Er, Sie und Es. Marge Piercy
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»Sie reißen sich doch um dich, oder? Sie glauben, sie können dich zu Geld machen. Schufte einfach vier Jahre so weiter, und dann kriegen sie einen guten Preis für dich, wenn die Multis für dich bieten. Wer will schon einen Künstler? Der alte Avram wird dafür bezahlen müssen, mich auf die Universität zu bringen, hart für ihn. Wie du siehst, haben wir eben nicht die gleichen Alternativen!« Mit wutverzerrtem Gesicht ging er auf sie zu.
»Nicht, wenn es deine Alternative ist, Hannah in dem gleichen Bett zu vögeln, das wir geteilt haben.«
»Das ist mein Haus und mein Zimmer.«
»Du wolltest, dass ich hereinspaziere. Du wusstest genauso gut wie ich, dass die Ergebnisse heute Nachmittag kommen. Du bestrafst mich, weil du nicht so gut abgeschnitten hast. Aber darauf kommt es nicht an, Gadi! Ich glaube an dich!«
Er ging von ihr fort, blieb in der Mitte des Hofes stehen und schaute sich misstrauisch um, als könnte das Haus ihn jeden Moment angreifen. Er benahm sich so, als schlüge er sie tatsächlich. Das Haus würde selbstverständlich mit Sonar angreifen, sollte er ihr körperlichen Schaden zufügen. »Ich muss raus, Shira. Wir sterben, alle beide. Wir sterben zusammen. Fühlst du das denn nicht?«
Sie starrte ihn an, wie er aufrecht dastand, größer schien als je zuvor, oder vielleicht waren es ihre Knie, die nachgaben. Er war für sie verloren. Sie wollte sterben. Sie war nicht mehr Shira, nur noch blutendes Fleisch, ein tosendes Vakuum. Sah er denn nicht, dass er sie beide umbrachte? Sie waren ein doppelter Organismus, ein Wesen. »Ich fühle jetzt nichts als Schmerz.« Sie würde einen Ozean zwischen ihn und sich bringen. Sie würde Malkah dafür bestrafen, dass sie ihre Liebe beleidigt hatte, und Gadi dafür, dass er sie verraten hatte; sie würde weit, weit von beiden weggehen, nach Europa. Sie würde Avrams Rat befolgen und sich fortbegeben, nach Paris, nach Prag, nach Edinburgh. Irgendwohin weit fort von hier.
7
MalkahUnter keinem Mond
Was ihm erschien, steckt dem Maharal im Fleisch wie ein Speer. Weder kann er sich dazu durchringen, es auszuführen, noch kann er sich gestatten, davon abzulassen. Ist es ungezügelter Ehrgeiz? Unaufhörlich prüft er sich selbst. Die Erschaffung eines Golems gilt als Meisterwerk eines wahren Adepten der Kabbala. Fürchtet er zu versagen? Hat er Angst um sich selbst bei diesem äußersten Versuch, die Macht des Wortes im Schöpfungsvorgang zu zügeln? Hat er Angst vor dem Misslingen oder hat er Angst vor dem Gelingen? Er ist ein Mann des Friedens gewesen, ein Rabbi, ein Lehrer, ein Weiser, dessen Einfluss durch die Macht des Gesetzes wirkt, durch die Kraft des Geistes, durch das Charisma eines starken Charakters. Der Gedanke an die Herstellung einer Waffe schließt deren Anwendung ein. Er ist auf halbem Wege, eine Kraft zu erschaffen, die der Gewalt fähig ist. Ist das nicht eine Abkehr von den Werten, nach denen er gelebt hat – Studium und Gebet und gute Werke?
Er überlegt, an wen er sich wenden kann. Seine Frau? Die rebezn Perl ist vier Jahre älter als ihr Mann und weise auf völlig andere Art: Sie hat über die Jahre gelernt, wie einen Haushalt von Hoffnung bestreiten, wie aus Wenigem Feste bereiten, wie Geld verstecken vor einem Mann, der den letzten Heller hergibt, wie vermitteln zwischen Judah und seinen Kindern, die heiliger zu sein haben, als ihnen lieb ist. Judah und Perl waren zehn Jahre lang verlobt, bevor der Rabbi Geld genug hatte, um sie zu heiraten. Ihr eigener Vater verlor all sein Geld (es war nie beträchtlich außer in seinen Erinnerungen), als sein Geschäft zusammenbrach. Sie wartete die ganze Zeit, betrieb eine Bäckerei und sparte auf den Tag, an dem sie endlich als Mann und Frau zusammenkamen.
Als sie dreißig war und er sechsundzwanzig, heirateten sie schließlich. Perl gebar sechs Töchter und einen Sohn, dies waren die Kinder, die das Säuglingsalter überlebten. Sie fing spät an und sie hörte spät auf. Sie trug ihre letzte Tochter, als sie zweiundfünfzig und ihre älteste Tochter ebenfalls schwanger war.
