Ein Haus voller Robinsons. Adrian Plass
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Читать онлайн книгу Ein Haus voller Robinsons - Adrian Plass страница 11
„Aber du tust es nicht?“
„Nein, natürlich nicht. Nicht, wenn ich es mir irgendwie verkneifen kann. Bei den Handleys war ich aber nahe dran. Nach dem Essen kamen wir auf das Thema, Ehe in dieser unserer Zeit‘. Du weißt ja, wie das ist, wenn man bei Leuten, die man nicht besonders gut kennt, zum Abendessen eingeladen ist. Irgendwie lässt man sich von einer Welle begeisterter Einmütigkeit über so ziemlich alles im Universum davontragen, weil alles andere viel zu mühsam wäre, und nach einer Weile hört man sich selbst absoluten Quatsch reden oder Dinge sagen, mit denen man eigentlich überhaupt nicht einverstanden ist, und das Hirn wird einem ganz stumpf und weich, und man möchte am liebsten nach Hause gehen und vor Scham sterben. Jedenfalls stimmten wir alle feierlich darin überein, dass die jungen Paare heutzutage nicht mehr das moralische Format haben, das junge Paare früher hatten, und dass, Hingabe‘ ein Wort sei, dessen Bedeutung heute niemand mehr kenne, beim Zeus, und dass man zu unserer Zeit (wobei die Zeit der Handleys erheblich länger zurückliegt als unsere Zeit, wie ich anmerken möchte, aber wir waren zu höflich oder zu feige, sie daran zu erinnern) sein Versprechen gab und sich verdammt noch mal daran hielt, durch dick und dünn und so. Dann sagte Frank Sowieso, wo seiner Meinung nach das eigentliche Problem liege. Das eigentliche Problem, verkündete er, sei, dass die jungen Leute heutzutage von der Ehe ein nie endendes Feuerwerk erwarteten (ein bedeutsames Nicken, um anzuzeigen, dass er damit die, ehelichen Unannehmlichkeiten‘ meinte, wie diese Gestalt bei Harry Enfield es nennt) und einfach aufgäben, wenn sich diese Erwartung nicht erfülle. Mike stimme doch sicherlich mit ihm überein, erkundigte er sich zuversichtlich, dass solche Erwartungen lächerlich seien.
Das gab Mike den Anstoß zu einer seiner kleinen Ansprachen, von denen wir Skeptiker argwöhnen, dass sie nur dazu da sind, sich das Wohlwollen von Leuten zu sichern, denen er sich unterlegen fühlt. Mir wird jedes Mal schlecht davon! Dip, es wäre ja nicht schlimm gewesen, wenn er nur genickt und irgendetwas gegrunzt hätte, was man als vage Zustimmung hätte interpretieren können - ich meine, mir ist es ja eigentlich egal, wie die Handleys über unser Sexleben denken - aber das hat er nicht getan.
,Nein‘, sagte der Stilfürst der Lehrerwelt, der Oscar Wilde von Standham, während er den Brandy in seinem Glas kreisen ließ und mit Kennermiene schlürfte., Ich glaube nicht, dass man das, was in einer gereiften Beziehung vor sich geht, als Feuerwerk beschreiben könnte. Nein, Frank, ich würde sagen, dass die Ehe auf lange Sicht eher einem jener wunderbaren, schweren alten Aga-Öfen gleicht - findest du nicht auch, Kathy? Sie halten Jahrzehnte, wenn man sich richtig um sie kümmert, man kann in ihnen eine wirklich vorzügliche Glut zustande bringen, und sie produzieren wirklich gute Mahlzeiten, solange man sie nur hin und wieder ein bisschen stochert.‘ Dip, dieser Sherry ist ziemlich teuer. Wenn du nicht aufhörst, ihn durchs ganze Zimmer zu spucken, kriegst du nächstes Mal keinen mehr.“
„Tut mir Leid!“ prustete Dip. „Wirklich. Gib mir noch einen. Meine Güte, ich wette, hinterher hat er sich gewünscht, er hätte das nicht gesagt.“
„Oh ja, hinterher, darauf kannst du deine besten Strumpfhalter verwetten. In dem Moment jedoch lehnte er sich nur zurück und leckte all die teuren, kehligen Heiterkeitslaute der vornehmen Herrschaften auf. Im Auto auf dem Heimweg meinte er dann, es sei doch eigentlich ganz nett gewesen, oder? Und ich gab meine berühmte Impression einer nach vierundzwanzig Stunden im Kühlschrank servierten Gurke zum Besten und sagte:, Ich gebe bedauernd bekannt, dass der schwere alte Aga aufgrund ständiger Vernachlässigung erloschen ist und eine komplette Überholung erfordert, bevor er wieder funktioniert. Aus diesem Grund ist heute Abend keinesfalls mit einer Glut zu rechnen, und in absehbarer Zukunft solltest du keine wirklich guten Mahlzeiten erwarten, auch wenn du hin und wieder ein bisschen stocherst.‘ Erst da wurde ihm klar, dass ich von seinem kleinen geistreichen Ausfall nicht sonderlich beeindruckt war. Am nächsten Morgen haben wir darüber gelacht, aber …“
