Müllers Morde. Monika Geier

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Müllers Morde - Monika Geier

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ENERGIE Überstunden machen, denn hier bei uns gibt es immerhin die Gelegenheit, das Richtige zu tun.

      Tja.

      Für die ENERGIE arbeiten, das war nicht der Punkt. Sich Umweltschützer schimpfen war schon verlogener, denn welcher Mensch konnte bestreiten, dass die Erde ohne ihn ganz einfach besser dran wäre? Aber für die ENERGIE als Umweltschutz­manager arbeiten, das grenzte an –

      Schritte.

      Ledersohlen.

      Steenbergen.

      Steenbergen war nicht allein. Er verabschiedete sich wortreich von einer Kollegin, Verena Frenzky aus dem Technical Support, küsste sie auf beide Wangen und schaute ihr nach, als sie ging. Glücklicherweise musste die blöde Frenzky auf ein anderes Deck. Sie lief auf ihren hohen Sommerschuhen durch die Lichtflecken zum Treppenhaus und drehte sich an der Tür noch mal um, zum Winken, du ahnst es nicht. Da hatte sie sich aber einen Veteranen ausgesucht, der olle Steenbergen, der war doch sexuell längst nicht mehr aktiv. Und würde es auch nicht mehr werden. Zu spät, um ihn aufzutauen. Die Ex würde nicht um das Haus und das Auto und die Lebensversicherung streiten müssen. Man würde traurig sein, aber nicht verbittert. Global gesehen war es besser so.

      Als die Tür zum Fond geöffnet wurde, blickte Steenbergen sich vom Vordersitz aus überrascht um. Man befand sich in einem silbergrauen Phaeton mit zusätzlichem Elektroantrieb und Hybrid­technologie. Stand jedenfalls hinten drauf, genauso wie das Firmenlogo ENERGIE.

      »Schade, gell, dass ich nicht Frau Frenzky bin?«

      Steenbergen hatte sich schon angeschnallt und saß nun unbequem nach hinten verdreht. »Ich kenne Sie«, sagte er unwillkürlich, und viel schärfer: »Hey – Sie haben hier nichts verloren! Verlassen Sie meinen Wagen!« Verärgert schnallte er sich ab und machte Anstalten, erst mal selbst auszusteigen.

      »Schön sitzen bleiben.«

      »Sie –« Steenbergen blickte wieder nach hinten und erstarrte. Dann sagte er fast ungläubig: »Was wollen Sie mit der Pistole?«

      »Es ist ein Revolver.« Eigentlich war es nur ein Feuerzeug, das einem Revolver täuschend ähnlich sah, einen spannbaren Hahn besaß und auch schwer in der Hand lag, ein fieses kleines Spielzeug. Eine echte Waffe hatte nicht zur Verfügung gestanden. Und wäre auch zu gefährlich gewesen.

      »Sie arbeiten für uns.« Steenbergen hatte sich rasch gefasst und klang nun sehr streng. »Hier im Haus an der Flora. Ich kenne Sie. Sie sind ein Datenschützer, IT-Abteilung, nein … Sie gehören zu Human Resources. Sie heißen –«

      Es fiel ihm nicht ein. Das war eine Überraschung. Denn das bedeutete, dass er noch nichts wusste. Wenn er schon etwas gewusst hätte, dann hätte er den Namen sofort parat gehabt. Aber jetzt war es zu spät, jetzt war die Waffe ausgepackt, und ob Steenbergen es heute schon wusste oder erst morgen erfahren hätte, war im Prinzip auch egal. Es war sogar besser. Denn nun ahnte Steenbergen nicht, weshalb er entführt wurde.

      »Müller.«

      »Nein, so heißen Sie nicht.«

      »So dürfen Sie mich nennen, und jetzt möchte ich Ihr Handy haben.«

      Steenbergen zögerte. Dr. sc. soc. Dr. rer. nat. Steenbergen, ­eigentlich. Er war ein Vorstandsmanager. Sich einem kleinen ­namenlosen Müller aus der Personalabteilung unterzuordnen, fiel ihm sichtlich schwer. Müller musste ihm dabei helfen. Er schloss die Tür des Fonds, beugte sich vor und presste Steenbergen die Mündung der Waffe ans Jackett. »Mit diesem Revolver hab ich eben meine Frau erschossen«, flüsterte er heiser in Steenbergens rechtes Ohr. »Ich hab nichts mehr zu verlieren, verstanden?«

      Steenbergen nickte stumm.

