Equinox. Dana Schwarz-Haderek

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Equinox - Dana Schwarz-Haderek

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vor allem wenn noch nicht alles überfüllt ist. Ich war früh wach, und da ich noch nicht so viel in Leipzig kenne, dachte ich, ich suche mir etwas Bekanntes.«

      Wow, das war mutig. Ganze Sätze. Ich kam voran.

      Er lächelte mich einfach nur an und mein Herz begann mit einem Mal, einen Takt schneller zu schlagen. Er verwirrte mich zusehends.

      »Aha, also bist du neu hier. Was wirst du denn in Leipzig tun?«

      »Am Montag beginne ich mein Studium.«

      »Und was …?«

      »Anglistik-Amerikanistik und Germanistik. Bücherwurm. Das weißt du ja schon.« Ich tippte zur Bekräftigung auf mein Buch.

      Mir gelang es nicht nur, ein halbwegs kohärentes Gespräch zu führen, sondern sogar ein schiefes Lächeln dazu. Wenn er mich doch nicht unentwegt so anschauen würde. Aber plötzlich fühlte ich, wie meine Aufregung ganz langsam einem angenehmen, ja sogar vertrauten Gefühl wich. Sein intensiver Blick ließ mich ein wenig entspannen und ich fasste Mut, ihn anzusprechen.

      »Du sprichst nicht so, als wärest du ein echter Leipziger. Was tust du hier, Robert?« Seinen Namen auszusprechen ließ mich erschauern. Es war ein noch viel aufregenderes Gefühl für mich, als ihn nur zu denken.

      »Oh, das merkt man hier immer gleich. Ja, der hiesige Dialekt liegt mir nicht so.« Er lachte. »Ich komme zum Teil aus Berlin und arbeite hier am Max-Planck-Institut … beschäftige mich mit der anthropologischen Entwicklung der Sprache und betreue verschiedene Projekte in diesem Themenbereich.«

      »Wow, das klingt interessant.«

      »Das ist es auch. Was liest du eigentlich?«

      »Daphne du Maurier, … kennt heutzutage meist keiner. Sie ist anscheinend ein bisschen aus der Mode geraten.«

      »Ich schon. Ich mag es, dass die meisten ihrer Geschichten in Cornwall spielen. Eine tolle Gegend. Ich bin dort öfter und auch immer wieder gern.«

      Ich war sprachlos. Gerade wollte ich ihm von meiner Leidenschaft für ebendiesen zauberhaften Landstrich erzählen, als das Piepen seines Handys unvermittelt diesen ersten Anflug von Vertrautheit zerbrach. Er entschuldigte sich knapp und schien beim Lesen der Nachricht leicht zerknirscht.

      Mit einem Ausdruck ehrlichen Bedauerns wandte er sich mir wieder zu und sagte: »Elisabeth, es tut mir leid. Ich muss schon wieder los. Am Bahnhof wartet jemand auf mich. Ich war mir sicher, sie würde einen Zug später nehmen. Ich wünschte … es tut mir ehrlich leid. Bis bald.«

      Er nahm eilig seine Jacke, zog sie im Gehen an und lief mit großen Schritten auf die Tür zu. Er war noch nicht ganz draußen, als er sich noch einmal umwandte und mir zulächelte. Sah ich da einen Anflug von Traurigkeit in seinem Gesicht? Nein, das bildete ich mir nur ein. Und doch, er verharrte einen Augenblick länger als er zum Schließen der Tür benötigt hätte und suchte meinen Blick. Ein kurzes letztes Nicken und er war verschwunden. Ich saß fassungslos da und starrte auf die geschlossene Tür.

      Das konnte doch nicht wahr sein. Mir war es, als würde es mir das Herz brechen, ein bohrender Schmerz setzte sich in meiner Brust fest. Traurigkeit und Eifersucht auf diese unbekannte Frau manifestierten sich zu einem solch niederschmetternden Gefühl, dass mir der Atem stockte. Tränen schossen mir in die Augen und ich konnte sie nur mit Mühe hinunterschlucken.

      Reiß dich zusammen, versuchte ich mir zu sagen. Hast du wirklich geglaubt, er wäre frei? So ein Mann kann doch nicht allein sein. Auf jeden Fall hatte er eine Freundin und diese holte er gerade vom Bahnhof ab. Verdammt!

