Eva langt zu. Liza Cody

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Eva langt zu - Liza  Cody

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umkommen lassen. Ich spülte mit ein paar Dosen Bier nach. Aber Bier zählt eigentlich nicht richtig als Alkohol, finde ich zumindest. Bier haut nicht stärker rein als Mückenpisse. Deshalb zählt es nicht. Ist doch so.

      Aber ich konnte meine Zahnbürste nicht finden. Ich suchte sie überall, aber sie war weg. Ich stellte den ganzen Hänger auf den Kopf, bis es mir zu blöd wurde. Bevor ich ins Bett ging, konnte ich mir einen ganzen Zentner Zahnbürsten kaufen, wenn ich wollte, oder jemand anheuern, der mir die Zähne putzte. Ich konnte sagen: »He, du, Diener Nummer vier, putz mir die Zähne, aber ein bisschen plötzlich. Ich erwarte Harsh zu Besuch, wir wollen auf der Veranda Cocktails schlürfen, und du weißt ja, dass er was gegen dreckige Beißerchen hat. Er ist nämlich Mr. Vornehm vom Planeten Nobel.« Was so ein Geldsack eben sagen würde. Sie glauben doch wohl nicht, dass die Reichen sich die Zähne selber putzen? Im Leben nicht.

      Es war Abend, kurz nach sechs. Auf dem Schrottplatz kehrte Ruhe ein, und es wurde Zeit, das Tor abzusperren und die Hunde aus dem Zwinger zu lassen. Es regnete, der schneidende Wind ging mir bis auf die Knochen. Normalerweise hätte ich meine wattierte Jacke angezogen, aber ich konnte sie nicht finden.

      Während ich mit dem Tor zugange war, fiel mir ein kleiner Renault Clio auf, der auf der anderen Straßenseite am Bordstein stand. Ich achtete nicht besonders darauf, weil ich nass und durchgefroren war und möglichst schnell wieder ins Warme wollte. Aber das Vorhängeschloss wollte nicht, und die Kette muckte auch auf.

      Als die leise Stimme aus dem Dunkeln sagte: »Eva, bist du es wirklich?«, fielen mir zum x-ten Mal die Schlüssel aus der Hand, und ich sagte: »Verpiss dich. Ich habe zu tun.«

      Komische Reaktion, den einzigen Mensch auf der ganzen weiten Welt abzuwimmeln, den ich wirklich sehen wollte.

      Ich sagte: »Verpiss dich, ich habe zu tun«, und sie sagte: »Entschuldigung, ich wollte nicht stören.« Sie hatte einen schicken, langen Regenmantel an und ein kleines Schirmchen in der Hand, damit ihre Frisur nicht nass wurde. Im Licht der Laterne, das von hinten auf sie fiel, schien es, als ob es Diamanten auf sie regnete. Und sie sah mich an, als ob sie schon lange gewartet hatte. Auf mich.

      Sie sagte: »Bist du es wirklich?«

      Und ich sagte: »Wer?« Und dann setzte ich mich in eine Pfütze, weil ich plötzlich Pudding in den Beinen hatte. Im Magen war es mir auch ganz schwummerig geworden, weil ich wusste, wer sie war.

      Ich sagte: »Simone.« Ich machte die Augen zu und kniff sie ganz fest zusammen. Denn ich wusste, wenn ich sie wieder aufmachte, würde sie verschwunden sein. Es konnte nur am Schnaps liegen, dass ich sie sah. Früher hatte ich jahrelang davon geträumt, dass sie eines Nachts zu mir zurückkommen würde. Manchmal träumte ich, dass sie, als ich Ma in ihrer Räuberhöhle besuchte, im Wohnzimmer auf dem Sofa saß. Ich träumte, dass sie hinter der nächsten Straßenecke vor einem Schaufenster stand und ich sie erwischen würde, wenn ich nur schnell genug lief. Ich träumte, dass sie in einem Auto an mir vorbeifuhr und ich ihr Gesicht durch die spiegelnde Scheibe nicht genau erkennen konnte.

      Aber etwas war diesmal anders. Wenn ich davon träumte, dass sie zurückkam, sah sie immer noch so aus wie früher. Als sie zwölf war und ich elf. Ich weiß nicht, warum. Mir ist klar, dass sie auch älter geworden sein muss, genau wie ich. Aber ich sah sie immer nur als hübsches Mädchen. Nie als erwachsene Frau in einem schicken, langen Regenmantel.

      Noch etwas war anders. Wenn ich von ihr träumte, war sie ein kleines Mädchen und ich war die Londoner Killerqueen. Ich sonnte mich in meinem Erfolg. Ich war berühmt. Stark. Beliebt. Ich saß nicht in einer öligen Pfütze auf dem Hintern. Das gehörte nicht zu meinem Traum. Weiß Gott nicht.

