Ruhrpottliebe. Lena Schätte
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„Oh, sorry“, murmelt er und schmeißt mir ein ranziges Handtuch zu.
Noch eine Weile sitzen wir auf der nassen Couch, und er spricht. Ich schenke dem Inhalt seiner Rede kaum Gehör und schaue nur, wie er dasitzt, seine riesigen Füße in blauen Wollsocken auf dem Couchtisch, mich beim Reden geradezu wie gebannt anstarrend. Mit dem boom, boom, boom ist auch jedes Kribbeln verschwunden.
Letztendlich sind wir doch alle Marionetten, die keinen Einfluss drauf haben, von wem sie sich angezogen fühlen und von wem nicht, rauscht ein Satz aus der Zeitschrift im Wartezimmer meines Hausarztes durch meinen Kopf. So verdreht das Ende, was der Anfang versprach.
Irgendwann beschließt Johannes, offensichtlich zu demselben Schluss gekommen, dass es Zeit sei, ins Bett zu gehen, es wäre ja auch schon sehr spät. So verschwinde ich mit meiner Tasche ins winzige, ebenso zugeklebte Bad und hänge mich über mein Handy. „Lagebericht: Wir benehmen uns wie Brüderchen und Schwesterchen, und die Utopie vom heißen, hemmungslosen Sex hab ich bereits begraben“, schreibe ich Carmen den obligatorischen ironischen Zwischenbericht, den ich ihr versprochen habe, putze meine Zähne und gehe wieder zurück ins Zimmer.
„Warum schreibst du mir?“, raunt mich Johannes an, der auf dem Bett sitzt und ebenfalls über seinem Handy hängt. Sein Gesicht ist auffällig gerötet.
„Hä? Ich schreib dir nicht“, antworte ich und krame in meinem Rucksack, als ich mit leichter Verunsicherung bemerke, wie mir sein Blick durchs Zimmer folgt.
„Doch klar. Jetzt gerade!“
„Nein.“
„Doch! Zwischenbericht …“ Prompt schießt mir das Blut in den Kopf, noch bevor Johannes fertig rezitiert hat. Ich muss beim Absenden der SMS nicht richtig hingeguckt haben. Das boom, boom, boom in meiner Brust ist wieder da, nur lauter und aggressiver.
„Ööhh“, kommt es so aus mir raus. Was soll ich nun noch sagen? „Die war eigentlich nicht für dich bestimmt, sondern für meine beste Freundin, mit der ich immer Späße über heute gemacht habe.“
Ein Lachen macht sich in Johannes’ Gesicht breit, doch beschleicht mich das ungute Gefühl, dass es eher ein abfälliges Über-mich-, als ein lockeres Mit-mir-Lachen ist.
„Bin ich dir zu langsam? Sollte ich dich lieber anspringen und dir die Kleider vom Leib reißen?“
„Nein, äh …“, stammele ich vor mich hin. Es ist zu spät. Das Zeitfenster, in dem aus dem Ganzen ein positiv-witziger Moment hätte werden können, hat sich geschlossen, und nun sitzen nur noch zwei Fremde in einem kleinen vollgestopften Zimmer nebeneinander, wissend, dass sie einander nach diesem Treffen zwar nie wiedersehen wollen, dank der nächtlichen Regionalbahnpause aber noch die Nacht miteinander verbringen müssen. Noch einige Minuten unterhalten wir uns über Kram, der belangloser als das Wetter ist, er beäugt mich und sieht dabei ein wenig wütend aus. Bald eröffnet er mir auch, dass wir im selben Bett schlafen müssen, da die Couch ja nun aus geschmolzenem Polster und Biermief besteht. Na, Jackpot. Ohne weitere Unterhaltungen betten wir uns nebeneinander in Johannes’ quietschende Ikeakonstruktion, so weit voneinander weg, wie es möglich ist, und schon ist er eingeschlafen. Ich liege noch Stunden wach, lausche seinem Atem und hasse mich selbst für das Fettnäpfchen, in das ich heute mit Anlauf gesprungen bin. Hin und wieder berühren sich unsere Knie, er spricht im Schlaf, und ich muss fast darüber lachen, wie sehr sich diese Situation von meinen romantischen Erwartungen unterscheidet.
