Rasse, Klasse, Nation. Immanuel Wallerstein

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Rasse, Klasse, Nation - Immanuel Wallerstein

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kann Angehörige einer anderen Gruppe, die durch genetische Merkmale (wie etwa Hautfarbe) oder soziale Kriterien (religiöse Zugehörigkeit, kulturelle Prägung, Sprachformen) gekennzeichnet ist, verachten oder sich vor ihnen fürchten. Doch ist der Rassismus, obwohl er solche Haltungen einschließt, sehr viel mehr als das. Im Verhältnis zu dem, was die Praxis des Rassismus in der kapitalistischen Weltwirtschaft definiert, sind Furcht und Verachtung lediglich Sekundärerscheinungen. Tatsächlich ließe sich sogar behaupten, dass diese durch Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie) bestimmten Haltungen einen Aspekt des Rassismus darstellen, der in sich einen Widerspruch enthält.

      In allen dem Kapitalismus vorangegangenen historischen Systemen hatte die Xenophobie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten zur Folge: den physischen Ausschluss des »Barbaren« aus der jeweiligen Gemeinschaft, Gesellschaft oder In-group – wobei der Tod die extremste Form dieser Ausschließung darstellte. Wann immer wir den anderen physisch ausschließen, erlangen wir die »Reinheit« der sozialen Umgebung, die wir vermutlich erstreben, gleichzeitig jedoch verlieren wir unwiderruflich etwas anderes. Wir verlieren die Arbeitskraft der ausgeschlossenen Person, und damit ihren Beitrag zur Schöpfung eines Mehrwerts, den wir uns auf einer geregelten Grundlage aneignen können. Das stellt für jedes historische System einen Verlust dar, als besonders ernst erweist er sich jedoch dann, wenn die ganze strukturelle Logik des Systems auf der endlosen Kapitalakkumulation beruht.

      Ein expandierendes kapitalistisches System (und es expandiert während der Hälfte der Zeit) benötigt die gesamte Arbeitskraft, die es finden kann, weil nur sie die Güter hervorbringt, mittels derer mehr Kapital produziert, realisiert und akkumuliert werden kann. Von daher ist der Ausschluss aus dem System sinn- und zwecklos. Doch zur Maximierung der Kapitalakkumulation ist es notwendig, zugleich die Produktionskosten (und mithin die Kosten der Arbeitskraft) und die Kosten, die durch politische Störungen entstehen, zu minimieren (das heißt, den politischen Protest der Arbeiterschaft möglichst gering zu halten, denn gänzlich beseitigen lässt er sich nicht). Der Rassismus ist die Zauberformel, die diese Zielvorstellungen miteinander in Einklang bringt.

      Werfen wir einen Blick auf einige der frühesten und bekanntesten Diskussionen über den Rassismus als Ideologie. Als die Europäer die Neue Welt entdeckten, trafen sie auf Menschen, die sie in großer Zahl abschlachteten – entweder auf direkte Weise, durch das Schwert, oder auf indirekte Weise, durch Krankheiten. Ein spanischer Mönch, Bartolomé de Las Casas, nahm sich der Sache dieser Menschen an, indem er die Behauptung aufstellte; auch Indianer hätten eine des ewigen Heils bedürftige Seele. Damit gewann er die formelle Zustimmung der Kirche und schließlich auch die der Staaten. Wir wollen die Implikationen seiner Argumentation ein Stück weit verfolgen. Da die Indianer eine Seele besaßen, waren sie menschliche Wesen und der Gültigkeit des Naturrechts unterstellt. Von daher war es moralisch nicht erlaubt, sie unterschiedslos umzubringen (aus dem Herrschaftsgebiet zu verstoßen). Stattdessen war es geboten, ihre Seelen zu retten (sie zu den universalistischen Werten des Christentums zu bekehren). Wenn sie dementsprechend lebendig und auf dem Wege der Bekehrung befindlich wären, könnten sie in die arbeitende Bevölkerung integriert werden, und zwar auf dem Niveau ihrer Fähigkeiten, das heißt auf der untersten Stufe der Beschäftigungs- und Lohnskala.

      In seiner Funktion hat der Rassismus die Form dessen angenommen, was man als »Ethnisierung« der Arbeiterschaft nennen könnte. Damit meine ich, dass es zu allen Zeiten ein hierarchisches System von Arbeitsleistungen und Vergütungen gegeben hat, das seiner Tendenz nach mit einigen sogenannten gesellschaftlichen Kriterien korrelierte. Doch während das Muster der Ethnisierung konstant geblieben ist, haben sich die Details je nach Zeit und Ort unterschiedlich gestaltet und hingen von den jeweiligen genetischen und gesellschaftlichen Strukturen, die zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort existierten, ebenso ab wie von den hierarchisch organisierten Bedürfnissen der Wirtschaftsform zu jener Zeit und an jenem Ort.