Zu sagen, dass Perl Judah verehrt, wäre wahr; zu sagen, dass sie ihn anbetet, nicht. Sie ist vielleicht der einzige Mensch, der Judah gut kennt, aber sein Temperament nicht fürchtet, denn sie hat ein eigenes. Sie ist gewohnt, Befehle zu erteilen, eine Bäckerei zu leiten, sich um alles zu kümmern, um Kleinigkeiten und Pfennige. Sie ist eine große Frau mit einem immer noch hübschen, rotbackigen Gesicht. In mittleren Jahren war sie saftik, doch das Alter hat an ihr geschnitzt, so dass ihre Knochen jetzt mehr ins Auge treten als ihr Fleisch. Sie hat kräftige Hände, groß genug, um die schlanken, wohl gestalteten Hände Judahs zu umschließen. Ihr Pelz weißer Haare ist stets zu kleinen Löckchen geschoren, wie Lammfell unter der hennaroten Perücke, die sie als züchtiges Eheweib trägt, um mit ihrem Haar nicht die Engel in Versuchung zu führen.
Alle Töchter heirateten, zwei von ihnen denselben Itzak Cohen, denn nachdem seine junge Braut Leah an Lungenentzündung starb, zu der sich eine harmlose Erkältung ausgewachsen hatte, heiratete er die nächste Schwester, Vogele. Drei ihrer eigenen Kinder hat Perl überlebt, zwei Töchter und ihren einzigen Sohn; die anderen will sie nicht überleben. Lass sie mich begraben und nicht umgekehrt, betet sie zum Ewigen. Sie betet in Jiddisch, denn wie die meisten Frauen hat sie nie Hebräisch gelernt.
Judah weiß, was sie ihm raten würde. Vergiss diesen Unsinn. Pass auf deine Enkelkinder auf, die zu schnell heranwachsen, pass auf deine Gemeinde auf, denn es gibt zwei ehebrecherische Paare, von denen ich jetzt schon weiß. Nein, Perl würde über solch ein gefährliches Experiment schimpfen.
Chava würde verstehen, aber es scheint nicht angemessen, die eigene Enkeltochter zu Rate zu ziehen. Im Jahr zuvor kehrte Itzaks Tochter Chava zurück, um bei ihnen zu leben. Chava hatte jung geheiratet und war jung verwitwet. Sie ist zufrieden, die Witwe Bachrach zu sein.
Chava ist anziehend und gebildet und hat immer Freier. Perl hat keine Eile, Chava wieder verheiratet zu sehen, denn Chava ist ihr eine große Hilfe. Perl wird immer langsamer vor Arthritis. Sie möchte nicht allein zu Haus gelassen werden mit dem Maharal, der, wie er selbst weiß, einer Frau ein schlechter Gesellschafter ist. Chava arbeitet als Hebamme im Ghetto und sie hat die Pflichten ihres Vaters Itzak als Sekretär des Maharal übernommen.
Auch der Maharal verspürt keine Eile, ihr einen zweiten Ehemann zu suchen, obwohl er mit jedem Mitglied seiner Gemeinde hart ins Gericht gegangen wäre, das sich so verhalten hätte, wie er es tut. Er hat es oft bemerkt und glaubt es immer noch: Chava ist sein aufgewecktestes Kind. Sie hat die Triebfedern, die seinem eigenen Sohn fehlten. Wie hat er versucht, Bezalel voranzutreiben, den Verstand seines Sohnes zu bilden, damit er seinen eigenen überträfe. Er hat ihn zu hart angetrieben. Er hat seinen Sohn vertrieben. Jetzt ist Bezalel tot und es gibt kein zweites Mal.
Er selber hat Chava Hebräisch gelehrt und sogar Aramäisch, wie einen Sohn. Sie hilft ihm bei seinen Forschungen, sie schreibt seine Predigten und seine Werke für ihn ins Reine in ihrer schönen hebräischen Handschrift und sie überwacht den Druck seiner Bücher bei Gersonides, der hebräischen Buchdruckerei von Prag. Nein, er will sie nicht verlieren an irgend so einen Tölpel von Ehemann, der sie durch eine Kindsgeburt nach der anderen auslaugt. Natürlich muss sie noch mehr Kinder gebären neben dem Sohn, den die Schwiegereltern hüten; sie muss fruchtbar sein und sich mehren, mit dem richtigen Ehemann. Auch Perl heiratete erst, als sie dreißig war, und gebar das erste Kind, als sie einunddreißig war, und sie ist gesund und kräftig bis auf den heutigen Tag, bis auf ein wenig Arthritis letztens. Viel Zeit.
Chava für ihr Teil zeigt wenig Interesse an jungen Männern, sogar den frommen, die der Maharal kurz für sie in Betracht zieht. Sie arbeitet gern als Hebamme und verdient sich ihren eigenen Lebensunterhalt. Judah hat sie zu Perl sagen hören, ich habe Tag und Nacht mit Neugeborenen zu tun. Alle Neugeborenen hier sind meine. Meine Familie ist jetzt schon riesengroß. Warum vermutet er,