Totensteige. Christine Lehmann
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Der Polizist an der Pforte antwortete: »Ja, er hat eben angerufen. Sie kennen den Weg. Aber das Hundle, das kann fei net nei.«
Na bitte! Es wäre ja auch zu seltsam gewesen, wenn jetzt alles reibungslos verlaufen wäre.
Ich legte den Kopf schief und lächelte. »Das Hundle hat Angst allein. Und ich auch.«
Der Polizist war schon älter. Er kniff die Augen zusammen, drehte sich halb weg und winkte mich fort. Ich nahm Cipión untern Arm und drückte mich durch den Vereinzelungsapparat, wie in solchen Gebäuden die Drehtüren heißen. Und da passte wirklich nur einer durch, und zwar ohne Rucksack. Ich musste aufpassen, dass Cipións Rute nicht abgeklemmt wurde.
Dann war ich drin. Ich ließ Cipión zu Boden und von der Leine. Der Fahrstuhl befand sich rechts. Er hatte ein vorgeburtliches Alter – auf meine Geburt bezogen natürlich – und das gleiche messingverbrämte Design wie die Fahrstühle im Bürgerhospital aus dem Jahr 1958. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft steckte jetzt seit dreißig Jahren – ein ganzes Karriereleben lang – in einem Gebäude aus den Dreißigern, das ursprünglich von einem Oberpostbaurat namens Osswald für das Telegraphenbauamt der Reichspost geplant und nach dem Krieg zunächst vom Süddeutschen Rundfunk genutzt worden war. Der Stil nannte sich Neue Sachlichkeit und war längst denkmalreif. Der Fahrstuhl rumpelte mich in den dritten Stock hinauf. Eine Renovierung war vor einigen Jahren durchs Gebäude gebraust und hatte die Gänge aufgehellt. Auch gab es inzwischen Flachbildschirme.
Roswita Kallweit hatte schon Dienstschluss gemacht. Die Porzellankatzen auf ihrem Schreibtisch weinten ihr nach. Mittlerweile teilte sie sich ihr Büro mit einer weiteren Schreibkraft, die auch schon lange gegangen war. Die Tür zu Richards Büro stand offen.
»Ah!«, sagte er aufblickend.
Cipión startete durch, veranstaltete seinen Begrüßungswirbel, ratzte mit den Krallen über das edle Tuch von Richards Hosen, warf sich auf den Rücken und zwang den Staatsanwalt, sich zu bücken, zärtliche Laute auszustoßen und zu lächeln. Als der Hund genug hatte, fuhr Richard per Tastendruck seinen Computer herunter, stand auf, zog sich das Jackett über, griff sich einen Speicherstick und kam hinter seinem Tisch hervor, der noch original Süddeutscher Rundfunk war.
»Was ist eigentlich los?«, fragte ich.
»Das wirst du gleich sehen.«
Wir begaben uns in den Medienraum, der seit dem letzten Mal mächtig an Technik gewonnen hatte. Neben neueren DVD- und Blu-ray-Playern zur Überprüfung von Produktpiraterie und illegalen Kopien standen aber auch noch der alte Kassettenrekorder und das Videokassettengerät. Außerdem hatten wir hier beide bequem Platz am Tisch. Richard fuhr den Computer hoch, stöpselte den USB-Speicher ein und öffnete einen Bildordner. Ich erkannte meine missglückten Fotos von Rosenfelds Büro wieder.
»Oje!«
»Jetzt pass auf.« Richard vergrößerte eines der Bilder, auf denen verwischte Buntheit herrschte, und fuhr an die linke untere Ecke hinunter. »Siehst du das?«
Ich sah etwas Dunkles. »Total unscharf.«
»Was auch immer das ist, auf den Tatortfotos der Polizei ist es nicht drauf.«
»Ein Gespenst!«, bemerkte ich.
