Gesundheit – ein Gut und sein Preis. Sabine Predehl
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– Was für die betriebsexternen „Nebenwirkungen“ des Produktionsprozesses gilt, das trifft auch auf die hergestellten Produkte zu. Sie müssen als Geschäftsartikel taugen; das ist das erste Interesse einer Produktion für den Markt und der oberste Sachzwang, den der Staat mit der Inszenierung einer Konkurrenz produzierender Kapitaleigentümer in Kraft setzt. Rücksichtnahme auf die Bekömmlichkeit der Produkte ist da, sofern nicht ein teures Luxusangebot, ein sachfremder Gesichtspunkt; allergene bis krebserregende Chemikalien in Lebensmitteln und „verbrauchernahen Produkten“ wie Spielzeug, Textilien, Kosmetika, Möbeln, ferner Antibiotika einschließlich multirestistenter Keime im Fleisch und ähnliche Schönheiten sind deswegen an der Tagesordnung. Die Staatsgewalt kommt daher um die eine oder andere Beschränkung der unternehmerischen Freiheit nicht herum. Sie handelt da aber wieder nach dem systemgemäßen Grundsatz, dass ein Durchschnittsverbraucher gewisse Beimischungen und Begleiterscheinungen muss aushalten können, wenn er nicht stur immer nur dasselbe kauft. Dass die entsprechenden Verbote nur so wirksam sind wie ihre Überwachung gründlich und wie die angedrohte Buße bedrohlich; dass deswegen manche Strafe und manches Bestechungsgeld leichten Herzens bezahlt und nichts verhindert wird; dass staatliche Verbote im Gegenteil den Erfindungsgeist dazu anstacheln, das Verbotene durch Zeug zu ersetzen, das schwerer zu entdecken ist: dieser Dauerzirkus um Ekelerregendes bis Giftiges ist die notwendige Errungenschaft eines Systems, in dem die Staatsgewalt das Geschäftsinteresse, für das sich außer seinem Erfolg nichts von selbst versteht, zum Prinzip erhebt und sich um die unausbleiblichen Folgen auch gleich kümmert.
Mediziner bekommen so in ihren Praxen und Krankenhäusern die Ergebnisse eines alltäglichen biologischen Massenexperiments geboten. Die Versuchsanordnung lautet – klassenneutral, aber mit berufs-, wohnort- und einkommensspezifischen „Expositionsbedingungen“ –: Bis zu welcher Grenze ist die Spezies Mensch gegen Gift und gentechnisch veränderte Organismen durchschnittlich immun und als Müllverarbeiter tauglich? Und siehe da: Die Spezies reagiert mit Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen, Krebs und Allergien, ist aber im Ganzen, nicht zuletzt dank einer fortschrittlichen Medizin, härter im Nehmen als die meiste sonstige Fauna und Flora. 4)
Krankheitsursache Konkurrenz
Die Zeiten, in denen die Belastungssymptome, die heute als Burn-out bekannt sind, im Volksmund „Managerkrankheit“ hießen, sind vorbei. Es hat zwar auch im letzten Jahrhundert nicht gestimmt, dass Krankheiten dieser Art im Wesentlichen die Verantwortungsträger der Gesellschaft befallen hätten, aber im 21. Jahrhundert gelten sie auch im allgemeinen Bewusstsein als Volksleiden, das sämtliche Bevölkerungsschichten erwischt. Dass die Männer und Frauen, die an den „Schalthebeln“ der Wirtschaft ihren Dienst tun, unter gesundheitsschädlichem Stress leiden, ist nicht weiter erstaunlich. Denn auch seinen leitenden Funktionären macht der Kapitalismus das Leben nur einerseits leicht; er macht es andererseits zu einem fortwährenden Konkurrenzkampf um die Karriere in der Firma und um den Geschäftserfolg der Firma. Immerhin winkt ein lohnender Preis für die Ungemütlichkeit des Konkurrierens.
Im Vergleich dazu nimmt es sich geradezu kleinlich und jedenfalls ganz unzweckmäßig aus, was das Fußvolk des Geschäftslebens an Konkurrenzbemühungen an den Tag legt. Das wird nämlich in erster Linie verglichen; seinen Lebensunterhalt verdient es durch seine Brauchbarkeit an Arbeitsplätzen, die kapitalistische Unternehmen ganz nach ihren Kalkulationen einrichten, ausstatten und auch – bei mangelnder Rentabilität – wieder abschaffen. „Abhängig Beschäftigte“ konkurrieren mit ihresgleichen darum, benutzt zu werden. Ihre Lebenschance besteht darin, sich brauchbar zu machen für diejenigen, die Arbeitsplätze „anzubieten haben“, und – falls sie es auf einen solchen Arbeitsplatz geschafft haben – dort dann ihre Brauchbarkeit fürs Unternehmen unter Beweis zu stellen. Keines der Kriterien, die über ihre Benutzung und damit über ihren Lebensunterhalt entscheiden, haben sie selbst in der Hand, weder die geforderten sich ständig ändernden Anforderungen des Arbeitsplatzes noch die Anzahl der konjunkturabhängig geforderten Arbeitsstunden, genauso wenig die Finessen des Tarifsystems mit seinen regelmäßig stattfindenden Neueingruppierungen; geschweige denn die Entscheidungen des Betriebs, in welchen Abteilungen Rationalisierungen anstehen und welche mangels Rentabilität abgebaut gehören... Kein Wunder, dass die Sorge um den Arbeitsplatz hierzulande als einer der Haupt-Stressoren für „abhängig Beschäftigte“ zählt und die Leute sich in ihrem Berufsleben aufarbeiten, bis sie nicht mehr funktionieren und ein kundiger Mediziner die Diagnose „vegetatives Erschöpfungssyndrom“ oder „Burn-out“ stellt.
