Er, Sie und Es. Marge Piercy

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Er, Sie und Es - Marge Piercy

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um zu beschützen. »Du solltest nicht mehr Kraft gebrauchen, als jeweils notwendig ist.«

      »Aber ich habe dich beschützt. Jetzt können sie nicht darüber reden, wer heute Nacht aus dem Ghetto kam.«

      »Aber ihre Leichen vor der Mauer werden auf den geheimen Ausgang aufmerksam machen. Juden werden die Schuld an dem Mord bekommen. Joseph, du sollst uns vor Schwierigkeiten bewahren, nicht uns in Schwierigkeiten bringen.«

      »Lass ihn sie zum Fluss bringen und hineinwerfen. Dann wird uns nichts mit ihnen verbinden«, sagt Jakov. »Ich gehe mit ihm, Rabbi. Warte drinnen.«

      Itzak und der Maharal verbergen sich im Gebüsch und warten. Schon ist der Himmel durchsetzt mit dem bleichen Grau der ersten Dämmerung, nicht, als ob das Licht käme, sondern als ob die Dunkelheit sich abnutzte. Der Wind hackt bitterkalt auf sie ein und schneidet durch ihre Kleider. Der Maharal fühlt sich schwach. Er lehnt sich an Itzak. Sein langes Fasten hat ihn eingeholt.

      Itzak nutzt die Schwäche des Maharal, um zu sagen: »Lehrer, vielleicht war das ein Fehler. Wir könnten ihn leicht sofort in Lehm zurückverwandeln und niemand würde je davon erfahren. Niemand außer uns hat ihn gesehen.«

      »Bis auf die Wächter«, sagt Judah leise. Die Morde haben ihn tief erschüttert. Natürlich hat er gesehen, wie Leute auf dem Marktplatz hingerichtet oder von Raufbolden überfallen und erschlagen wurden; dies sind gewalttätige Zeiten und niemand mit Augen im Kopf kann vermeiden, frische Leichen zu sehen. Aber an diesem Verbrechen fühlt er sich beteiligt, und das ist neu und erschreckend.

      »Maharal, wir können ihn wieder zu Lehm machen. Als hätte es ihn nie gegeben.«

      Judah nimmt seine Kräfte zusammen, um sich aufzurichten. In wenigen Augenblicken wird er in sein eigenes warmes Bett sinken und Perl wird ihn umsorgen. Perl wird ihn erwarten, das weiß er. Sie wird ihn schelten, weil er sich so verausgabt, weil er die ganze Nacht draußen bleibt, weil er sich zu Tode hungert. Sie wird ihn mit warmer Suppe füttern, sie wird ihm einen warmen Ziegelstein ins Bett legen und ihn mit einem Federbett zudecken. Er wird nicht mehr frieren und er wird schlafen. »Was ich getan habe, ist richtig. Mir wurde eine Vision geschickt und gesagt, was ich zu tun habe. Er ist unser Beschützer. Er wird lernen. Und er ist gehorsam. Wir müssen nur Acht geben, was wir ihm auftragen – wir müssen genau sein, wir müssen sorgfältig darauf achten, was wir sagen. Denn was wir befehlen, wird er ausführen.«

      Der Maharal ist unsicher, ob er wirklich froh ist, den Golem aus der dünner werdenden Dunkelheit schreiten zu sehen, oder ob er insgeheim hoffte, der Golem sei in die Nacht entschwunden und nur Jakov käme zurück.

      »Joseph«, beginnt der Maharal, sobald sie drinnen in Sicherheit sind. »Töten ist falsch. Du wurdest geschaffen, um für uns den Frieden zu wahren.«

      »Ich habe dich beschützt. So, wie ich es muss.« Der Golem steht da, plattfüßig, geduldig. Er schaut aus, als könne er den ganzen Tag so stehen und die Mauern anstarren, die Steine der engen, gewundenen Gasse. Die Häuser der Armen sind aus rohen Baumstämmen gebaut; die besseren Häuser aus behauenem Holz oder Stein. Alles fasziniert ihn: eine Katze, die über eine Mauer in Sicherheit schlüpft, ein paar Grashalme, die zwischen den Pflastersteinen hervorbrechen. »Warum bist du böse auf mich?«

      »Du musst vorsichtiger sein, Joseph. Deine Kraft ist groß, aber dein Geist ist schwach.«

      »Vielleicht kann er wachsen, Lehrer. Vielleicht kann mein Geist auch stark sein. Aber ich muss dich schützen.«