      Also machte ich die Augen wieder auf. Auf der anderen Seite des Tors standen zwei kleine Stöckelschuhe. Und darin stand Simone, auf die es Diamanten regnete. Ich sagte: »Bist du es wirklich?«

      Ich schloss ihr das Tor auf. Ich vergaß, die Hunde aus dem Zwinger zu lassen. Zum ersten Mal in meinem Leben vergaß ich die Hunde.

      In meinen Träumen hatte Simone auch immer gesagt: »Eva, bist du es wirklich?« Deshalb wusste ich, dass sie es war.

      Aber der Hänger war die reinste Müllkippe. Es fiel mir erst auf, als sie reinging. Das war in meinen Träumen auch nicht so gewesen. Im Traum war alles tipptopp aufgeräumt, damit sie gleich sehen konnte, wie gut es mir ging.

      »Ich konnte meine Zahnbürste nicht finden«, sagte ich.

      »Macht nichts«, sagte sie. »Lass dich einmal ansehen.« Also beguckten wir uns erst mal gründlich. Wir hatten nicht viel Licht, nur von der Taschenlampe und meiner Petroleumlampe. Ich habe nämlich etwas gegen Stromrechnungen. Also musste ich ganz genau hinsehen. Je mehr Zeit ich mir nahm, desto mehr erinnerte sie mich an die alte Simone. Aber es war komisch – als würde sich die erwachsene Frau vor meine alte Simone drängen. Ich hätte diese Frau am liebsten weggeschubst. »Verzieh dich«, wollte ich zu ihr sagen. »Du stehst vor meiner Schwester.«

      Sie reichte mir kaum bis zum Kinn. Kein Wunder eigentlich, sie war schon immer kleiner gewesen als ich, obwohl sie ein Jahr älter war. Aber vom Gesicht her hatte sie sich verändert. Früher hatte sie ein Elfengesicht gehabt, große blaue Augen, die unter seidigem Haar hervorblickten. Die Augen waren das Erste, was einem an ihr auffiel, weil sie so dunkel waren, vor allem im Vergleich zu ihrer blassen Haut und den silbrigen Haaren. Sie hatte ein kleines Gesichtchen. Als Kind schien ihr Gesicht mich immer um Hilfe zu bitten. Und ich hatte ihr geholfen. Ich habe auf sie aufgepasst und sie mitgenommen, wenn ich mal wieder ausgerückt bin.

      Aber jetzt hatte sie viel zu viel Farbe im Gesicht. Die blassen Backen waren rosa geschminkt, der helle Mund knallrot.

      Augenlider und Wimpern waren schwarz angemalt, die Haare golden gefärbt. Meine Simone war zwar immer noch da, aber sie trug eine Erwachsenenmaske, und ich konnte nicht mehr erkennen, was ihr Gesicht mir sagen wollte. »Eva«, sagte sie. »Du bist so groß und stark geworden.«

      »Ja.« Ich drehte mich weg. Ich wusste einfach nicht, was sie nach all den Jahren in mir sehen wollte. Womöglich gefiel ihr nicht, was sie sah. Schon früher hatten sie uns die Schöne und das Biest gerufen. Und an diesem Abend war ich nicht besonders gut drauf. Ich wollte mich von meiner besten Seite zeigen, so wie im Traum bei unserer ersten Begegnung, aber ich konnte meine Zahnbürste nicht finden.

      Ich konnte auch nicht still stehen. Mein Herz hüpfte wie Spucke auf einer heißen Herdplatte. Ich wollte ihr so viel sagen, aber es verhedderte sich in mir. Es wollte nicht heraus.

      Bevor ich daran erstickte, sagte ich: »Wie hast du mich gefunden?«

      »Durch Mutter«, sagte sie.

      »Durch wen?«, sagte ich.

      »Unsere Mutter«, sagte sie.

      »Ma?« Ich verstand nicht, dass sie das Wort »Mutter« für unsere Ma benutzte.

      »Ja«, sagte sie. »Ich habe mich eine Zeitlang im Ausland aufgehalten, und als ich zurückkam, wollte ich mich mit dir in Verbindung setzen. Meine andere Mutter wusste, wo unsere Ma wohnte. Sie hat ihr manchmal Fotos von mir geschickt.« Noch ein riesiges Gesprächsthema. Damit kam ich überhaupt nicht klar. Ihre andere Mutter. Warum hatte sie sich adoptieren lassen? Früher war sie für mich eine Verräterin gewesen, weil sie sich hatte adoptieren lassen. Dabei war sie noch ein Kind gewesen und hatte wahrscheinlich gar keine andere Wahl gehabt. Ich verzieh ihr. Fast. Ich durfte nur nicht daran denken.

      »Ich bin Catcherin«, sagte

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