„Aber es hat dich zum Nachdenken gebracht.“
„Ich glaube, es war eine Art Auslöser, Dip. Ich wurde auf einmal sehr traurig, und mich packte die Sorge und Panik vor dem Altwerden und davor, dass alles allmählich ausläuft und flach wird. Ich will kein schwerer alter Aga-Ofen sein, der manchmal glüht. Es reizt mich überhaupt nicht, eine dieser hoch geachteten christlichen Frauen im Kostüm zu sein, mit freundlich-traurigen Augen, die einmal aus den allerbesten Gründen der Versuchung widerstanden haben und nun in einer vernünftigen, dauerhaften Beziehung ohne Feuerwerk leben und sogar ein Andachtsbuch zur Fastenzeit darüber geschrieben haben. Ich will ein paar Leuchtkugeln und Chinakracher und Raketen und - und Sachen, mit denen man sehr vorsichtig sein muss, weil sie gefährlich sein könnten. Es muss doch zumindest die entlegene Möglichkeit bestehen, sich die Finger zu verbrennen, oder nicht?“ Ich hielt inne, nippte an meinem Sherry und fragte mich, wie viel ich noch sagen sollte. „Allmählich machte sich bei mir das Gefühl breit, dass ich eine sehr große Entscheidung zu treffen habe.“
„Worüber?“
„Na ja, auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt für vollkommen übergeschnappt hältst, es war - also, für mich sah es so aus. Es war die Entscheidung, ob ich wie ein explodierender Stern zerspringen oder meine Form anpassen sollte wie ein bequemer alter Sessel. Ich fühlte mich einfach noch nicht bereit, alt zu werden und mich für den Rest meiner Tage so zu formen, wie andere Leute mich haben wollten. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich wollte alles mögliche andere. Ich wollte noch einmal diese ersten Stadien des Verliebtseins erleben, Dip, wenn man spazieren geht und die gewöhnlichsten Dinge wie Bäume, Busse und Ziegelsteinmauern plötzlich glänzend und lebhaft und strukturiert und bedeutungsvoll aussehen. Erinnerst du dich an dieses herrliche, schwachsinnige Gefühl?“
„Ich erinnere mich -“
„Ich wollte am Samstagvormittag um halb elf in irgendeinem Caf erscheinen, mit Kribbeln im Bauch und Klingeln in den Ohren, weil ich jemanden treffen würde, von dem ich die ganze Nacht über geträumt und für den ich mich seit dem Aufstehen angezogen und schön gemacht hatte. Ich wollte im Herbst unter Trauerweiden hindurch an einem Flussufer entlanggehen, wie Mike und ich es taten, als wir einander oben in Durham entdeckten und wie alle verliebten Paare seit Anbeginn der Zeit voller Erstaunen feststellten, dass wir über absolut alles unter der Sonne absolut genauso dachten. Ich wollte mich fragen, wann es wohl an der Zeit wäre, zum ersten Mal Händchen zu halten, und ob er mich wohl küssen würde, wenn wir zurück zum Tanzsaal kämen, und mir Sorgen machen, ob ich das auch richtig hinkriegen würde, und - und all diese warmen, süßen Gedanken. Irgendwann in diesem Sommer saß ich einmal bis spätabends in der Küche, alle Türen offen, und spürte, wie so eine zauberhafte, warme Brise von vorn bis hinten durch das ganze Haus zog und mir sanft übers Gesicht strich. Es war ein trauriges, wunderbares Gefühl, und es erfüllte mich mit einer schmerzlichen Sehnsucht nach - nach irgendetwas. Kennst du das -?“
Ich warf meiner Freundin einen Blick zu. Wie gefahrlos kann man manche Dinge sagen?
„Weiter“, sagte Dip. „Du kannst es ruhig ausspucken.“
„Falls es infiziert ist, meinst du? Entschuldigung. Tut mir Leid, ich war einfach einen Moment lang verlegen. Es kommt mir so lächerlich vor, hier am Samstagvormittag um elf in meinem Haus zu sitzen und so etwas zu sagen - aber es hat Momente gegeben, in denen ich mich davonschleichen und in eine Kneipe im nächsten Ort gehen wollte, um mich an die Theke zu setzen, einen zu trinken und zu sehen, ob sich einer an mich heranmacht.“
„Hört sich nicht gerade an wie das mit dem, sich fragen, wann es an der Zeit ist Händchen zu halten‘, was du vorhin erzählt hast.“