      So beginnt der Dienst des Golems für die Juden von Prag, während der Maharal von bitterem Zweifel erfüllt ist. Was hat er ins Leben gerufen? Welche Gewalt hat er auf die Welt losgelassen? Er ist ein Mann des Friedens. Er will nur seine Herde behüten. Alle Gewalt in seinem Leben war die Gewalt der Worte. Die Gebete, die er in der Synagoge führt, sprechen unablässig vom Frieden – schalom, schalom –, obwohl der Frieden für die Juden selten anhält. Was sie an Frieden kennen, ist der Friede der wenigen ohne Macht oder Waffen, umgeben von den vielen mit beidem. Thaddeus predigt jede Woche gegen sie. Die mächtigen Handwerksgilden haben schon ein Opfer gefordert, Chaim den Silberschmied, dessen verstümmelten Körper – jeder Nagel ausgerissen, das Auge auf der zerfetzten Wange baumelnd, zahnlose Kiefer, zerschmetterte Füße – er unwillkürlich sieht, wenn er die Augen schließt. Niemand, der das Ghetto verlässt, entgeht Schmähungen, vereinzelten Überfällen in den Straßen der Stadt. Etwas gärt und brodelt, etwas, das von warmem, frischem Blut lebt wie eine Zecke.

      Judah hat seine rabbinischen Nebenbuhler mit Worten bekämpft. Mit Worten zertrümmert er ihre Schlussfolgerungen, mit Worten drischt er auf ihre Werke aus Worten ein, ihre Bücher, ihre von Hand zu Hand gereichten Manuskripte, ihre Predigten und Vorträge. Mit Worten schuf er diesen Golem. Aber dieses Ungeheuer kämpft nicht mit Worten.

      11

Shira

      Er, Sie und Es

      Yods Augen waren seltsam, dachte sie, obwohl die Farbe keineswegs ausgefallen war, ein Braun, heller als ihre Augen, mit grünen Tupfen in der weiten Iris. Aber die Augen fixierten sie mit ungerührtem und durchdringend neugierigem Blick, rund, glänzend und hart wie die eines Falken. Wäre das Cyborg eine große Katze oder ein sehr großer Vogel gewesen, sie hätte sich vorstellen können, dass es sich fragte, ob dieses Ding, nämlich sie, wohl gut zu fressen sei. Während es auf Eingaben wartete, hatte es da Gedanken in irgendeinem Sinn, den ein Mensch verstehen konnte? Saß es nicht vielmehr leer und untätig da wie jede andere Maschine vor dem Startbefehl?

      Yod hatte eine Präsenz, vielleicht hatte Malkah das gemeint, als sie es eine Person nannte. Gimel war einfach bloß, mit ebenso wenig Ausdruck wie ein Reinigungsroboter oder ein Getränkewagen. Yod hingegen stellte eine ganze Reihe von Forderungen, einfach, indem es sie mit diesen hungrigen Augen fixierte und wartete … worauf? Wissen, Beachtung, Kenntnisse, die es verschlingen konnte: Schließlich war sie dazu da, um dies zu vermitteln. Aber sie mochte nicht als übergroßes Kind an es denken, dem sie Gouvernante sein sollte.

      Sie begann jedoch, wie sie es bei einem Kind getan hätte, mit einer Versuchsreihe. Für den Rest des Tages plante sie die üblichen Tests. Zur Mittagszeit war sie müde, Yod natürlich nicht. Sie hatte das Gefühl, es hätte am liebsten dagesessen und ein ganzes Jahr lang Tests gemacht. Fragen zu beantworten und Information aufzurufen war eine seiner Funktionen, und das konnte es ewig tun. Wie hatte Gadi Prüfungen gehasst! Avram hatte in gewissem Sinn den Schüler geschaffen, den er gewollt und in seinem Sohn nicht bekommen hatte: eine Lernmaschine. In manchen Bereichen intellektueller Entwicklung und Fähigkeit lagen Yods Leistungen weit über menschlichen Grenzen; in anderen war es durchaus innerhalb normalmenschlicher Parameter. Es war wie ein aufgewecktes Kind, vielleicht so ein Kind, wie Josh es gewesen war, frühreif in seinen naturwissenschaftlichen und mathematischen Kenntnissen, doch ziemlich zurückgeblieben in seinem Verständnis für menschliche Beziehungen und innere Werte. Metaphorisches Denken schien es aus dem Konzept zu bringen. Es neigte dazu, Gespräche wörtlich zu verstehen.

      An ihrem zweiten Tag miteinander begann sie da, wo sie aufgehört hatte: bei metaphorischem Denken, der Fähigkeit, Analogien herzustellen. Sie führte einen einfachen Test durch, der für sehr kleine Kinder vorgesehen war. Yods Resultat war null.

      Sie probierte das Gedicht von Robert Burns aus:

      Oh, mein Lieb ist wie die Rose rot,

      Die frisch im Juni blüht.

      Oh, mein Lieb ist wie die Melodie,

      Die süß zum Herzen zieht.

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