»Oder ein Gegenstand, der sich dort nicht mehr befand, als die Tatortgruppe eintraf.«
»Die mussten doch erst einmal die Tür aufschieben, um hineinzukommen. Es war unvermeidlich, dass sie dabei die Spurenlage an der Tür verändert haben.«
»Wie weit bist du hineingetreten?«
»Gar nicht. Ich habe nur den Arm reingestreckt. Die Tür ließ sich nur einen Spaltbreit öffnen. Außerdem hatte ich Schuhe und Strümpfe ausgezogen, weil sie patschnass waren. Schon deshalb habe ich es vermieden, einen Fuß in das Zimmer zu setzen.«
Richard nickte. »Deine Fußabdrücke hat man im Eingangsbereich gefunden und dokumentiert.« Er ging zurück in die Datei mit meinen Fotos und rief ein weiteres auf. Es zeigte ein von der Sonne verblendetes parkettfarbenes Geleuchte. »Vermutlich hast du auf den Auslöser gedrückt, als du die Hand mit dem Handy zurückgezogen hast. Schau, hier ist es wieder.«
Der Gegenstand war immer noch dunkel, aber deutlich kantiger, sogar leicht konisch.
»Und jetzt pass auf.« Richard lud das Foto aus einem anderen Ordner noch einmal hoch. »Die IT-Fachleute beim LKA haben dein Foto mit dem verwischten Gegenstand nachbearbeitet und versucht, die Bewegung herauszurechnen.«
Viel schärfer war der Gegenstand allerdings nicht geworden. »Jetzt sieht es aus wie ein schwarzer Käfer mit Leuchtdioden«, bemerkte ich.
»Die KT hat«, fuhr er mit mehr Anspannung in der Stimme fort, als mir dieser Schmutzfleck auf dem Foto zu rechtfertigen schien, »unter alle Schränke geschaut, in alle Ecken, alle Ritzen, aber nichts gefunden, was auch nur annähernd so aussieht.«
»Verdammt, was ist das nur für ein Ding?«
Er schaute mich an. »Auf der Liste der KTU stehen Kiessteine, eine Büroklammer unterm Schreibtisch, Hydrokügelchen aus dem Topf mit dem Philodendron, Klemme und Feder eines zu Bruch gegangenen Kugelschreibers, eine leere CD-Hülle unter einem Schrank, ein altes Zehn-Pfennig-Stück. Und so einen Tatort untersucht man besonders sorgfältig. Man ist sogar noch einmal hin, um sich das Büromaterial im Institut anzusehen. Aber es hat sich nichts gefunden, was annähernd so aussieht.«
»Und wem ist jetzt erst aufgefallen, dass auf meinen Fotos etwas drauf ist, was die Polizeikamera nicht erfasst hat?«
»Den Fallanalytikern im LKA. Dieses Foto von dir hilft abzuschätzen, wie weit die Tür sich gegen den Widerstand der Füße öffnen ließ. Die Fallanalytiker haben ausprobiert, ob die Lage der Leiche so sein konnte, wie sie sich auf deinen Fotos erahnen lässt, wenn jemand die Tür knapp vierzig Zentimeter geöffnet hat, um hinauszuschlüpfen. Die Antwort ist Nein. Die Leiche hätte dann anders liegen müssen.«
»Das heißt, man geht davon aus, dass der Täter das Büro durch die Tür verlassen hat.«
»Es gibt keine andere Möglichkeit. Das Büro hat zwar noch eine zweite Tür, aber sie ist seit Jahren verschlossen, mit Styropor isoliert und auf beiden Seiten mit schweren Regalen zugestellt. Es gibt einen Wandschrank, aber die Farbabdeckung zeigt, dass dort keine Bretter bewegt worden sind. Die drei Fenster waren von innen verriegelt. Die Zimmerdecke weist keine Spuren einer Manipulation auf, genauso wenig die Dielen auf dem Dachboden darüber. Die Suche nach einer anderweitigen Geheimtür verlief erfolglos. Es geht also nur die Tür.«
Ich verstand, was ihn quälte. Auf meinen Fotos lag am Türrahmen ein Gegenstand, der möglicherweise verraten hätte, wie der Täter es geschafft hatte, den Raum durch die Tür zu verlassen, ohne sie so weit zu öffnen, wie er musste, um durchzupassen. Doch der Gegenstand hatte sich verflüchtigt, als die Polizei ihre Arbeit aufnahm.
»Und nun