Ruhrpottliebe. Lena Schätte
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Die Chefin ist klein und sieht aus wie ein Serienstar aus den Achtzigern. Passend zu ihrem Vokuhila trägt sie an jeder Hand mindestens drei goldene Ringe und lange blaue Gelfingernägel. In der Kippenpause begutachte ich die Miniatursterne aus Glitzersteinen, die darauf aufgeklebt sind. Die Pfennigabsätze ihrer Schuhe kündigen sie an, wann immer sie den Gang hinunterschreitet, und das trotz Kindergartenteppich. Ich schätze, sie sind nicht bloß ein modisches Accessoir, sondern Mittel zum Zweck, denn ohne sie könnte Frau Rein wahrscheinlich nur knapp über die Tischkante ihres Schreibtischs sehen.
Sie hat den Laden im Griff. Obwohl sie im Grunde sehr nett zu sein scheint, kuschen alle vor ihr und begegnen ihr mit Ehrfurcht. Ihre Bürotür steht immer offen, und so hören alle, wie sie regelmäßig hitzig diskutiert. Dabei schaltet sie immer den Lautsprecher ein und schreit aus dem Stand in das Telefon.
Jolie scheint keinen besonders harten Job zu machen, sie tippt hin und wieder eine E-Mail, führt Telefonate und geht im Zwanzigminutentakt nach draußen, um zu rauchen. Der Betrieb stellt Trainingsgeräte für Sportler mit körperlicher Behinderung her und liefert sie in schicken lila Vans. Es arbeiten viele Rollstuhlfahrer und anderweitig behinderte Menschen im Bürotrakt. Integrationsbetrieb nennt sich so etwas, erklärt man mir. Das Ganze scheint zumindest mittelmäßig erfolgreich zu sein, es wird in Schichten gearbeitet, einen Großteil der Belegschaft lerne ich deswegen nicht kennen. Wenn ich mein tägliches Pensum an Abtipparbeiten erledigt habe, gehe ich ins zweite Obergeschoss zu Jolie. Sie teilt sich ein kleines Büro mit einem Spanier namens Juan. Juan ist eigentlich ein hübsches Kerlchen, doch kann er niemandem ins Gesicht sehen, was ihn zu einem verklemmten Zeitgenossen macht.
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragt mich Jolie am dritten Tag, als es zum ersten Mal so aussieht, als habe sie Stress. „Ja, natürlich. Was denn?“
„Kannst du diese Telefonliste abarbeiten … das sind alles Fahrer!“ Sie reicht mir ein abgegriffenes Blatt Papier mit Kaffeeflecken herüber. „Die müssen morgen alle eine Stunde früher da sein. Meeting!“
„Alles klar.“
Ich schleiche ins leere Nachbarbüro und setze mich ans Telefon. Beim ersten Namen auf der Liste geht niemand ran. Beim zweiten meldet sich eine Frau mit rauer, versoffener Stimme und erklärt mir, dass sie vor dem Dienstantritt erst noch ihre Katze Schröder zum Tierarzt in die Altstadt bringen müsse, da er einen Miniatur-Obelix aus einem Ü-Ei verschluckt habe und seitdem pausenlos auf die Fliesen kotze. Zum Glück seien es nur Fliesen, die könne man ja abwischen, betont sie. Als sie beginnt, mir die Dos und Dont‘s der Katzenkloreinigung zu erläutern, wimmle ich sie mit „Ich bin eher so der Hundemensch“ ab und verabschiede mich. Bei Nummer drei begrüßt mich eine pseudowitzige Mailboxansage: „Heeeeeey joooooo, wer stört? Ich bin gerade nicht am Start, also leave a message nach dem Toooon!“ Hinter dem vierten Namen verbirgt sich eine weiche Männerstimme. Nachdem ich meinen Text um das Meeting vor dem Dienstantritt heruntergebetet habe, kommen wir ins Gespräch.
„Tschuldigung, wenn ich so doof frage, aber kennen wir uns?“ Ich kann mir zu der Stimme so gar kein Gesicht vorstellen.
