Ruhrpottliebe. Lena Schätte

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Ruhrpottliebe - Lena Schätte

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Versprechen, bald zu telefonieren, und während die beiden in ihrem Mini in Richtung überprivilegierte-Kleinfamilien-Siedlung im Klosterviertel düsen, klappe ich meinen Kragen hoch und schlendere durch die Stadt. Eine Reihe meiner Freunde, und auch meine Familie, hat es sich in den vergangenen Wochen zur Eigenart gemacht, mir das Gefühl zu vermitteln, ich bräuchte für mein Singlesein einen Behindertenausweis.

      „Ja, das Kind geht auch zu wenig unter Leute“, warf meine Mutter in die Kaffeerunde. Sie liebt es, mit anderen über mich zu reden, als sei ich nicht anwesend, während ich ihr genau gegenübersitze.

      „Geh doch mal in die Disco, wie junge Leute das heute so machen“, hat meine Tante mir daraufhin geraten. Ich hasse Discos. Schon die solariumbraunen Hauptschulabsolventen am Eingang, die einem erzählen wollen, man sei sturzbetrunken, obwohl man gerade mal ein Bier getrunken hat, um dann mit strengem Blick auf deinen Ausweis zu starren. Als wüssten wir nicht alle, dass der IQ zum Nachrechnen kaum reicht. Und dann betrittst du die mit Glitzer besprühten Hallen. Das Erste, was dir vor die Augen kommt, sind 40 Kilo Schminke auf zwei Mädchen verteilt, das beste Paillettentop aus dem Schrank gekramt, den Push-up auf Anschlag. Und während Sean Paul durch dein Hirn schallt, bewegst du dich durch ein Meer wackelnder Hintern, gibst dein Hartverdientes für Cocktails mit Schirmchen aus, und wenn du Glück hast, begegnet dir jemand wie Katja, die schon ein Zettelchen für dich bereithält.

      „Als ich so alt wie du war, hatte ich schon seit zwei Jahren einen Freund“, hat meine Schwester dann betont. „Na, schön für dich“, entgegnete ich zähneknirschend.

      „Ich geh jetzt mal zum Speed-Dating. Komm doch auch mit. Leichter wird es einem sonst wirklich nicht gemacht, Männer kennenzulernen“, schlug mir meine dickliche Cousine vor, der ich auch schon Johannes zu verdanken hatte, doch ich will nicht. Da sitzt man so zum Sonderpreis von 39,99 € mit hochgeschnürten sekundären Geschlechtsmerkmalen und führt verschämte Zwangskonversationen mit Outlet-Singles und betreibt dabei, wahrscheinlich sogar ohne sich verlogen vorzukommen, verschrobene Selbstdarstellung, heftiger als bei jedem Vorstellungsgespräch. Nicht mein Ding.

      „1, 2 oder 3, ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht, Singles dieser Welt“, nuschele ich mir in meinen imaginären Bart, während Matheos vertraute Kleinstadtkneipe meinen Weg kreuzt, ich kurz innehalte und hineinstarre. Der Laden ist voll, seine Insassen auch, und der Elektrobeat schallt dumpf zu mir auf die Straße. Im roten Licht, zwischen all den Köpfen, entdecke ich meine Schwester Lisa. Sie hält ein Glas Weißweinschorle am langen Arm in die Luft, während sie sich an einer Gruppe Jungs vorbeidrückt, die sie grinsend mustern. Kurz zögere ich, doch da habe ich schon den Türgriff in der Hand. Mit einem „Yeeeeeah!“ werde ich von Matheo begrüßt, der mir prompt ein schaumloses Bier und einen Deckel mit meinem Namen in großen verschmierten Lettern in die Hände drückt.

      Als Lisa mich entdeckt, fällt sie mir überschwänglich um den Hals, und bald machen wir es uns auf einer Reihe Barhockern an der Wand gemütlich. Die Fluppe hängt entspannt zwischen meinen Lippen, die Kehle brennt vom Tequila. Wie ich es liebe, beinahe stocknüchtern dazusitzen und schweigend die betrunkene Menge zu beobachten. Es ist Samstagnacht, und wieder sind sie alle versammelt, die gebrandmarkten Insassen meiner ausstrahlungsarmen, seelenfressenden Betonklotzkleinstadt.

