Er, Sie und Es. Marge Piercy

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Er, Sie und Es - Marge Piercy

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von Gimel erinnerte, als das noch ein Gesicht gehabt hatte, also musste Avram wohl irgendwann eine neue Matrix entwickelt haben. Es war mit weiten, hässlichen Kleidungsstücken angezogen, in grellen Farben, Orange und Gelbgrün und matt glänzend, von der Art, wie sie unathletische Männer trugen, die sportlich wirken oder kundtun wollten, dass sie im Urlaub waren. Immer wenn Yod sich bewegte, machten seine Hosen leise, raschelnde Geräusche wie ein Mäusenest. Vielleicht war das Allererste, ihm neue Sachen auszusuchen und ihm beizubringen, wie man sich kleidete. Sie hatte das für Josh tun müssen. Ein Cyborg konnte kaum weniger Sinn für Kleidung haben als ihr Exmann. Hätte sie Josh doch auch umprogrammieren können!

      »Was ist aus den Modellen zwischen Gimel und diesem hier geworden?« Sie nahm an, er hatte bei Alef angefangen und sich durch das hebräische Alphabet gearbeitet. Yod fuhr auf ein Geräusch von außen hoch, sprang über den Tisch zur Wand, presste sich dagegen und lauschte. Kam langsam zurück, lauschte dabei weiter. Diese Schreckhaftigkeit würde schwer zu ertragen sein. Sie fragte sich, ob Avram es überhaupt abschalten und seine Energiequelle herunterregeln konnte. Ein hyperaktives Cyborg. Es erinnerte sie an einen jungen Wachhund, einen unreifen Dobermann, außer dass es sich mit erstaunlicher Grazie bewegte. Es bewegte sich nicht wie der andere Roboter, Gimel, langsam und offensichtlich nach einem algorithmischen Programm für die Bedienung jedes Fingers. Es bewegte sich wie eine große Katze, schneller als menschliche Reaktion, aber geschmeidig. Diese Geschwindigkeit und diese Grazie waren unbehaglich bei etwas Mechanischem, aus welchen Bestandteilen es auch immer gebaut war.

      »Die hatten alle Funktionsstörungen«, sagte Avram. »Einige waren unkontrollierbar gewalttätig. Deshalb habe ich schließlich Malkah bei der Software hinzugezogen. Es war aberwitzig teuer, bis mir Yod gelang. Bisher macht er sich gut.«

      Yod sagte leiser, als es zuvor gesprochen hatte: »Ich bin der Erste, der die Aufträge meines Vaters ausführen kann.«

      »Deines Vaters?«

      Avram zuckte die Achseln und sah verlegen drein. »Seit Yod mit dem Studium menschlicher Gesellschaftsorganisation begonnen hat, bezeichnet er mich manchmal so. Schließlich habe ich ihn gemacht, und bei ihm habe ich mich besser angestellt als bei Gadi, das muss ich sagen. Zu schade, dass Gadi nicht ein Viertel von Yods Fähigkeit hat, sich zu konzentrieren und zu lernen.«

      »Jedenfalls bin ich nicht deine Mutter«, sagte Shira unverblümt. »Ich habe einen Sohn.«

      »Avram ebenfalls«, sagte Yod. »Außer mir. Aber es ist mir verboten, Gadi kennenzulernen. Werde ich deinen Sohn kennenlernen?« Es überwachte ständig den Raum, es verhielt sich, als rechnete es damit, dass ein Stuhl sie ansprang und attackierte.

      »Es wäre schön, wenn das möglich wäre«, sagte sie. »Er ist mir weggenommen worden.«

      »Malkah hat mir davon erzählt«, sagte Avram. »Eine Schande. Aber immerhin hat dich das hergebracht, nicht wahr?«

      »Es hat mich hergebracht, ja.« In einer Anwandlung heftiger Verzweiflung wandte sie sich von beiden ab. Als sie heranwuchs, war ihr Avram nie wie ein richtiger Vater vorgekommen, so wie die Väter ihrer Freundinnen, er war vielmehr genial, fremd, gepanzert. Sie selbst hatte nie einen Vater gehabt. Deshalb hatte sie beschlossen, dass ihr Kind beide Eltern haben sollte, auf altmodische Art. So viel zu diesem Hirngespinst. Jetzt betrachteten alle beide sie mit gleicher, hellwacher Neugier, kalt, eindringlich, aber distanziert: der Blick eines Jagdfalken. Dennoch, wenn dieses Yod nur ein Zehntel so intelligent war, wie Avram voreilig behauptete, versprach ihre Arbeit für eine Weile interessant zu sein. Das würde ihr die Zeit vertreiben, sie beschäftigen. Wenn sie sich ein wenig hineingefuchst hatte, konnte sie sich nach richtiger Arbeit umsehen, bei einem neuen Multi. Sie musste immerhin zwei Jahre überstehen; zwei Jahre, um sich wieder in Stellung zu bringen für den Kampf um Ari, sobald er zur Erde zurückkehrte.

