Ruhrpottliebe. Lena Schätte
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Der Zug wartet schon am Gleis, als ich durch die Unterführung renne. Das Abteil ist leer – bis auf ein paar Männer, die aussehen wie ehrgeizige Informatikstudenten und über einem Laptop mit Riesendisplay große Augen machen. Wie lange habe ich mich auf diesen Tag gefreut? Wann immer ich mit Prickeln im Bauch in meinem heizungswarmen Schlafzimmer hockte und gebannt das Telefon an mein Ohr presste, habe ich mich gefragt, wie es sein würde. Aber jetzt gerade vergeht mir all die Vorfreude und lässt nur Platz für Nervosität und Schiss. Was, wenn er ganz anders ist, als ich ihn mir vorstelle? Und noch viel wichtiger: Was, wenn ich ganz anders bin, als er sich mich vorstellt? Gelogen habe ich nicht, höchstens hier und da die Wahrheit ein bisschen strapaziert. Na gut, hin und wieder, wenn er von einer hippen Band anfing, googelte ich schnell und warf dann Sätze aus Musikkritiken ein. Das könnte sich jetzt rächen. Auch dieses ganze Skinhead-Ding habe ich noch nicht völlig verstanden. Ich habe mir sogar ein Buch zum Thema gekauft, wirke mittlerweile recht eloquent, aber warum alle Skins gleich herumrennen, die einen aber rechts und die anderen links, andere Antifas und wieder andere unpolitisch sind und man nur an den Schnürsenkeln erkennt, wer zu wem gehört, habe ich noch immer nicht durchschaut.
Von Haltestelle zu Haltestelle wird es endgültiger. Als der Zug am schwarz-gelben Stadion hält, das über den kleinen Bahnhof ragt, pocht mein Herz wie wild. Noch eine Haltestelle. Ein letzter Blick in den kleinen Handspiegel aus meiner Tasche, mit dem ich mir beinahe tussig vorkomme, und ich fahre in den Großstadtbahnhof ein. Dortmund liegt im Scheinwerfer der Laternen ungewohnt ruhig da, nur das Trampeln der Füße meiner Mitreisenden, wie ein stiller Trommelwirbel, ist zu hören. Auf dem überfüllten Bahnsteig legt mein Herz beim Pochen noch einen Zahn zu. Boom, boom … Durch die Unterführung in die Bahnhofshalle. Boom, boom, boom … Ich husche an all den Zeitschriftenläden vorbei, in denen Touristen aberwitzige Postkarten mit rußbeschmierten Zechearbeitern kaufen, in der einen Hand eine Grubenlampe, in der anderen eine Pulle Bier, dickbäuchig einen flachen Spruch in eine Sprechblase drückend. Die dümmlichen Blicke der Frau am Brötchenstand, wo es Käsestullen so teuer wie Goldklunker gibt, folgen den Vorbeilaufenden. Mein Blick schweift durch das Gebäude. Viele Jugendliche mit Einkaufstüten schwirren umher. Boom, boom, boom … Ein Rentnerpärchen steht mit riesigen schwarzen Koffern vor den Abfahrtsplänen. Boom, boom … Als ich inmitten der Menschenmenge stehe und etwas Mühe habe, mich nicht mitziehen zu lassen, sehe ich sein Gesicht. Er sticht heraus, sein Kopf liegt einige Zentimeter über dem Getümmel.
Das ist er also. Nicht mehr bloß eine Stimme am Telefon, ein Gesicht auf einem Foto oder einem Facebookprofil, sondern ein realer Mensch, der mit leicht gequältem Grinsen beobachtet, wie ich auf ihn zuschreite und ihn bereits analysiere. Mit seinen Hosenträgern auf Anschlag, dem Emblem des arschteuren Fred-Perry-Hemds – wie ein stolzes Etikett auf die Brust getackert –, den auf Hochglanz polierten DocMartens sieht er aus, als habe er jedes billige, unaufgeklärte Klischee seiner Subkultur in eine Badewanne geschmissen, das Ganze mit Zuckerguss vermengt und sich dann stundenlang genüsslich darin gewälzt. Ich komme mir unszenig neben ihm vor.
„Naaa“, begrüße ich ihn gekonnt lässig, stelle mich auf die Zehenspitzen und umarme ihn flüchtig. Er lächelt nicht. Er sieht mich nicht mal richtig an. Vielmehr schaut er über meinen Kopf in die Halle.