      Vorteilhaft drapiert, billig dekoriert, allesamt im selben Hugo-Boss-Aftershave ersoffen. Niemand von ihnen ist wirklich aus Überzeugung hier, vielmehr sind sie hier gestrandet, von den nymphenartigen Lockrufen der Alkoholindustrie angezogen. Der Geist ist stark, das Fleisch ist rar. Es scheint Brunftzeit zu sein, denn alle tänzeln umeinander herum. Die Männer klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, um sich feierlich ins Spiel zu schicken. So machen sie sich zu vertrauten Fremden, die sich die Abwesenheit von Zweifel und Schüchternheit und deren Verwandten und Bekannten ertrunken haben und nun taumelnd dahängen.

      Eine bekannte Mittvierzigerin schiebt sich grinsend eine Mettwurst zwischen die Dritten, und alle lachen dreckig. Ich glaube, ich muss kotzen. Es belustigt mich gleichzeitig, denn sie scheinen enthemmt, berauscht, belanglosen Radiopop in die Nacht prügelnd, als würden sie jedes Wort, das sie mitgrölen, genauso meinen. Auf minder kreativen Zweischrittfoxtrott tanzend, von links nach rechts dribbelnd.

      Ein Finger bohrt sich in meine Schulter, und ich sehe zur Seite. Ein großer Typ mit breiten, ausladenden Schultern lächelt mich ein wenig aufgeregt an.

      „Entschuldigung, aber bist du nicht Dana?“, schreit er gegen die Musik in mein Ohr und legt dabei seine Hand auf meine Schulter, als seien wir Vertraute.

      „Ja“, schreie ich perplex zurück. Er riecht nach Bier und Aftershave.

      „Die Praktikantin?“

      „Wie bitte?“

      „Ich bin Ben.“

      „Wer?“

      „BEN!“, schreit er noch lauter in mein Ohr. Ich lehne mich zurück und sehe in sein Gesicht. Er kommt mir bekannt vor, doch kann ich ihn nicht zuordnen.

      „Sorry.“ Ich zucke mit den Schultern und grinse ihn freundlich an.

      „Ich arbeite in der Nachtschicht. Bei der Firma, in der du Praktikum gemacht hast. Wir haben telefoniert!“

      Jetzt geht mir ein Licht auf.

      „Jaja …“, wedele ich mit der Hand in der Luft herum. „Wie hast du mich erkannt?“

      „Ich muss gestehen, ich hab Jolie gebeten, mir dich auf Facebook zu zeigen.“

      „Ah …“, lächle ich.

      „Dein Praktikum ist jetzt vorbei?“

      „Ja, genau.“

      „Schade.“

      „Ja, war eine lockere Zeit.“

      „Kann ich mir vorstellen. Jolie wird ja eher fürs Rauchen bezahlt!“, lacht Ben. Er ist trotz seiner beachtlichen Größe niedlich. Er erinnert mich an den Teddy aus der Bärenmarkewerbung.

      „Ich wollte es nicht aussprechen“, stimme ich in sein Lachen ein. Große braune Augen funkeln mich an. Sein Blick fährt an mir hoch und gleitet wieder hinunter.

      „Ey, lass ma’ weiterziehen“, stößt ein ebenso großer Fremder zu uns und packt Ben bei der Schulter. Bens Augen huschen zu mir, dann wieder zu ihm, dann wieder zu mir.

      „Ähm …“, beginnt er, als er sich wieder vorgebeugt hat und seine Wange meine berührt. „Hättest du Lust, dich mal mit mir zu treffen?“

      „Öhm … ja, warum nicht?“, nuschle ich überrascht.

      „Alter, jetzt komm …“, wirft der Fremde ein und ruckelt an Bens Schulter.

      „Morgen?“, ruft Ben gehetzt.

      „Morgen?“

      „Ja, morgen.“

      „Ja … meinetwegen.“

      „Um drei am Bahnhof?“

      „Okay.“

      Zum Abschied drückt er mir einen Kuss auf die Wange und lächelt mich noch ein letztes Mal mit funkelnden Augen an, bevor er den Laden verlässt. Wie Matheo es immer macht, wenn er sieht, dass ich mich unter seinem Partyvolk langweile, schmuggelt er einen dreckigen Rocksong zwischen die Kommerzdudler,

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