      »Handy.«

      Steenbergen griff in die Brusttasche seines Anzugs.

      »Langsam, keine Spiele.«

      Steenbergen reichte Müller sein Smartphone, langsam und ohne Spiele.

      Die Idee mit der ermordeten Frau war genial, denn nun würde Steenbergen es tunlichst vermeiden, von seiner eigenen Familie zu reden. Es würde ihn auch von anderen Dummheiten abhalten.

      »Ich sag Ihnen jetzt was. Sie sind mir völlig egal. Ich tu Ihnen nichts, wenn Sie nicht nerven.«

      Steenbergen nickte, nicht direkt erleichtert, aber doch wieder wie ein Mann mit einer Perspektive.

      »Ich will nur aus Köln raus, verstanden? Sie fahren mich, ich sage, wohin. Wenn wir auffallen, sind Sie tot wie die alte Schlampe. Wenn nicht, lasse ich Sie noch heute Abend frei.«

      Steenbergen nickte wieder.

      »Denken Sie an Ihre Familie.« Müller schaltete das Smartphone aus und steckte es ein. »Und jetzt los.«

      Das Besondere am Tod – auch einem fremden – war das Gewicht, das jede Handlung und jeder Satz in seiner Nähe annahmen. »Rosebud«, »Mehr Licht!«, »Es ist vollbracht«, das waren unsterbliche Worte, die ihr Geheimnis doch bloß aus der Situa­tion zogen, in der sie gesagt worden waren. Es war fast eine Kunstform. Bring den Tod ins Spiel, und die Äußerungen aller Beteiligten wachsen ins Monumentale, wirken wie vor Publikum gesprochen. Glücklicherweise wusste Steenbergen nichts von seinem bevorstehenden Ableben, sonst hätte er sicher Schnörkel angebracht. Er wäre kitschig geworden. Er hätte Worte gebraucht wie: Liebe, Vergeltung. Mord. Da war es weit besser, er konzentrierte sich aufs Fahren und sagte nur ab und zu: »Hier jetzt rechts?« oder: »Wenn wir da vorn geradeaus wollen, muss ich aber die Spur wechseln.«

      Und war das nicht ein wunderbarer letzter Satz: Wenn wir geradeaus wollen, muss ich die Spur wechseln? War das nicht rätselhaft, uneindeutig, bedeutungsvoll – gut?

      »Ja, wechseln wir die Spur«, sagte Müller.

      Sie waren am Ziel: Eine kleine Waldlichtung an der L 46 bei Daun, leicht mit dem Wagen zu erreichen, aber einsam und gut versteckt. Müllers eigenes Auto stand da, halb verborgen im Gebüsch.

      »Ach so, Sie sind der Typ mit dem Alfa«, entfuhr es Steenbergen, und Misstrauen schlich sich in seinen Ton. Nicht, dass er vorher vertrauensselig gewesen wäre, doch während der Fahrt hatte er die Ruhe bewahrt und versucht, möglichst unpersönlich zu bleiben. Weil er an die Geschichte mit der toten Frau glaubte. Doch ein vorbereitetes Fluchtauto passte nicht dazu. Das war nicht spontan, das war kein Affekt, da steckte mehr dahinter. Nun musste es ganz schnell gehen.

      »Jetzt weiß ich es wieder, Sie sind der ehemalige Hacker, und Sie heißen –«

      »Maul«, unterbrach Müller und hob den Revolver. »Aussteigen.«

      Sie stiegen beide aus und standen einander in dem abendlichen Sommerwald gegenüber. Steenbergens Augen blickten klug und unstet, er war ein schneller Denker, das hatte Müller schon beim Autofahren bemerkt. »Ich brauche einen Vorsprung«, erklärte er, den Revolver fest im Griff, und wies mit

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