Boom, boom, boom, boom …
„Hey! Wie war die Zugfahrt?“, beginnt er schließlich einen klassischen Small Talk und klopft mir mit betonter Unverbindlichkeit auf die Schulter, als sei ich ein alter Kumpel vom Fußball. Wir laufen durch die menschenleere, dunkle Stadt. Sie liegt so verlassen da, wie ich sie nie zuvor gesehen habe, und ich versuche Schritt zu halten. Gelegentlich werfen wir uns musternde Blicke zu. Ich haste ihm hinterher, als wir die Stufen zu seiner gefühlt im 127. Stockwerk liegenden Studentenwohnung erklimmen. Hinter der schweren roten Wohnungstür eröffnet sich mir eine zusammengewürfelte, mit Stickern und Postern zugeklebte Wohnung, die ebenso gut zu Johannes passt wie sein Outfit. Parolen wie Goodnight white pride und Nazis raus brüllen mir von den untapezierten Wänden entgegen. Hunderte Bücher und Filme stapeln sich in den Regalen, und es hat eher etwas von einem Randgruppenmuseum als von einer Studenten-WG. Er manövriert mich hinüber zu der kleinen Couch, dessen ranzige Sitzfläche aussieht, als habe in ihr schon halb China gesessen.
„Magst du was trinken?“, fragt er, während er durch das kleine Zimmer streift.
„Klar.“
Zack, halte ich eine Flasche Bier in der Hand. Es ist bitter.
Nicht mein Ding. Aber ich nippe und lächle zufrieden. Während Johannes seine Small-Talk-Orgie kontinuierlich weiterzelebriert, taucht sein Mitbewohner auf. Ohne meiner Anwesenheit Aufmerksamkeit zu schenken, wendet er sich an Johannes:
„Sag mal, wann hast du morgen Vorlesung beim Niedermeier? Kann ja nicht sein, dass dieser Schmalspurpädagoge drei Mal am Tag über dasselbe Thema referiert, und ich‘s mir auch noch drei Mal anhöre!“
Er sieht nicht nur aus wie ein verrückter Professor, sondern beginnt auch prompt, in The Big Bang Theory-Manier vor sich hinzudebattieren, worauf Johannes direkt einstimmt, und so beginnen sie, sich über ihre Dozenten auszulassen und wie wild mit Fachtermini um sich zu schmeißen.
„Die Exmatrikulation von unserer Fakultät hat sich das Arsch durch den überflüssigen Härtefallantrag praktisch persönlich abgeholt. Der hat sich auch immer angestellt. Schon alleine bei den Kolloquien!“, kichert der Mitbewohner aus dem Türrahmen.
Wie ich die beiden so betrachte, kann ich mir nur schwer erklären, wie sie friedlich nebeneinanderleben können. Johannes, beinahe eine Kunstfigur, der Mitbewohner ein kleiner, fetter, haariger Hobbit. Ob es eine gute Idee war, sich hier zu treffen? Anfangs noch beeindruckt, dann aber schnell genervt von einem Gefühl der Dummheit und Überflüssigkeit, das sich von Minute zu Minute penetranter in meinem Kopf breitmacht, bin ich erleichtert, als der Mitbewohner mit dem Frettchengesicht endlich das Zimmer verlässt.
„Du wirst also auch von Basti tätowiert?“, beginnt Johannes, bereit, die einzige konkrete Gemeinsamkeit, die wir bis jetzt gefunden haben, auszuschlachten, um der Stille keine Chance zu geben.
Ich nehme dankend an. „Ja. Also bis jetzt hab ich erst eins von ihm, aber es wird ausgebaut. Kommt Geld, kommt Farbe“, grinse ich. Und so beginnen wir ein peinlich detailliertes Gespräch über unseren gemeinsamen Tätowierer, über seine Art, beim Tätowieren wirres Zeug vor sich hin zu faseln, um zu vermeiden, dass sich seine Kunden zu sehr auf den Schmerz konzentrieren. Schon erweitert sich unser Gesprächsthemenkreis um Tattoos, Festivals, Konzerte, Musik, den Ruhrpott und Markenklamotten. Er ist ein angenehmer Gesprächspartner, weil er viel von sich selbst erzählt, ohne dabei zu sehr die einengende Selbstdarstellungsschiene zu fahren. Und ich, der ich eh jemand bin, der Zeit braucht, um locker zu werden, kann einfach dasitzen, seinen Worten lauschen und mich mehr und mehr lockern.
Bald verschwindet das boom, boom, boom in meiner Brust.
„Lust zu shishaen?“, fragt er irgendwann und baut eine kleine Wasserpfeife auf dem wackelnden Couchtisch zusammen.
„Nein, danke … steh ich nicht so drauf.“
„Warum?“ Mit seinen endlos langen und dünnen Fingern wickelt er fast liebevoll Alufolie um den Kopf der Pfeife.
„Ich finde immer, nur der erste Zug schmeckt gut. Danach ist es dann bloß Resterauchen.“
Er kichert. Das Glasgebilde schaukelt gefährlich auf seinem Schoß hin und her, als er es sich zwischen die Knie klemmt und beginnt herumzufackeln.
„Ach,