      9

Shira

      Das Familienalbum wird umgeschrieben

      Shira war angenehm überrascht, dass Malkah sie nahezu ohne jeden Vorwurf willkommen hieß. Sie hatte vergessen, wie viele Freundinnen Malkah hatte, andere Frauen, die mit kleinen Geschenken vorbeikamen, mit Geschichten, mit Problemen, mit Klatsch. Sie hatte sich ihre Großmutter als alleinlebend vorgestellt, aber sie war selten allein, außer sie wünschte es – und sie schätzte das Alleinsein. Malkah beteiligte sich auch an unterschiedlichsten Diskussionsforen und Spielen im Netz. Shira sah Malkah oft im gefilterten Sonnenlicht des Hofes sitzen oder unter dem Pfirsichbaum in ihrem Lieblingssessel, mit geschlossenen oder halb geschlossenen Augen, und sie dachte dann, dass die alte Frau döste, bis sie merkte, dass Malkah ins Netz eingestöpselt war und umherstreifte oder in der Basis arbeitete und die ausgetüftelten Schimären konstruierte, die einer der Exportartikel von Tikva waren, gekauft von Multi- und Stadtbasen als Schutz.

      »Ich flirte mit allen möglichen Leuten«, sagte Malkah. »Keiner kann mich sehen, es sei denn, ich will es.«

      »Du verrätst ihnen also nicht dein Alter?«

      »Einem sage ich dies, anderen das. Die meisten fragen nicht. Das ist ein Kongress der Köpfe, nicht der Körper.«

      »Also hast du geistige Liebhaber?«

      »Liebhaberinnen auch. Hast du nie dein Geschlecht gewechselt, Shira, nicht mal für einen Abend? Ich habe eine Freundin in Foxdale, der ich den Hof mache und die mich für einen Mann von zweiundvierzig hält. Sie würde mich umbringen, wenn sie mir begegnete, von Feindin zu Feindin, aber in den Freiräumen des Netzes spielen wir miteinander.«

      »Mit Ari habe ich ununterbrochen gespielt. Ich war wieder Kind.« Shira legte die Arme vor ihre Brüste. »Eine Mutter ohne ihr Kind ist ein Karren, der versucht, auf drei Rädern zu rollen«, sagte sie zu Malkah, die in ihrem tiefen Lieblingssessel saß und Shira mit zufriedenem Gesichtsausdruck betrachtete.

      »Ein Dreiradkarren ist ein Schubkarren und er funktioniert einwandfrei. Du wirst deinen Sohn zurückbekommen. Am Ende werden wir sie schlagen. In der Zwischenzeit hast du die kostbare Familienfruchtbarkeit. Krieg noch eins.«

      »Ich will nicht noch eins.« Sie hatte gestern Abend erneut versucht, ihn übers Netz zu erreichen, aber wieder einmal war der Ruf nicht angenommen worden. »Ich will Ari.«

      »Hast du je erwogen, mit deinem Dybbuk ein Kind zu haben?« Shira wusste sofort, dass Malkah Gadi meinte. »Ach, ist Gadi tot, dass sein Geist in mich fährt?«

      »Er ist tot auf die gleiche Art wie du, meine Shira. Er kann sich auf keine Frau einlassen, und du kannst keinen anderen Mann wirklich lieben.«

      Shira zuckte zusammen. Bittere Widerworte füllten ihren Mund, dann schluckte sie sie hinunter. »Vielleicht ist das schlimmste Schicksal für eine Frau, den Mann, den sie will, zu früh zu kriegen. Wir konnten nicht zusammenbleiben – wir waren Kinder. Aber ich kann niemand anders gehören, nicht so, wie ich mit ihm zusammen war.«

      »Ich wollte nie jemandem gehören. Ich wollte sie mir nur eine Weile ausleihen, für das Vergnügen, die Zärtlichkeit, ein bisschen Lachen.«

      »Wie viele Liebhaber hattest du?«

      Malkah blickte versonnen. Sie schwieg einen Augenblick. »Ich weiß nicht. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gezählt. Ich erinnere mich, als ich wesentlich jünger war, bin ich in schlaflosen Nächten davon eingenickt, dass ich sie gezählt habe. Und ich bin nie bis zu Ende durchgekommen, weil ich immer überlegt habe, ob der eine, an den ich mich kaum erinnern konnte, nun wirklich mein Liebhaber war oder nicht. Ich bestand darauf, chronologisch vorzugehen,

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