes Schweigen. Dann stand ausschließlich Gerds Mutter auf und folgte ihm in unsere Wohnung. Mich ignorierte sie, beugte sich über das Babybettchen, zog spöttisch die Augenbrauen hoch und meinte lediglich, sie bedaure, dass ihre wirtschaftlichen Mittel durch ihre anderen vier Enkelkinder erschöpft seien und wir nichts erwarten könnten. Sie verließ das Kinderzimmer.
Ich war wieder einmal durch sie zutiefst verletzt und beschämt worden. Gerd hatte sie doch nicht wegen eines Geschenks geholt! In diesem Haus drohte ich zu erfrieren.
Durch meine kleine Tochter hatte ich zwar eine Aufgabe, aber ich fühlte mich in dieser Familie so ungeliebt, dass ich Begegnungen zu vermeiden versuchte. Das war durch die Wohnsituation fast unmöglich. Mein Mann erlaubte uns durch sein Einkommen einen hohen Lebensstandard, aber er war nie da, wenn ich ihn brauchte. Ein Auszug aus der Villa kam für ihn überhaupt nicht infrage. Und er verteidigte mich selten, wenn ich ignoriert oder verbal angegriffen wurde. Er schwieg.
Zwar entwickelte sich unsere kleine Laura prächtig, aber auch noch nach Monaten erfuhr sie vom Rest der Familie kaum Beachtung.
Es drehte sich weiterhin alles nur um Kai. Zu seinem siebten Geburtstag erhielt er ein Sparbuch mit einem fünfstelligen Betrag. »Ein Grundstein für sein erstes Auto«, lachte meine Schwiegermutter und drückte Kai fest an sich.
Mein Mann schwieg, ich schwieg. Simone und Fred schauten verlegen aus dem Fenster. Die anderen Kinder lärmten desinteressiert.
Den überladenen Geburtstagstisch empfand ich als eine Provokation. Unsere Tochter hatte bis dato nicht ein Strampelhöschen erhalten.
An der Kaffeetafel streckte unsere Laura von meinem Schoß aus ihre beiden Ärmchen in Richtung Großmutter. Die ignorierte es. Schnell liebkoste ich meine Kleine, um ihr über die Enttäuschung hinwegzuhelfen.
»Du verzärtelst sie«, war der Kommentar meiner Schwiegermutter mit eisiger Stimme. Immerhin ein paar Worte, die an mich gerichtet waren.
Laura war etwa sieben Monate, als ich begann, die Familie zu hassen, meinen Mann inbegriffen. Die anfängliche Ohnmacht war einem Zorn gewichen, der deutlich meinen Herzschlag beschleunigte, sobald ich einem Mitglied der Familie begegnete.
Ich wollte fort mit meiner Kleinen, was hielt mich? Bloß heraus aus diesem goldenen Käfig, der von Monstern bevölkert war, die mich das Fürchten lehrten. Ich spürte neben Verletzungen auch Neid. Nicht für mich wünschte ich etwas, nur für mein Kind, eine Umarmung, ein Lächeln, eine Liebkosung.
Es geschah an einem der ersten Dezembertage. Ich hatte Laura zum Ausfahren angezogen und in die Karre gesetzt. Wir wollten das Grundstück verlassen, als Kai mit einem Paket unter dem Arm den Gartenweg heraufkam.
Er war unschuldig an der Situation im Hause, hatte ein sonniges, liebenswertes Wesen. Ich aber konnte nicht mehr differenzieren.
»Tante Ina«, er zeigte auf das Paket, »da drin sind Groggläser, die habe ich für meine Mama zum Geburtstag gekauft. Omi hat mir das Geld gegeben.« Er legte das Paket vor die Kinderkarre, sodass ich anhalten musste.
Dann beugte er sich zu Laura hinunter und streichelte ihr pausbäckiges Kindergesicht.
Die Kleine strahlte ihn an und quietschte vor Vergnügen.
In mir brach ein Damm, der angestaute Zorn entlud sich. Ich reagierte völlig unverhältnismäßig.
»Nimm deine schmutzigen Finger weg, Kai, was fällt dir ein?«, brüllte ich und riss an seiner Hand, ihm bewusst Schmerzen zufügend.
Kai schaute mich hilflos und erschrocken an. Tränen füllten seine Kinderaugen.
Er senkte verlegen den Kopf, hob sein Paket auf und stapfte wieder den Gartenweg hinunter, bog um die Ecke und entschwand kurzfristig meinem Blickfeld. Wohin wollte er?
Eine Minute danach. Ein entsetzlicher Knall, ein Quietschen, dann ein Scheppern. Etwas wirbelte durch die Luft. Ein dumpfer Aufprall. Stille.
Ich hastete zur Straße, ahnte, nein ich wusste, was passiert war.
Eine kleine graue Pudelmütze lag auf dem Fußweg vor dem Gartentor, unweit davon der Karton mit dem Geburtstagsgeschenk.
Ein