Rasse, Klasse, Nation. Immanuel Wallerstein
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Wir wissen, was bei der Übersteigerung von Rassismus und Sexismus geschieht. Rassisten können versuchen, die zum Feind stilisierte Gruppe völlig auszumerzen – auf schnelle Art und Weise, wie etwa in der Vernichtung der Juden durch die Nazis, oder mit geringerem Tempo, wie bei der Durchsetzung totaler Apartheid. In diesen extremen Formen sind die rassistischen und sexistischen Ideologien irrational, und genau deshalb treffen sie auf Widerstand. Dieser Widerstand geht natürlich von den Opfern aus, ebenso jedoch von wirtschaftlichen Machtstrukturen, die gegen den Rassismus an sich nichts einzuwenden haben, aber Wert darauf legen, dass sein hauptsächliches Ziel – eine ethnisierte und zugleich produktive Arbeiterschaft – nicht in Vergessenheit gerät.
Wir können uns auch vorstellen, was die Übersteigerung des Universalismus zu bewirken vermag. So könnte man auf eine wahrhaft egalitäre Verteilung von Arbeitsleistungen und -vergütungen hinarbeiten, in der Gesichtspunkte der ethnischen Herkunft oder des sozialen Geschlechts keine Rolle mehr spielen. Doch lässt sich der Rassismus leichter ins Extreme steigern als der Universalismus, denn was Letzteres angeht, so müssten nicht nur die gesetzlichen und institutionellen Hindernisse, die dem Universalismus im Wege stehen, beseitigt werden, sondern auch die internalisierten Muster der Ethnisierung, und das dauert mindestens eine Generation. Von daher fällt es relativ leicht, der Übersteigerung des Universalismus Widerstand zu leisten. Man kann nämlich immer dann, wenn es um konkrete Schritte zur Beseitigung der institutionalisierten Strukturen von Rassismus und Sexismus geht, im Namen des Universalismus selbst anklagend auf den sogenannten umgekehrten Rassismus verweisen.
Was wir also vor uns haben, ist ein System, dessen Funktionieren auf einer engen Verbindung zwischen Universalismus und Sexismus/Rassismus (jeweils in der richtigen Dosierung) beruht. Und es gibt immer Bestrebungen, die eine oder die andere Seite dieser Gleichung gewissermaßen »ins Unendliche« zu steigern. Daraus ergibt sich eine Art von Zickzack-Muster, das beliebig weitergeführt werden könnte, gäbe es da nicht ein Problem. Nach einer bestimmten Zeit schlägt die Linie nach beiden Seiten immer stärker aus, sowohl in Richtung des Universalismus als auch in Richtung des Rassismus/ Sexismus. Beide Seiten spielen mit immer höherem Einsatz, und zwar aus zwei Gründen.
Einerseits gibt es den auf Informationen beruhenden Einfluss, der Akkumulation historischer Erfahrung, der sich auf alle Beteiligten auswirkt. Andererseits gibt es die konjunkturellen Trends des Systems selbst. Denn die universalistischen und rassistisch-sexistischen Ideologien bilden nicht das einzige Zickzack-Muster dieses Systems, sondern hängen zum Teil mit anderen Schwankungen zusammen, wie zum Beispiel mit wirtschaftlichen Expansions- und Kontraktionsvorgängen, die sich ebenfalls im Lauf der Zeit verschärfen. Die Gründe dafür können hier nicht weiter ausgeführt werden. Je schärfer aber die dauerhafte strukturelle Krise ist, in die der Kapitalismus durch die hauptsächlichen Widersprüche des modernen Weltsystems gezwungen wird, desto stärker kristallisiert sich die zunehmende Spannung zwischen Universalismus und Rassismus/Sexismus als der eigentliche ideologisch-institutionelle Ort einer Suche nach einem System heraus, das die Nachfolge der kapitalistischen Weltwirtschaft antreten kann. Es kann nicht darum gehen, welche Seite dieser Antinomie in irgendeiner Hinsicht den Sieg über ihren Gegenpart davontragen wird, denn sie sind einander schon von ihrer Konzeption her eng verbunden. Es geht vielmehr darum, ob und auf welche Weise wir neue Systeme erfinden werden, die weder der universalistischen, noch der rassistisch-sexistischen Ideologie bedürfen. Darin besteht unsere Aufgabe, und sie ist alles andere als einfach.
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