Ein Haus voller Robinsons. Adrian Plass
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Читать онлайн книгу Ein Haus voller Robinsons - Adrian Plass страница 6
„Mum ist ganz mächtig sauer auf mich, weil ich den falschen Löffel für mein Müsli genommen habe, und jetzt darf ich mir deshalb aus irgendeinem Grund keine Milch holen.“
Der landläufige Ausdruck, dass Leute oder Ereignisse einem das Blut zum Kochen bringen, trifft manchmal genau ins Schwarze. Wenn jemand, wie Mark es gerade getan hatte, irgendwie alle losen Enden des Vorgefallenen zu einem Knoten zusammenschnürt und man weiß, dass man diesen Knoten nur noch enger zusammenziehen wird, wenn man versucht, die Sache zu erklären, weil man viel zu wütend ist, dann ist das ein Gefühl, als ob einem der Dampf oben aus der Schädelplatte schießt. Und mir ist es egal, dass Knoten und Dampf nicht zusammenpassen, denn genauso fühlt es sich an.
„So etwas Absurdes und Lächerliches ist mir ja noch nie zu Ohren gekommen! Du weißt ganz genau, dass ich sauer auf dich bin, weil du in Gegenwart eines fremden Mädchens, das auf unserer Türschwelle stand, und zwar splitterfasernackt, einen blöden, vulgären Witz erzählt hast.“
„Was! Wann war denn das?“
Mikes Gesicht war ein Bild des Entsetzens und der Verwirrung.
„Gerade eben, am Fuß der Treppe.“
„Wer war das fremde Mädchen?“
„Das Milchmädchen oder die Molkereiproduktelieferantin oder wie man die heutzutage nennt. Das Mädchen mit dem unbegreiflichen System, das uns die Milch bringt.“
„Aber die ist doch keine Fremde. Wir kennen sie doch.“
„Mensch, du weißt ganz genau, wie ich das meine! Sie -gehört nicht zur Familie.“
„Aber warum stand sie denn nackt auf unserer Türschwelle?“ „Was?“
„Warum war das Mädchen nackt?“
„War sie doch gar nicht.“
„Aber du sagtest doch gerade, sie war nackt.“
„Das habe ich nicht gesagt!“ schrie ich. „Ich sagte, Mark war nackt. Mark! Dein Sohn! Lies mir von den Lippen ab - MARK STAND NACKT IN DER DIELE!“
„Stimmt ja gar nicht“, protestierte Mark empört. „Na ja, nur als ich nichts anhatte.“
„Oh, Entschuldigung. Ich war so dumm, anzunehmen, wir wären uns vielleicht alle darüber einig, dass das eine ziemlich treffende Definition von Nacktheit ist.“
„Nein, ich meine, das war bloß ungefähr eine halbe Sekunde lang, weil mir das Handtuch heruntergerutscht ist. Außerdem wusste ich sowieso nicht, dass sie da war, und überhaupt war das alles ein Versehen. Und ich habe auch nicht ihr diesen Witz erzählt, sondern ich habe ihn mir nur selber laut vorgelesen.“
„Ja ja, bei dir ist alles immer ein Versehen, stimmt's, Mark? Du tust eigentlich nie etwas mit Absicht, was?“
Warum habe ich immer das Gefühl, ich selber würde terrorisiert, wenn ich mit Mark schimpfe? Ich machte mich daran, die Liste seiner Sünden herunterzuleiern, wobei ich bei jedem Punkt mit der rechten Faust in die linke Handfläche schlug, während ich ihn zwischen den knirschenden Zähnen hervorpresste.
„Du machst Chaos, du bringst mich in Verlegenheit, du bringst mich dazu, grob zu jemandem zu sein, der überhaupt nichts Falsches getan hat, und dann sagst du mir, das sei alles nicht deine Schuld, weil es nur ein Versehen war. Also, jetzt sage ich dir mal, was deine Schuld ist. Du denkst nicht nach! Das ist deine Schuld, oder etwa nicht? Du nimmst andere Leute überhaupt nicht wahr. Wenn du aus einer Situation keinen persönlichen Nutzen ziehen kannst, dann interessiert sie dich einfach nicht. Sie existiert für dich überhaupt nicht!“
„Ist ja nett - so denkst du also über mich, ja?“
„Kathy, findest du nicht -“
Ich fuhr zu meinem Mann herum und hielt ihm warnend den Finger vors Gesicht.
„Nur dieses eine Mal, Mike, bitte, nur einmal lass mich sagen, was ich zu sagen habe, ohne dazwischenzugehen und Marks Partei zu ergreifen.“
Ich wandte mich wieder meinem Sohn zu, der jetzt ganz still dasaß und wieder das Ende des Tisches studierte.
„Möchtest du, dass ich dir erzähle, nur so interessehalber, wie ich es immer schaffe, den Kamm wieder zu finden, den du dir jeden Morgen von mir leihen musst, weil du jeden eigenen Kamm, den du jemals bekommst, innerhalb von drei Minuten verlierst? Möchtest du das?“
Schweigen.
„Na, möchtest du das?“
„Eigentlich nicht.“
„Er ist immer genau an derselben Stelle, Mark. Mitten auf dem Teppich in der Diele unter dem Spiegel, da finde ich meinen Kamm. Und da liegt er, weil du ihn, sobald du mit deinen Haaren fertig bist, einfach fallenlässt! Ich habe schon oft dabeigestanden und dich beobachtet. Sobald du mit deinen Haaren zufrieden bist, öffnen sich unwillkürlich deine Finger, und der Kamm fällt aus deiner Hand auf den Boden. Er existiert für dich einfach nicht mehr, verstehst du, weil du keine Verwendung mehr dafür hast. Ich fürchte sehr, dass das genau die Art und Weise ist, wie du auch Menschen behandelst, Mark, und das musst du ändern, denn wenn du einmal von hier weggehst, wird das niemand mehr so einfach hinnehmen, wie wir das tun.“
„So machst du das immer!“ Die Worte schienen aus Mark herauszuplatzen.
„Immer hackst du auf meinem ganzen Leben herum, wenn ich irgendwas falsch mache. Immer reibst du mir alles unter die Nase, was ich nie mache und was ich immer mache. So gut kennst du mich gar nicht, wie du immer denkst! Ich habe bloß einen Witz vorgelesen und den falschen Löffel genommen - das ist alles, was ich getan habe! Du suchst ja dauernd bloß nach Gründen, um auf mir rumzuhacken. Ich will gar kein Müsli mehr.“
Plötzlich fing seine Unterlippe an zu zittern, wie sie es so oft getan hatte, als er noch klein war. Tränen stiegen ihm in die Augen, und er stieß seine Riesenschüssel von sich, dass sie über den ganzen Tisch schlitterte, und rannte aus dem Zimmer, immer noch dieses lächerliche Handtuch um die Hüften klammernd.
Dunkelheit erfüllte mich. Ich hatte meinen Sohn zum Weinen gebracht. Warum? Wozu?
2
Mike ließ sich müde auf den Stuhl sinken, den Mark gerade verlassen hatte, und schüttelte verwirrt den Kopf. Ich drehte mich zur Spüle um und begann, geräuschvoll die Spülmaschine auszuräumen und mit dem schmutzigen Geschirr vom Vorabend wieder zu füllen. Innerlich war ich voller Scham und Zorn über mich selbst. In den letzten Wochen hatte ich mehr oder weniger erfolgreich darum gekämpft, die atemberaubende Wut herunterzuschlucken, die Marks Verhalten immer wieder in mir hervorrief, und jetzt hatte ich in ein paar Augenblicken der Nachlässigkeit