Der taube Himmel. Herbjørg Wassmo

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Der taube Himmel - Herbjørg Wassmo

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ihn, seinesgleichen nicht zu verachten. Ein Fischer musste riechen, wenn er zu seiner Frau kam! Ja, ja. Sogar Simon konnte gewisse Dinge, die er nicht mochte, mit Wohlwollen betrachten, wenn Rakel sie in Schutz nahm.

      An diesem Abend war Simon Strohwitwer. Er war zu Hause in Bekkejordet im Kreis herumgelaufen und hatte Daumen gedreht. Zu guter Letzt hatte es ihn nach Været und in die Tobiashütte gezogen. Dort war nicht viel von Karfreitag zu spüren. Die einheimischen Fischer waren nach Hause gekommen, und die auswärtigen waren weggefahren. Der Tabaksqualm von den Heimkehrern war ebenso grau wie der von den Fremden, auch wenn die Einheimischen etwas hellere Kleider anhatten. Sie hatten Frauen auf der Insel, die alles in Ordnung hielten.

      Die Köchin hatte eine liebevolle Hand gehabt und einen Kätzchenzweig in einer Flasche auf den Tisch gestellt. Die Flasche wackelte jedes Mal gefährlich, wenn die Männer den Ellenbogen wechselten, um das feiertäglich gesäuberte Haupt zu stützen, oder eine Karte auf den Tisch knallten und den Stich mit einer ausholenden Armbewegung einholten.

      »Die Heimen mit Netzen und dem ganzen Kram, Echolot und übriger Ausrüstung, kommt nach Ostern zur Zwangsauktion«, verkündete einer der Männer und strich sich ernst übers Kinn. Als ob er erstaunt wäre, dass dort ein Bart wuchs, strich er ungläubig noch ein paarmal darüber. Dann begann er an den Stoppeln zu zupfen, um sie mit der Wurzel auszureißen.

      »Pul dir nicht im Gesicht rum, Mann, du bist hier nicht allein. Es wird wohl noch mehr passieren als nur das, nach dieser Saison!«, sagte eine bissige Stimme.

      Simon hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn das Gespräch diese Wendung nahm. Früher oder später würde ein Sündenbock für die schlechten Zeiten gefunden werden.

      Henrik saß mit gesenktem Kopf beim Ofen. Er hatte die Stiefel ausgezogen und war in sich zusammengesunken, als ob er schliefe. Aber alle wussten, dass er leidlich nüchtern war und dass er das Gespräch wie ein Habicht verfolgte, auch wenn er sich kaum einmischte.

      »Biste lange auf dem tollen Schiff gefahren?«, fragte Håkon, einer von denen, die man sehr oft in der Tobiashütte hören konnte.

      »Zwei Jahre. Weiß der Teufel, wie es jetzt weitergeht, es ist nicht mehr viel übrig, wovon wir nach Finnmark fahren können, wenn die Fischerbank ihr Geld bekommen hat.«

      »Sie sind wie der Teufel, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht, nehmen sie gleich die ganze Hand!« Einar spuckte auf den Boden. »Man sollte beim Simon anheuern«, fügte er hinzu und schielte gleichzeitig zu Simon hin.

      »Meine Mannschaft ist komplett«, sagte Simon. »Aber es gibt wohl eine Möglichkeit. Sie können ja nicht einfach die Boote nehmen. Das wäre doch, wie die Leute in den Schuldturm zu werfen. Es ist doch klar, ohne Arbeitsplatz kann keiner seine Schulden bezahlen.«

      »Du redst wie ’n Pastor«, fauchte Einar.

      »Pastor kannste selber sein«, meinte Simon gutmütig.

      »Wo ist übrigens die Rakel zu Ostern?«

      »In Breiland, soviel ich weiß.«

      »Habt ihr da Verwandte?«

      »Nein.«

      Henrik richtete sich in seiner Ofenecke auf. »Manche sind so stinkvornehm, dass sie Ostern nicht mehr zu Haus feiern können. Sie wohnt wohl im Hotel, die Rakel? Und strickt Osterhäschen, was?«

      Simons Gesicht verdunkelte sich. Er brachte keine Antwort heraus. Es wurde still um den Tisch. Die Männer senkten den Kopf und vermieden, Simon anzusehen.