      Das heißt, der Rassismus behauptet einerseits die Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart (in genetischer und/oder gesellschaftlicher Hinsicht), verbindet dies aber andererseits immer mit einer gegenwartsbezogenen Flexibilität, wenn es um die Definition der exakten Grenzen jener verdinglichten Wesenheiten geht, die wir Rassen oder ethnische, nationale, religiöse Gruppierungen nennen. Diese Flexibilität, die das Weiterbestehen von in der Vergangenheit liegenden Grenzen behauptet und zugleich in der Gegenwart diese Grenzen ständig neu bestimmt, nimmt die Form der Schöpfung und fortwährenden Neuschöpfung rassisch und/oder ethnisch, national und religiös gekennzeichneter Gruppen oder Gemeinschaften an. Diese Gemeinschaften gibt es zu jeder Zeit, und sie sind immer hierarchisch organisiert, doch sie existieren nicht immer in genau der gleichen Form. Einige Gruppen sind in der hierarchischen Ordnung nicht auf einen bestimmten Rang fixiert; einige Gruppen können verschwinden oder sich mit anderen zusammenschließen; andere wiederum brechen auseinander und es entstehen neue Formationen. Doch es gibt immer einige, die die »Nigger« sind. Wenn es keine Schwarzen gibt, oder zu wenige, die die Rolle übernehmen könnten, dann werden eben »weiße Nigger« erfunden.

      Ein so geartetes System, d. h. ein der Form und Bösartigkeit nach konstanter, bezüglich der Grenzziehungen aber einigermaßen flexibler Rassismus, ist in dreierlei Hinsicht äußerst leistungsfähig. Zum einen erlaubt es, zu jeder Zeit und an jedem Ort entsprechend den aktuellen Bedürfnissen die Anzahl der Menschen, welche die niedrigsten Löhne erhalten und die anspruchslosesten Arbeiten verrichten, zu vergrößern oder zu verringern. Zum Zweiten führt es zur Entstehung und kontinuierlichen Reproduktion von Gemeinschaften, deren Sozialisationsformen Kinder auf die Übernahme entsprechender Rollen vorbereiten (wobei diese Sozialisation allerdings auch widerständige Haltungen hervorruft). Zum Dritten schafft das System eine nicht auf Verdienst und Leistung beruhende Grundlage, um Strukturen der Ungleichheit zu rechtfertigen. Gerade dieser letzte Punkt verdient es, hervorgehoben zu werden. Gerade weil der Rassismus eine anti-universalistische Lehre vertritt, erweist er sich bei der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems als hilfreich. Dank seiner Existenz können die Vergütungen für einen Großteil der Arbeiterschaft viel geringer ausfallen, als es auf der Basis von Verdienst und Leistung zu rechtfertigen wäre.

      Aber wenn der Kapitalismus als System den Rassismus hervorbringt, muss er dann notwendigerweise auch den Sexismus hervorbringen? Ja, weil die beiden de facto eng miteinander verbunden sind. Die Ethnisierung der Arbeiterschaft hat ihren Daseinsgrund in den äußerst niedrigen Löhnen für ganze Gruppen innerhalb der arbeitenden Klasse. Diese Niedriglöhne sind faktisch nur deswegen möglich, weil die Lohnabhängigen in Haushaltsstrukturen eingebunden sind, in denen die Lohneinkünfte nur einen geringen Bruchteil des gesamten Haushaltseinkommens bilden. Solche Haushalte erfordern einen extensiven Aufwand für die sogenannten Subsistenzarbeiten, die zum Teil natürlich von den männlichen Erwachsenen, in viel größerem Maße aber von den Frauen und, nicht zu vergessen, den Alten und Jungen beiderlei Geschlechts ausgeführt werden müssen.

      In so einem System »kompensiert« die für unbezahlte Arbeit aufgewendete Leistung das geringe Ausmaß der Lohneinkünfte und stellt von daher faktisch eine Subvention der Unternehmer dar, die in solchen Haushalten lebende Lohnabhängige beschäftigen. Der Sexismus lässt uns das vergessen. Wie der Rassismus mehr ist als nur Fremdenfeindlichkeit, so ist der Sexismus mehr als die Tatsache, dass die Frauen gezwungen sind, andere, wo nicht gar als gering eingestufte Arbeiten zu leisten. Rassismus und Sexismus verfolgen die gleiche Absicht: die Menschen sollen innerhalb des Arbeitssystems bleiben und nicht aus ihm hinausgeworfen werden.

      Auf welche Weise werden Frauen – wie auch die Alten und die Jungen – dazu veranlasst, für die Kapitaleigner Mehrwert zu erwirtschaften, ohne auch nur einen Pfennig Geld dafür zu bekommen? Ganz einfach: ihre Arbeit wird als Nicht-Arbeit ausgegeben. So erfindet man die »Hausfrau« und behauptet, dass sie keine »Arbeit verrichte«, sondern lediglich »den Haushalt führe«. Wenn folglich eine Regierung die Prozentzahl der tatsächlich in Lohn- und Brot- Stehenden berechnet, sind »Hausfrauen« weder im Nenner noch im Zähler der Berechnung enthalten. Dergestalt kann man so tun, als würde die Arbeit der Hausfrau keinen Mehrwert produzieren, und genau das Gleiche gilt für die vielfältigen unbezahlten Arbeitsleistungen der Jungen und Alten. Denn mit dem Sexismus geht die Abwertung bestimmter Altersstufen

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