Er, Sie und Es. Marge Piercy
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Der Maharal geht voran, mit der Tora und einer Blendlaterne. Dahinter trabt Itzak, klein und untersetzt, sein weißer Bart hebt sich leuchtend von seinem dunklen Überwurf ab, und zu seiner Linken Jakov, hochgewachsen wie der Maharal, hager, auf einen seiner leicht hinkenden Schritte kommen zwei von Itzak, beide mit Schaufeln über den Schultern wie Pikeniere, die in die Schlacht marschieren, und Jakov trägt dazu einen großen, aber leichten Holzrahmen, den ihm der Maharal gegeben hat.
Sie sind verängstigt, aber sie vertrauen ihm und sie gehorchen ihm. Am Ende der Weidenstraße, in der nicht ein Baum wächst, aber wo der Überlieferung nach einst ein Bach floss, der sich immer noch durch die Keller schlängelt, kennt Judah eine schwache Stelle in der Ghettomauer. Der gleiche Bach, der sich wie ein Gespenst durch die Erde des Ghettos stiehlt, fließt hier hinaus zur Moldau. Hier kann man im Schutze der Dunkelheit aus dem Ghetto kriechen. Schweigend huschen sie durch die verbotenen Christenstraßen, hin zu offenem Gelände.
In den Wäldern am Ufer des Flusses ist die Nacht kalt und klamm, ohne Licht außer dem der Blendlaterne mit ihrem schwachen Schein, und der Fluss dahinter murmelt über seine Steine wie schwarze changierende Seide. Das Laub hat noch nicht einmal begonnen, die Knospen zu sprengen. Die kahlen Winterzweige reiben aneinander im kühlen Wind. Von fern ruft eine Eule auf der Jagd.
Sie machen sich daran, Lehm aus dem Flussufer zu graben, während der Maharal einen leisen Singsang ertönen lässt, die ganze Zeit über betet, während er, der uralte Mann, sich verbissen ins Zeug legt, erst Itzak die Schaufel wegnimmt und dann Jakov, schneller gräbt als sie. Sie starren ihn an in großer Furcht, Furcht, er wird plötzlich sterben, denn wie kann ein einundachtzig Jahre alter Mann sich bücken und heben, sich bücken und heben und schleppen wie ein Achtzehnjähriger? Furcht, denn was tun sie da, welches gewaltige Grab heben sie aus?
Schließlich ist der Maharal zufrieden, sie haben genug Lehm ausgegraben und er legt den Holzrahmen hin. Sie sehen, dass er wie ein Mann geformt ist. Sie häufen den Lehm in die Form, kneten daraus einen Leib. Wieder, über den Kopf des murmelnden Rabbis hinweg, tauschen sie Blicke der Verwunderung und der Furcht. Ist der Maharal verrückt geworden? Ist er plötzlich altersschwachsinnig? Der Tod seines einzigen Sohnes hat ihn in tiefe Schwermut geworfen, aber dies ist Wahnsinn. Was tun sie hier, verbotenerweise außerhalb des Ghettos, tollen am Flussufer unter dem Neumond umher, backen einen riesigen Sandkuchen in Gestalt eines Mannes?
Die Form, die der Maharal auf die Erde gelegt hat, ist größer als ein normaler Mann, so hünenhaft wie der stärkste Soldat. Der Maharal bückt sich und arbeitet an der Gestalt der Lehmpuppe. Er formt die Haare, das Gesicht, die Organe. Dann beginnt der Maharal zu beten, die Arme hoch über den Kopf gereckt. Der Wind hat sich gelegt und Nebelschwaden steigen aus der silbrigen Schwärze des Flusses. Mit weit ausgestreckten Armen betet er lauter, er wiegt sich, er davenet, er singt. Itzak sträuben sich die Nackenhaare und er sucht Trost bei Jakov, doch Jakov steht der Mund offen, auch er betet seltsame Worte, die sich in der Luft zwischen den Männern zusammenzuballen scheinen wie eine Wolke aus öligem Rauch.
Das Gesicht des Maharal ist bleich vor Ekstase. Er fühlt, wie ihn die Kraft zu durchströmen beginnt. Das ist die Kraft der Schöpfung. Sie ist immer gefährlich. Sie ist der Blitz, der in den Turm einschlägt, und die Welt steht Kopf. Sie ist immer der Eingang des Wortes in die Materie, und alles wird neugeboren. Er fühlt die Energie von etwas Sonderbarem und Neuem und Schrecklichem, gebündelt zu einem Speer, der durch ihn hindurchfährt und in den Lehm vor ihm. Er sieht seine eigenen Hände mit einer bläulich-weißen Strahlkraft leuchten. Seine Hände knistern. Sein Haar steht zu Berge vor Elektrizität.
