1918. Johannes Sachslehner
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Das Frontgebiet am Piave mit den drei Brückenköpfen der Alliierten am Morgen des 28. Oktober 1918 (strichlierte Linien).
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Heeresgruppenkommando Udine: Am Piave, so weiß man, muss alles getan werden, um eine weitere Konsolidierung der Brückenköpfe des Feindes zu verhindern. Tatkräftige Gegenmaßnahmen sind unerlässlich. Da braucht man auch die Unterstützung der Flieger: Feldmarschall Boroević lässt in dieser „langen Nacht“ alle verfügbaren österreichisch-ungarischen Fliegerkompanien Angriffe auf die Brücken des Feindes über den Piave fliegen. Der Nachschub von frischen Truppen und Kriegsmaterial in die Brückenköpfe soll so weit wie möglich unterbunden werden. Unterstützung finden die verwegenen Piloten durch die Artillerie, die auf die Übergänge des Feindes ein heftiges Geschützfeuer unterhält. Ein Volltreffer ist zu verzeichnen: Die Brücke bei Pederobba, auf der die Stoßbataillone der 12. Armee der Alliierten über den Fluss gegangen sind, wird zerstört.
Aufgrund der drückenden Überlegenheit der alliierten Luftwaffe ist jeder Feindflug ein Todeskommando, dennoch scheuen sich die k. u. k. Feldpiloten nicht den ungleichen Kampf aufzunehmen: Oberleutnant Steiner von der Fliegerkompanie 60 vollbringt auf einem dieser wagemutigen Schlachtflüge eine besondere Heldentat: Innerhalb der feindlichen Linien abgeschossen, rettet er seinen schwer verwundeten Piloten, Zugsführer Pawlowski, dessen Kleider brennen, durch Untertauchen in das Wasser des Piave. Dann schleppt er seinen halbtoten Kameraden zurück bis in die eigenen Stellungen. Beim gleichen Angriff auf die Piave-Brücken wird Zugsführer Fachs von der Fliegerkompanie 69 durch einen Schuss ins Gesicht, abgegeben von einem feindlichen Jagdflieger, schwer verwundet. Dennoch gelingt es ihm, das Flugzeug zusammen mit seinem Beobachter heil auf dem Flugfeld zu landen.
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Prag, die Goldene Stadt, caput regni Bohemiae, das Lebenszentrum der Tschechen und ihre innig verehrte Hauptstadt, „jenes erträumte Wesen, jene heilige Stätte, jenes Götzenbild“, wie der Dichter Vilem Mrstik in seinem Roman Santa Lucia schreibt, „das jeder zu erblicken sich sehnt und von dem jeder träumt, wie einst die weißhaarigen Großmütter von ihm träumten und erzählten. Prag mit dem Vyšehrader Felsen, den Königsburgen, den Palästen, den Ufern auf der Kleinseite, Prag, errichtet über Jahrhunderte, geheiligt seit Urväter Zeiten.“ Dieses Prag, durchflossen von der Moldau, der Herzschlagader des böhmischen Landes, ist in dieser Nacht im Oktober 1918 noch immer eine Stadt Österreich-Ungarns, überwacht von einem k. u. k. Militärkommandanten, verwaltet von einem k. u. k. Statthalter. Eine Stadt auch, in der in dieser Nacht trügerisch-gespannte Ruhe herrscht, in der die maßgeblichen Männer unter den tschechischen Patrioten auf den großen Augenblick warten …
In der Wohnung von Dr. Alois Rašín, Mitglied des tschechischen Nationalausschusses (Národní vybor), in der Zítna 10 brennt noch Licht. Zusammen mit seiner Frau Karla bespricht der 51-jährige Abgeordnete die Vorbereitungen für den „Umsturz“ – beide sind von innerer Erregung ergriffen und davon überzeugt, dass bereits der kommende Tag die entscheidende Wende im Ringen mit Österreich-Ungarn bringen wird. Mit Bleistift notiert Rašín erste Formulierungen für ein Gesetz, das der Nationalausschuss sofort nach der „Machtübernahme“ erlassen wird.
