Er, Sie und Es. Marge Piercy
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Du hast dich anfangs auch gesträubt zu sprechen. Weißt du noch, Yod? Manche sagen, dass Judahs Golem – was ›Masse, Klumpen‹ bedeutet – nicht sprechen konnte, aber das ist ein Irrtum, der auf anderen Golems der Legende beruht. Er plappert nicht, sondern ist schweigsam, wie es sich für einen Mann aus Lehm gehört. Aber als er in dieser Nacht von Rosch Chodesch im Monat Adar die grauen Augen aufschlägt, fragt er den Maharal: »Vater, war es gut, das zu tun?«
»Es war notwendig. Und du sollst mich nicht Vater nennen.« Der Maharal hatte mit seinem einzigen Sohn, Bezalel, eine Beziehung durchgemacht, die stürmisch genug war. Bezalels Tod ist im Gefühl des Maharal immer noch ebenso bitter wie unnatürlich. Deswegen ist ihm die Anrede des Golems ein besonderes Ärgernis. Ein Sohn sollte seinen Vater begraben, nicht umgekehrt. Bezalel starb an einer Unpässlichkeit, einem Schnupfen, der auf die Lungen übergriff, genau wie Leah. Es war ein absurder Tod, der den Maharal immer noch grämte. Judah hatte versucht, seinen Sohn zu seinem Nachfolger als Hoher Rabbi von Prag bestimmen zu lassen, aber er war gescheitert, und Bezalel war im Zorn gegangen. Dieses Geschöpf, das er ins Leben gerufen hat, ist nicht sein Sohn. »Du sollst mich Rabbi nennen. Dein Name ist von nun an Joseph.«
Der Maharal gibt dem Golem den Überwurf, in den er die Tora eingewickelt hatte, um seine Nacktheit zu bedecken, denn die drei haben ihn als Mann geformt. Sie haben es getan, ohne darüber nachzudenken oder zu sprechen. Der Maharal hätte wahrscheinlich gesagt, er glaube nicht, diese Formgebung verbessern zu können. Sie machten einfach einen Mann aus Lehm.
»Joseph«, wiederholt der Golem gehorsam. Er kommt schwerfällig auf die Füße, schwankt und scheint zu stürzen, während der Maharal Itzak und Jakov vorschickt, ihn von beiden Seiten zu stützen. Sie empfinden offensichtlich Widerwillen, ihn zu berühren. »Kannst du gehen, Joseph? Schau, einen Fuß und dann den anderen. Einfach so.« Der Maharal macht es geduldig vor. »Wir müssen schleunigst vor der Dämmerung ins Ghetto zurück. Kommt, wir müssen ihm helfen. Ich kann die Dämmerung schon riechen. Wir müssen uns beeilen, sonst fangen uns die Wachen.«
Aber niemand tritt vor, den Golem zu berühren. Der Maharal selbst verspürt einen Widerwillen, seine Hand auf dieses seltsame Fleisch zu legen. Würde er kalt sein wie Lehm? Würde er sich anfühlen, als sei er tot? Der Maharal muss mit gutem Beispiel vorangehen, und er legt einen Arm um das riesige Wesen.
Der Golem schwankt vorwärts, den Mund leicht geöffnet, das Gesicht zusammengezogen vor Konzentration auf die Anstrengung. Er biegt sich wie eine Eiche in starkem Wind, er ragt über dem Maharal auf. Er hat kurzes rötliches Strubbelhaar und eine erdige Gesichtsfarbe. Der Maharal hat nicht auf Ansehnlichkeit geachtet, als er ihn machte, doch er ist auch nicht missgestaltet. Er hat einen kräftigen Nacken, breite Schultern, einen vierschrötigen Körper und massige, etwas flächige Züge, die an Tataren erinnern.
Joseph tut zuerst einen Schritt, der ihn aus dem Gleichgewicht bringt, und wieder muss er gestützt werden. Jetzt endlich nehmen Itzak und Jakov auf beiden Seiten Stellung, bieten ihm Halt. Sein Gewicht wirft sie fast zu Boden. Dann tut er einen winzigen Schritt. Das funktioniert. Er tut noch einen winzigen Schritt. Auf die Art werden sie die ganze Nacht brauchen, um aus dem Wald zu gelangen. Ihn zu tragen steht völlig außer Frage, denn er ist größer als jeder von ihnen, und allein das Gewicht seiner Hand auf ihren Schultern verrät den beiden jüngeren Männern, dass er in der Tat schwer ist. »Ein wenig schneller, Freund«, ächzt Itzak unter Josephs Gewicht.
Schließlich lässt Joseph sie los, und mit ungeschickten, ruckartigen Bewegungen geht er endlich. Schritt für Schritt. Dann stolpert er über einen Baumstamm. Er stürzt vornüber, schlägt mit dem Kinn dumpf auf den Boden. Als sie versuchen, ihn hochzuziehen und er sich müht, auf die Beine zu kommen, kracht er hintenüber.