Als abhängige Variable also, die einem Vergleich unterliegt, dessen Kriterien nicht sie bestimmt, nimmt die abhängig beschäftigte Menschheit ihr Schicksal in die Hand. Man engagiert sich; man bemüht sich, betriebliche Leistungsvorgaben nicht bloß zu erfüllen, sondern zu übertreffen; man stellt selber kundige Vergleiche mit seinesgleichen an. Wenn alle Anstrengungen scheitern, sind Kollegen schuld, die sich auf Kosten anderer – gemeint ist immer man selbst – angenehmere Posten ergattern; die Firma allenfalls insofern, als sie Fähigkeiten und Moral ihrer Dienstkräfte nicht gerecht würdigt; nie die schlichte Tatsache, dass kapitalistische Unternehmen zwar selbstverständlich nur engagierte und leistungswillige, aber eben total auswechselbare Arbeitskräfte brauchen können, und auch die nur solange, wie ihr Einsatz sich lohnt. So kollidieren miteinander die gleichartigen Anstrengungen aller Beteiligten, sich in „ihrem“ Betrieb und an „ihrem“ Arbeitsplatz einzurichten, so als wären die ein passendes Betätigungsfeld der eigenen Individualität; sich mit den Umständen zu identifizieren, unter denen man den Hauptteil seines Lebens verbringt, – und damit schließlich auch noch beruflich Erfolg zu haben. Die Konkurrenzkämpfe, die da geführt werden, spielen sich in Formen ab, die wenig bis gar nichts mit den Gesichtspunkten zu tun haben, nach denen ein modernes Unternehmen seine Personalplanung betreibt, die aber geeignet sind, das Arbeitsleben erst so richtig unangenehm und zum Ausgangspunkt psychovegetativer Leiden zu machen. Gehässigkeiten unter Kollegen sind im kapitalistischen Konkurrenzalltag so üblich, dass sie mittlerweile – nach den Kriterien der WHO – den Rang einer veritablen medizinischen Diagnose erreicht haben: „Mobbing“ heißt das dann. Und am Ende kommt es zu dem Treppenwitz, dass sich in modernen Unternehmen betriebseigene „Mobbing-Beauftragte“ darum kümmern, dass die psycho-moralischen Konkurrenzkämpfe ihrer Mitarbeiter das Zusammenarbeiten zum Wohle des Unternehmens nicht allzu sehr schädigen – eine letzte Klarstellung, dass die maßgeblichen Kriterien des Betriebserfolgs nichts zu tun haben mit den Vorstellungen derjenigen, die sich als abhängige Variable für diesen Betriebserfolg anstrengen sollen und sich außerdem daran abarbeiten, ihren Glauben aufrechtzuerhalten, genau darin läge ihre höchstpersönliche Lebenschance.
Neben dem systemimmanenten Stress, den die wechselnden Anforderungen an einem tendenziell nie sicheren Arbeitsplatz bereiten, ist es dieser ebenso systemkonforme wie verkehrte Glaube, der das „psycho“ ausmacht, das am Anfang eines Großteils der psychischen Belastungssyndrome und psychosomatischen Störungen steht. An diesem Glauben wird mancher Arbeitnehmer erst bei seiner Entlassung irre. Der trauert dann als Arbeitsloser oder Rentner seiner betrieblichen Heimat nach, kriegt seine Depression und hat keine Ahnung, wie sehr er sich damit als Kunstprodukt der kapitalistischen Konkurrenz unter Lohnarbeitern erweist.
Die Verschiebung der Perspektive vom Objekt, das verglichen wird, zum Subjekt, auf dessen Willen und besondere Leistungsfähigkeit es ankommt, eröffnet im Übrigen ganz getrennt vom Arbeitsleben eine eigene Welt des Ringens um Selbstbehauptung. Die eigene Person wird danach durchgemustert, ob sie gute Voraussetzungen für ein erfolgreiches Leben bietet oder dem im Wege steht. Zweifel bleiben da selten aus. Wirkliche und eingebildete Niederlagen aus dem privaten wie beruflichen Alltagsleben werden zum Beleg für mangelnde