Alle Verbindungen der Konsonanten und Vokale singt er, und die verborgenen Namen G-s spricht er, und die heiligen Zahlen, welche die Atome des Universums bildeten. Er ist durchscheinend geworden von der Kraft, die ihn durchströmt. Sein Fleisch ist geschwärzt wie Glas, das im Feuer gestanden hat. Seine Augen sind Silber wie der Mond, ohne Pupillen oder Iris. Er weiß in diesem Augenblick mehr, als er je in seinem Leben gewusst hat, und mehr, als er in fünf Minuten wissen wird.
Blaues Feuer knistert über die Lehmpuppe, als flössen Rinnsale von Quecksilber über die Oberfläche und sänken dann ins Innere. Der Lehm beginnt zu rauchen und sich zu dunklem Rot zu erhitzen und dann heller und heller. Er ist rot wie ein aufgerissenes Herz, wenn das arterielle Blut herausspritzt; jetzt ist er orange und jetzt brennend gelb und jetzt weiß, ein Weiß, das sie nicht anschauen können. Itzak und Jakov weichen zurück. Sie sind geblendet. Als der stechende Schmerz in ihren Augen nachlässt und sie sich die Lider reiben und hoffen, wieder sehen zu können, kühlt die Puppe von Orange zu Rot und dann matter bis nahe zur Farbe ihrer Haut. Was sie sehen, ist nicht mehr Lehm, sondern Fleisch.
Jetzt steigt aus den erhobenen Armen des Maharal ein frischer kalter Wind auf, der Regen bringt. Ein kleines Unwetter geht auf ihre Köpfe hernieder, der Wind reißt an ihren Kleidern und Haaren und Bärten, er rüttelt an den kahlen Zweigen der Bäume und bricht sie los. Für einen Augenblick ist der Regen alles, eine feste Wasserwand, ein Guss, in dem sie fast nicht atmen können. Dann lässt der Regen nach, der Wind legt sich und die Puppe liegt da, ein Mann aus Fleisch, dem jetzt Haare sprießen von matter rötlicher Farbe und rötliche Schamhaare um das schlaffe Organ zwischen den mächtigen Schenkeln, der neue Nägel hat und Wimpern und rote Lippen, der, wenngleich riesig, so wohlgeformt ist wie jeder von ihnen.
Itzak schaut Jakov und Jakov schaut Itzak an. Itzak flüstert lautlos: »Ein Golem?«, und Jakov nickt, der Mund steht ihm immer noch offen. Sie sind bis auf die Haut durchnässt und zittern vor Furcht. Sie umklammern sich bei den Händen und jeder weiß, auch der andere möchte am liebsten Reißaus nehmen.
Nun wendet sich der Maharal Jakov zu und flüstert ihm ins Ohr, was er singen soll, und schickt ihn sieben Mal von links nach rechts um den Körper. Er flüstert Itzak zu und zwingt auch ihn zu singen, zu kreisen, ein feierlicher Rundtanz. Dann beginnt er einen Sprechgesang, das Bart- und Haupthaar gesträubt, die Augen silbern, Runde um Runde, seine Stimme tönt so unheimlich wie das Heulen eines Wolfes. Während der Maharal kreist, beginnt die Brust des Golems sich langsam zu heben. Seine Lippen teilen sich. Ein Atemzug wie ein langes, tiefes Stöhnen, dann noch einer, und der Mann aus Lehm beginnt sich zu regen. Seine Augen klappen auf, doch sie sind glasig, blicklos. Der Maharal ergreift die mitgebrachte Torarolle und kreist sieben Mal und tanzt, als wäre Simchat Tora. Schnellere Atemzüge durchbeben den Leib des Golems. Er ächzt. Er blinzelt, und jetzt sehen seine grauen Augen, er schaut sie an und er sieht sie. Er blickt sich um, hebt den Kopf und schaut von Seite zu Seite wie eine große Schnappschildkröte, die den Kopf aus dem Wasser steckt. Er lebt, er ist ein lebendiger Mann, und doch ist etwas Massiges, Unbewegliches, Urgeschichtliches an ihm. Er ist ein Echsen-Mann, denkt Itzak, er ist ein Mann aus Schieferton.
Itzak und Jakov weichen unwillkürlich vor ihm zurück, entsetzt. Der Maharal zuckt auch zurück, aber dann sammelt er sich, tritt vor und beugt sich über den Mann, der Lehm gewesen ist, den Mann, den er gemacht hat.
Ich liege in meinem hohen antiken Bett und höre die ungewohnten Geräusche von Shira in ihrem Zimmer, endlich, endlich wieder bei mir. Die Einbringung einer kostbaren Ernte. Sie leidet unter dem Verlust ihres Sohnes und vielleicht sogar unter dem Verlust ihres unnützen Ehemannes, aber sie ist mir wiedergegeben. An diesem Punkt der Geschichte pflegte sie immer einzuwenden: Wie kann ein Mann aus Lehm lebendig werden? Sie war in ihrem Denken immer auf der wörtlichen