Es braucht alle drei von ihnen, dass er wieder hoch und in Gang kommt. Itzak fragt: »Rabbi, was werden wir den Leuten sagen, wenn sie fragen, wo dieser riesige Mann herkommt?«
»Sagt, aus Galizien. Die Leute glauben alles über Galizier. Seine Mutter hat ihn fortgeschickt, damit er nicht zu den Soldaten musste. Ich habe ihn auf der Straße gefunden, einen schwachsinnigen Bettler. Er wird Schammasch in der Synagoge.« Kürzlich wurden ihrem Schammasch seine Aufgaben zu schwer. Er ist ein alter Mann, er braucht seine Ruhe. Der Maharal wendet sich an den Golem. Er spricht kälter zu Joseph als zu Itzak und Jakov. »Du wirst Holz sägen, Wasser holen, die Feuer anzünden, die Asche hinaustragen, den Boden der Altneuschul fegen, unserer schönen Synagoge. Verstehst du?«
»Ich werde tun, was du sagst. Wie kann Lehm verstehen?«
Der Maharal ist nicht sicher, ob ihn der Golem verspottet, aber er zieht es vor, seinem Zweifel nicht nachzugehen. Er wendet sich um und macht sich auf den Weg zur Stadt, hastig gefolgt von Itzak und langsamer von Jakov, der nur ein kleines Stück vor dem Golem herspaziert und seine Furchtlosigkeit zur Schau stellt. Jakov hat seine Würde zurückgewonnen und ist bemüht, sie nicht wieder zu verlieren. Der Golem schreitet schwerfällig hinterdrein, beglotzt jeden Baum, jeden Busch. Der Flug einer Eule durch die Dunkelheit bringt ihn dazu, mit offenem Munde stehen zu bleiben. Der Maharal spürt seine einundachtzig Jahre, seine Erschöpfung. Diese Nacht hat ihn seiner letzten Kräfte beraubt. Sein Kopf wimmert vor Fieber. Es ist schwer voranzuschreiten, als trüge ihn eine innere Kraft, wenn er sich eigentlich auf die Erde legen möchte. Er kann sich Schlaf nicht einmal vorstellen, denn er ist zu lange von Schlaflosigkeit geplagt, von Ärger, von Sorge, von Gewissensqualen. Seine ganze Hoffnung ist, in Wärme und Trockenheit auszuruhen.
Der Golem hat das Gehen jetzt gemeistert. Er bewegt sich gut und kraftvoll. Von Zeit zu Zeit bleibt er stehen, um seine Arme auszustrecken oder einen über den Kopf zu recken, um den Kopf zu schütteln wie ein Hund, der Wasser abschüttelt, um zu nicken oder zu blinzeln, um den Kiefer zu bewegen, als ob er etwas zerkaue. Dem Maharal wird klar, dass Joseph verschiedene Körperfunktionen ausprobiert, seine großen und kleinen Muskeln bewegt, experimentiert. Er wackelt mit den Ohren und mit der Nase wie ein Kaninchen. Der Maharal hat den Drang, Joseph wegen seiner Grimassen zu ermahnen, wie er es mit einem Jungen im Cheder tun würde, aber er hält sich zurück. Der Golem ist erst ganz kurz auf der Welt. Er wird Disziplin lernen, sobald der Maharal mit seiner Unterweisung beginnen kann, doch so nahe der Stadt müssen sie leise sein.
Als sie an der Stelle in der Mauer ankommen, wo der Bach sich hindurchschlängelt, sehen sie zwei Wächter mit ihren Piken, die darauf warten, sie gefangen zu nehmen. Sie können gehängt werden; sie können gefoltert und dann gehängt werden. Was immer sie erwartet, es sieht nach einem grässlichen Tod aus, es sei denn, die Männer können bestochen werden. Der Maharal hat ein paar Kupfermünzen in der Tasche, einen prächtigen Gürtel mit goldener Schnalle, aber das ist es auch. Er denkt nicht, dass sie das loskaufen wird. Wächter bekommen einen Anteil an dem Vermögen der Männer, die sie verhaften.
»Joseph«, sagt er sacht zu dem Geschöpf, das ihn überragt. »Wir sind in Gefahr. Diese beiden Wächter wollen uns nicht zurück ins Ghetto lassen. Wir werden sterben, es sei denn, du kannst sie kampfunfähig machen. Sie haben uns nicht gesehen und sie kennen dich noch nicht. Schau, ob du dich anschleichen und ihnen eins auf den Kopf geben kannst, damit sie nicht sehen, wie wir durch die Mauer in Sicherheit gelangen.«
»Ich gehorche«, antwortet der Golem. Rasch und geräuschlos gleitet er durch die Dunkelheit. Die Wächter drehen sich um und sehen ihn erst, als er sich auf sie stürzt. Sie haben nur Zeit, einmal aufzuschreien, bevor er sie packt, jeden in einer Hand, und ihre Köpfe gegeneinanderschmettert. Er lässt sie fallen.
Der Maharal läuft hinzu und beugt sich über ihre Körper. Ihre Schädel sind zermalmt. Blut sickert heraus. »Joseph, du hast sie getötet!«
»Sie sind so leicht zerbrochen.« Joseph runzelt verwirrt die Stirn. »Habe ich etwas falsch gemacht? Bist du böse auf mich, Vater Lehrer?«