      Warum berührte mich das eigentlich so sehr? Ich wusste gerade einmal, dass er Robert hieß. Und dass er am Max-Planck-Institut arbeitete. Wo auch immer das in dieser Stadt war. Und dass er unglaublich gut aussah. Und mehr als nur einfach nett war. Und dass er die faszinierendsten grünen Augen hatte, die ich jemals gesehen hatte. Und er hatte sich meinen Namen gemerkt …

      So viel Glück wirst du kein drittes Mal haben, versuchte ich mir klar zu machen. Du wirst ihn nie wieder treffen! Diese Einsicht war wie ein Schlag ins Gesicht. Und trotzdem, ganz klein, neben diesem niederschmetternden Gefühl der Ohnmacht, regte sich Hoffnung auf ein weiteres Wiedersehen.

      Ich packte mein Buch wieder ein und zog meinen Parka an. Hier konnte ich nicht bleiben, verwirrt und enttäuscht wie ich war.

      Während ich zurück zur Straßenbahnhaltestelle lief, schlug mir der kalte Regen ins Gesicht und vermischte sich mit meinen Tränen, die nun ungehemmt liefen. Der jähe Abschied von Robert ließ mich fast verzweifeln. Ob ich ihn jemals wiedersehen würde? Wohl eher nicht. Und keiner war da, mit dem ich hätte reden können. Kristin war in Halle und zog sicher gerade von einem Club zum nächsten, ohne eine Grenze zwischen Tag und Nacht zu ziehen. Meine Mutter konnte ich nicht anrufen, um ihr von der Sehnsucht nach einem Wildfremden zu erzählen. Sie würde die Welt nicht mehr verstehen und sich enorme Sorgen machen. Alle anderen Freunde standen mir nicht so nah, als dass ich mit ihnen meinen unerklärlichen Herzschmerz hätte teilen wollen. Und Daniel, mein Bruder? Der würde sich entweder über mein noch nie gekanntes Gefühlschaos schlapp lachen oder sich völlig verunsichert zurückziehen. Ich war zutiefst traurig und gleichzeitig unendlich wütend auf mich selbst. Wieso benahm ich mich wie ein kleines Kind? So etwas war mir noch nie zuvor passiert.

      Langsam dämmerte mir eine Wahrheit, die ich jedoch vehement verdrängte. Ich gehörte schließlich nicht zu solch flatterhaften Menschen, die schnell ihr Herz verschenken! Nein! Deshalb konnte das auch gar nicht sein. Ich war sicher nur emotional ein bisschen aufgekratzt, weil ich nicht wusste, was mich in den nächsten Wochen hier erwarten sollte. Genau! So versuchte ich mich aus meinem Tal der Tränen herauszureden und fühlte mich aber so gar nicht besser, als ich wenig später in die fast leere Bahn zurück zu meiner Wohnung stieg.

       4

      Wie ich den Rest des Wochenendes überstand, kann ich nicht mehr sagen. Es verging … irgendwie und unendlich langsam.

      Ich war froh, als ich am Montagmorgen aufstehen, und mit dem Ziel der ersten Vorlesung meines Studiums in Richtung Uni aufbrechen konnte.

      Als ich den Hörsaal in der Beethovenstraße betrat, wäre ich fast wieder rückwärts zur Türe herausgekippt. Nach den letzten Tagen, die ich versunken in meine Gedanken an Robert, den Unbekannten, verbracht hatte, schlugen mir die Geräusche des schon mit Studenten gut gefüllten Raumes entgegen wie eine Welle hunderter lärmender Spatzen. Ich suchte mir einen der wenigen noch freien Plätze recht weit hinten. Die vorderen Sitzreihen waren noch nicht so dicht belegt, doch mir war einfach nicht danach, im Vordergrund zu sitzen. So war ich schlichtweg dankbar, zwischen all den anderen sprichwörtlich untergehen zu können. Ich kannte sowieso noch niemanden und war daher froh, mich nur auf mich selbst konzentrieren zu können.

      Kurze Zeit später betrat eine junge Frau forschen Schrittes den Hörsaal, legte ihre Tasche ab und stöpselte ihren Laptop an den Beamer. Eine Professorin, damit hatte ich nicht gerechnet. Zwar hatte ich mich im Vorlesungsverzeichnis über die Veranstaltung und ihren Lektor erkundigt. Aber soweit ich mich erinnern konnte, stand da Prof. Dr. Chr. Rosenberg. »Early American Short Stories«, für dieses Thema und noch dazu mit der Abkürzung Chr. hatte ich mir irgendwie einen älteren Herren vorgestellt. Christoph, Christian oder so ähnlich, aber ihre Fußzeile in ihrer Powerpointpräsentation enthüllte nun ein schlichtes Chris.

      Warum also nicht? Ich lehnte mich zurück und lauschte ihren Ausführungen über Nathaniel Hawthornes Initiationsgeschichte

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