Am nächsten Morgen steht er auf und zieht sich im Halbdunkel um. Als er mich noch kurz betrachtet, presse ich die Augen zu, tue, als ob ich schlafe, um den Abschiedsfloskeln zu entgehen. Dann verlässt er die Wohnung in Richtung Uni. „Kannst ja dann einfach noch ein bisschen weiterschlafen, im Kühlschrank ist provisorisches Frühstück, und wenn du gehst, zieh bitte die Wohnungstür richtig zu“, sagt er noch.
Ich verzichte auf das Frühstück, will ich doch dem Frettchengesicht nach Möglichkeit nicht über den Weg laufen. Im Bad setze ich eine Mütze auf, die das Elend auf meinem Kopf verdeckt. Ein bisschen Seife und Creme, und mein Gesicht sieht gar nicht mehr so furchtbar müde aus. Als ich zurück in sein Zimmer komme, um meine Tasche zu holen, werfe ich noch kurz einen Blick auf seine Gitarre, die in der Ecke steht. Sie sieht alt und verschlissen aus, ist mit Mad-Caddies-Stickern überzogen.
Rein theoretisch liegt der Bahnhof nicht mal einen Kilometer von Johannes’ Wohnung entfernt, doch so im morgendlichen Nebel, mit der Scham über den SMS-Fauxpas, wird die Stadt zu einem einzigen Labyrinth aus Nebenstraßen, irreführenden Schildern und Fußgängern, die selbst nicht so recht zu wissen scheinen, wo sie sich gerade befinden. Als ich endlich die Innenstadt erreiche, haben die Marktleute schon ihre Stände aufgebaut. Es riecht wie in einem übergroßen, dreckigen Kühlschrank, in dem sich auf altem Käse, stinkendem Fisch und China-Plastik Kulturen bilden. Ein älterer, dunkelhaariger Typ pfeift mir hinterher, und ich habe Lust, umzudrehen, mit Anlauf auf ihn zuzurennen, ihn umzustoßen und mich dreckig lachend auf sein Gesicht zu setzen.
Ich schlage noch etwas Zeit in der mehrstöckigen Buchhandlung an der Ecke tot, kaufe mir eine sündhaft teure Johnny-Cash-Biografie, doch das tröstet auch nicht.
Als ich wieder auf die Einkaufsmeile trete, höre ich zwei Läden weiter eine Tattoomaschine surren. Kurz überlege ich, spontan reinzuspringen und mir ein neues Tattoo stechen zu lassen. Obwohl, stechen nennt man das ja nicht mehr, hacken sagt die moderne Arschgeweih-und-Sternchen-Fraktion heute dazu. Ein Ufo, ein Glücksbärchi oder ein qualmender Hundehaufen. Irgendwas Selbstironisches. Aber so ein Frust-Tattoo macht auf Dauer wahrscheinlich auch nicht glücklich.
Die Regionalbahn lässt auf sich warten, aber irgendwann zieht die Welt dann doch durch das zerkratzte Zugfenster an mir vorüber. All die Städte, wie Bilder aus einem hässlichen Bilderbuch. Menschen, wie schlecht bemalte Miniaturpüppchen, die man mit einem Schnipser von Daumen und Zeigefinger kilometerweit fliegen lassen könnte.
Kapitel II
„Sollten wieder Herzen schnitzen –
wenn du noch Holz findest, Baby.“
Pascal Finkenauer
Ich trage einen beigen Rock, dazu eine braune Bluse und komme mir tierisch seriös vor, als ich die Treppe zum Büro erklimme. Jolie, die bildschöne Französin, die mir die Praktikumsstelle besorgt hat, wartet bereits auf mich.
„Schön, dass du da bist. Willkommen!“, begrüßt sie mich herzlich und zieht mich in eine enge Umarmung.
„Vielen Dank“, lächle ich freundlich.
„Ich kümmere mich die kommenden 14 Tage um dich. Du begleitest mich einfach, greifst mir ein bisschen unter die Arme, und ich erkläre dir so das eine oder andere“, erklärt sie und drückt ihre Kippe unter einer ihrer braunen Sandalen aus. Dabei wackeln ihre großen roten Perlenohrringe wild neben ihrem Gesicht.
„Super!“
Ich