„Wir kennen uns nicht, weil sich unsere Schichten überschneiden. Wenn ich gerade gegangen bin, kommen Sie. Ich bin die neue Praktikantin.“
„Sie? Ben heiße ich.“ Er lacht. Ich mag seine Lache, sie ist weich und angenehm. Nicht so aufdringlich wie die vom Mr.-Bean-Verschnitt Herrn Deit.
„Okay, Ben. Dana.“
„Wie gefällt es dir bei uns?“
„Gut, gut.“
„Mit wem arbeitest du?“
„Jolie.“
„Uh, Glück gehabt.“
„Was soll das denn heißen?“, kichere ich, und er stimmt ein.
„Schon mal gesehen, wie sich Frau Rein vor dem Telefon aufstellt?“
„Oh ja!“
„Dann sei mal froh, nicht bei der gelandet zu sein!“
Noch einige Minuten berichtet er mir vom Treiben in der Nachtschicht, wie locker alle seien. Nur das Arbeiten an den Samstagen gefalle ihm nicht sonderlich, das ließe sich schlecht mit seinem Freizeitprogramm vereinbaren.
„Ich würde ja gerne weiterquatschen, aber wenn ich nicht langsam zurück zu Jolie gehe, sucht sie mich bestimmt bald.“
„Ja, klar. Wäre schön, wenn man sich vielleicht doch mal über den Weg läuft.“
„Ja, das wäre es.“
„Mach‘s gut.“
„Du auch. Ciao.“
Als ich mich von dem Bürostuhl schwinge, ist mir ein wenig flau im Magen. Netter Typ. Beim Überqueren des Flurs fällt mir zum ersten Mal ein großes gerahmtes Bild auf. Betriebsausflug ins Schokoladenmuseum steht in roten Lettern darunter.
„Wir haben jetzt Pause … uh, schlimmes Foto“, stößt Jolie hinzu.
„Wer ist das?“, deute ich mit dem Finger auf einen Schönling in der ersten Reihe. Er sieht aus wie Brian von den Backstreet Boys. Schön anzusehen, aber wer will schon neben so jemandem aufwachen? Da muss man mindestens eine Stunde früher aufstehen, sich pudern, schminken, die Locken legen, sich mit betörendem Parfüm besprühen und in Formschön-Unterwäsche schmeißen, um sich nicht völlig hässlich vorzukommen, wenn er dann die Augen aufschlägt und einen mit seinem makellosen Boybandgesicht ansieht. Zu schön ist eben auch nicht gut.
„Max.“
„Und der?“ Ich deute auf einen kleinen Mann in der ersten Reihe.
„Peter.“
„Und der?“ Mein Finger klebt auf einem großen Typen in der hinteren Reihe.
„Mann, du bist ja neugierig“, meint sie grinsend. „Ben! Lass uns zum Bäcker ums Eck gehen.“
Und schon rauscht sie davon.
Ich bleibe noch einige Sekunden stehen und betrachte ihn. Er scheint überdurchschnittlich groß, sein Gesicht thront ein gutes Stück über all den anderen. Er grinst breit von einer Backe zur anderen. Auf einer seiner ausladenden Schultern hängt lässig der Träger eines Rucksacks. Das schwarze Shirt flattert ein wenig zu groß an ihm herunter.
„Kommst du?“, schallt Jolies Stimme vom Treppensims herüber, und ich folge.
Die Bäckerei ist klein, die warme Luft stagniert, und an der Scheibe tummeln sich einige verirrte Bienen. Jolie zuckt jedes Mal, wenn eine in ihre Richtung fliegt. Sie ist so hübsch, es ist beinahe unsympathisch. Neben ihr wollte ich noch weniger aufwachen als neben Brian von den Backstreet Boys. Wie eine Barbiepuppe sitzt sie perfekt drapiert da, erzählt von ihrem lässigen Fußballerfreund und ihrem Gebrauchtwagen mit extraflauschigen Sitzbezügen.
Als ich heimkomme, wartet meine beste Freundin Carmen schon vor der Haustür. Wie immer, wenn ich sie nach der Frühschicht antreffe, trägt sie ein übergroßes weißes Shirt,