      Da war der schroffe Håkon, der ein böses Maul hatte, der aber eher weinte als eine Frau und half, wo er nur konnte. Da war der sture, naive »Himmelsnarr«, den die Leute nicht für einen ordentlichen Menschen hielten, weil er schielte und mit dem Kopf wackelte. Da war Nas-Eldar, der den Lastwagen vom Dahl fuhr, der überall war, nur nicht da, wo er sein sollte. Da war Einar von der Veranda-Dachstube, der einst vom Pfarrhof vertrieben wurde, weil er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, Speck aus dem Vorratshaus des Pfarrhofs mitzunehmen – und der plötzlich ein Dieb war, als der neue Pastor kam. Er las Bücher und kam wie ein Prophet mit Warnungen über die allen Dingen innewohnende Teufelei. Der Grünschnabel war auch da. Er war viel zu jung, um mit den alten Männern in der Hütte zu sitzen, aber er wurde trotzdem geduldet, weil er solche Schwierigkeiten hatte, eine Frau zu finden, und weil sich doch irgendwer um ihn kümmern musste. Schließlich war da noch Kornelius, der keinen Spitznamen und keine Besonderheit hatte, der es aber auch nie sehr eilig hatte, nach Hause zu gehen. Und noch zwei andere. Alle waren gleichermaßen verlegen.

      Einar, der sonst den Mund als Letzter aufmachte. Leise, während er an einem Loch im Zahn lutschte: »Du sollst jetzt Ruh geben, Henrik. Du weißt, es ist noch so zeitig im Jahr, dass der Mist friert, wenn man ihn ausstreut.«

      »Du hast ein ziemlich scharfes Maul, wie ich hör. Was meinste damit?«, fragte Henrik. Er war sauer wie ein Seemannshandschuh, der wochenlang benutzt worden war.

      »Wenn du dich nicht anständig benimmst, dann schmeißen wir dich raus. Wir beziehen Stellung. Ist das klar? Für den Simon. Du hast mal im Gefängnis gesessen, reicht das nicht? Ich versteh nicht, dass der Simon es nach der Brandgeschichte noch über sich bringt, mit dir in einem Raum zu sitzen.«

      Niemand hatte es für möglich gehalten. Trotzdem geschah es. Henrik fuhr hoch, erstaunlich schnell. Dann saß seine gesunde Faust mitten in Einars Gesicht. Der alte Mann zuckte ein bisschen, ehe er vom Stuhl glitt.

      Henrik stand mit wilden Augen mitten im Raum. Der Alte lag wie ein Sack vor dem Ofen. Die Männer waren aufgesprungen. Hocker und Lederstiefel. Sonderbare Kehllaute. Eine Art Fauchen. Wie auf Kommando fielen sie über Henrik her. Endlich! Sie hatten lange darauf gewartet. Jetzt war die Gelegenheit da. Simon war mittendrin, ohne es selbst zu wissen. Alle schlugen drauflos, als ob das ganze Leben, die Gefahr eines Konkurses, der fehlgeschlagene Fischfang, unbezahlte Rechnungen – alles sich in ihren Fäusten konzentrierte. Die Arme flogen wie Windmühlenflügel und trafen das Ziel wo auch immer.

      Schließlich nahmen die Männer wahr, dass zwei Körper am Boden lagen. Einar und Henrik. Sie standen mit hängenden Armen im Kreis um die beiden herum und atmeten schwer. Der Karfreitag schlich sich barfuß zu ihnen herein, aber es gab keine andere Möglichkeit. Der Mann musste fertiggemacht werden. Endlich! Der Schächer kam ans Kreuz. Um die Wahrheit zu sagen, es waren bestimmt viele Schächer. Aber Christus war nicht da. Deshalb nahmen sie Strafe und Vergebung in die eigene Hand. Es war nicht zu ändern.

      Håkon weinte ein wenig, als er sah, wie übel es um Einars Nase stand. Er verfluchte und beschimpfte einen am Boden liegenden Henrik, der überhaupt nicht imstande war, einen Laut zu hören. Jemand holte eine Schüssel Wasser und fing unbeholfen an, das Elend in Ordnung zu bringen.

      Simon sah lange zu. Sein Oberkörper war ganz steif, aber er spürte, wie gut es getan hatte draufloszuschlagen. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, wie wenig es von den Problemen, die zwischen Bekkejordet und dem Tausendheim bestanden, gelöst hatte. Dennoch: Was für eine Erleichterung war es gewesen! Die Männer hatten mitgemacht. Es gab keinen Zweifel daran, wer Simon war – und wer Henrik! Aber beim Weiterspinnen dieses Gedankens: Wusste Henrik, warum Rakel in Breiland blieb? Während Simon es nicht wusste? Da schoben sich rote Wolken vor seine Augen. Er stieß mit dem Stiefel gegen den leblosen Körper, ganz kurz. Hart.

      Simon wollte nicht dabei sein, wenn sie Henrik nach Hause zu Ingrid brachten, nachdem sie ihn mühsam wieder zum Leben erweckt hatten. Er war feige. Außerdem war er verwirrt über die süße Rache, die in den wütenden Schlägen gelegen hatte.

      Simon erinnerte sich

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