Alois Rašín, geboren 1867 in Nechanice bei Königgrätz (Hradec Králové) nur ein halbes Jahr nach der Katastrophe der österreichischen Armeen gegen die Preußen in unmittelbarer Umgebung seines Heimatortes, hat allen Grund, um aufgewühlt zu sein: Sein jahrzehntelanger Kampf für die Freiheit der tschechischen Nation scheint nun einem letzten Höhepunkt zuzusteuern. Schon während des Jurastudiums an der Prager Karlsuniversität hatte er sich als radikaler Verfechter der tschechischen Unabhängigkeit hervorgetan, 1893 war er nach einem öffentlichen Auftritt als Redner das erste Mal verhaftet und im so genannten Omladina-Prozess zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, im November 1895 jedoch begnadigt worden: Rašín, von tiefem Hass gegen die Österreicher verzehrt, lehnte zum Erstaunen der Gefängnisbeamten den Gnadenerweis jedoch ab – beinahe mit Gewalt musste er aus seiner Zelle geschleppt werden.
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte Rašín in Prag eine Anwaltskanzlei eröffnet, daneben aber auch Beiträge für die nationaltschechische Zeitung Národní listy geschrieben und sich weiterhin politisch engagiert; 1911 war er zum Abgeordneten im Reichsrat gewählt worden. Mit Beginn des Krieges hatte dann sein Aufstieg zu einem der führenden Männer des antihabsburgischen tschechischen Widerstandes begonnen, nun war er auch in Kontakt mit Tomáš Garrigue Masaryk, dem Haupt des tschechischen Exils, getreten. Insbesondere die Abwehrabteilung des Armeeoberkommandos, die vor allem negative Auswirkungen auf die Kampfkraft tschechischer Truppen befürchtete, wollte seinem Treiben jedoch nicht lange zusehen: Bereits am 12. Jänner 1915 wird er verhaftet, am 6. Dezember 1915 beginnt vor einem Militärgericht in Wien die Hauptverhandlung gegen ihn und den Reichsratsabgeordneten Dr. Karel Kramář, den Führer der tschechischen Sozialdemokraten. Der Staatsanwalt wirft beiden angeklagten Tschechen Hochverrat vor; zwei weitere Mitstreiter, der Redakteur Vincenz Červinka von den Národní listy und der Buchhalter Joseph Zamazal, sitzen wegen „Ausspähung“, d. h. Spionagetätigkeit, auf der Anklagebank.
Nach sechsmonatigen Verhandlungen, geleitet von dem berüchtigten Militärrichter Oberleutnant-Auditor Hofrat Dr. Peutlschmid, der mit großer Gründlichkeit in alle Winkel der Tschechenfrage von ihrem Anbeginn her hineinleuchtet, folgt das Urteil: Tod durch den Strang für alle vier Angeklagten. Die Urteilsbegründung bleibt geheim und wird nicht publiziert – Ministerpräsident Stürgkh will die Tschechen nicht „kränken“, obwohl das Armeeoberkommando und Böhmens Statthalter Max Graf Coudenhove für eine Veröffentlichung sind, um jeder Legendenbildung entgegenzuwirken. Eine Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Landwehrgerichtshof bleibt ergebnislos.
Während Rašín in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartet, stirbt Kaiser Franz Joseph I. – der Tod des alten Mannes bedeutet für ihn Leben. Die Todesstrafe wird im Jänner 1917 in eine 10-jährige Haftstrafe umgewandelt; am 2. Juli 1917 folgt – gegen den Rat von Generalmajor Max Ronge, dem Chef der Nachrichtenabteilung im Generalstab – die Amnestie durch Kaiser Karl, Rašín und seine drei Landsleute sind wieder freie Männer.
Die Aufenthalte in österreichischen Gefängnissen haben Alois Rašín nicht mutlos gemacht – im Gegenteil: Er ist agiler denn je, tatkräftig und kompromisslos, kümmert sich wenig um Freund und Feind und hat nur ein Ziel: Österreich-Ungarn muss untergehen!
Der Grund für die Zuversicht des Ehepaars Rašín, das schlaflos dem Morgen entgegenfiebert, sind die letzten Nachrichten, die man am Vorabend aus Wien erhalten hat. Um 20 Uhr hatte sich Vlastimil Tusar, der Verbindungsmann des Nationalausschusses und Vertreter des Vereins der tschechischen Reichratsabgeordneten, telefonisch gemeldet und Bericht über die letzten Ereignisse erstattet: Bereits zu Mittag habe der neue Innenminister Gayer ihn, Tusar, zu einer kurzen Unterredung ins Ministerium gerufen. Der Generalstab beim Armeeoberkommando in Baden wolle mit ihm sprechen, es