Müllers Morde. Monika Geier

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Müllers Morde - Monika Geier

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mit dem Klebeband. Vorn auf der Straße hielt ein Auto, die Scheinwerfer suchten die Lichtung ab. In einer absolut unwillkürlichen Bewegung knallte Müller die Autotür zu und duckte sich hinter den Phaeton. Trotzdem: Der Besitzer dieser verdammten Scheinwerfer musste gesehen haben, dass er da war. Sein Herz klopfte in mächtigen Schlägen, er spürte es bis in die Zehenspitzen. Da setzte das Auto zurück und fuhr davon. Vermutlich noch jemand, der die Einsamkeit suchte. Müller sank auf den Waldboden und tat fünf Minuten lang gar nichts.

      Steenbergens Hände waren nun frei, er lag gut zugedeckt in seinem Phaeton. Müller hingegen kurvte im Alfa langsam am Parkplatz vor dem Totenmaar vorbei. Die Nacht war klar, daher sah man ganz gut. Und Müller sah: nichts. Kein Auto, kein Spaziergänger, niemand. Er wendete auf einem Waldweg und fuhr langsam zurück: Die Luft war rein. Der Teil, der nun kam, war riskant. Ob er es jetzt gleich wagen sollte?

      Das Wasser des Totenmaars lag schwarz in der Nacht, ringsumher erhob sich der bewaldete Krater wie ein großes Theaterrund. Darüber leuchteten viele Sterne. Alles war ruhig, sogar die Kühe auf der Weide unten am See hatten sich in ihre Senke gelegt und dösten. Gut so. Und jetzt musste er ran, je eher, desto besser. Die Todeszeiten mussten zumindest grob zusammenpassen. Müller zog ein Paar neue Gummistiefel an, die hatte er mitgenommen. Immer noch niemand. Keine Scheinwerfer, kein knirschender Splitt, kein Liebespaar, nichts. Müller öffnete vorsichtig die Tür seines Wagens. Lautes Grillengezirp und warme Luft drangen herein. Er war ganz allein. Trotzdem wollte er schnell sein.

      Der Weidezaun war mit Stacheldraht verstärkt, das hatte er gewusst, aber unangenehm war es trotzdem. Denn natürlich durfte er nicht hängen bleiben. Irgendwie schaffte er es schließlich, sich mit seiner tragbaren Kühltruhe über den Zaun zu wurschteln. Dann schlich er auf die Kühe zu. Sie waren groß, rochen gut und waren furchterregend lebendig, selbst wenn sie lagen und schliefen. Eigentlich schliefen sie auch gar nicht, sie dösten nur. Eine, die hinterste von vier, hob den Kopf und schnaufte, als er näher kam. Müller wäre furchtbar gern weggerannt. Diese Tiere waren viel, viel stärker als er. Sie mussten doch spüren, was für Absichten er hegte! Doch sie lagen nur träge an ihrem Platz. Müller bewegte sich vorsichtig. Ganz nah ran musste er. So. Nun öffnete er stumm seine Kühltruhe und legte der nächsten Kuh, einer hübschen Braunen mit leicht vorstehenden Hüftknochen, ein großes Stück dampfendes Trockeneis vor die Nase. Und das Wunder geschah: Die Braune zuckte nur leicht mit den Ohren und blieb liegen. Ihre unruhige Kollegin hingegen richtete sich umständlich auf. Die beiden anderen hoben ihre Köpfe. ­Müller verteilte, jetzt fast panisch vor Nervosität, Trockeneisstücke ringsum. Dann brauchte er seine ganze Willenskraft, um nicht überstürzt zum Zaun zu rennen. Er zwang sich zu gemessenen Schritten und horchte ängstlich auf das laute Atmen in seinem Rücken. Angespannt wurschelte er sich wieder über den Stacheldraht. Und blickte erst zu den Kühen zurück, als er die Kühlbox in seinem Kofferraum verstaut hatte. Da sah er ein merkwürdiges, surreales Bild: eine Senke, gefüllt mit dichtem, waberndem Bodennebel, der ein paar große Körper umschloss. Und dahinter eine Kuh, die für einen kurzen Moment wirkte, als habe sie diesen Nebelsee ausgeschnaubt. Dann trollte sie sich und suchte sich einen weniger gefährlichen Schlafplatz. Die anderen drei jedoch blieben liegen.

      Niemand war auf diesen Parkplatz gekommen, obwohl er weit exponierter lag als der mit Steenbergens Leiche. Nur auf der Straße zum Totenmaar fuhr ab und zu ein einsames Auto vorbei, von deren Fahrern konnte er aber nicht gesehen werden, der Alfa stand zu versteckt. Jetzt kam der schwierigste Teil. Müller stieg aus seinem Wagen, die Nachtluft hatte sich merklich abgekühlt, der Himmel war bezogen. Es war finsterer und stiller als zuvor. Das Wasser lag wie eine große, glatte Falle zwischen den Bäumen. Sicher gab es viele schaurige alte Legenden um das Maar, die Müller zum Glück nicht kannte. Unheimlich war ihm trotzdem zumute. Schließlich schuf er soeben eine neue.

      Von weitem konnte man nicht erkennen, ob die Kühe sich regten, es war schon zu dunkel. Immerhin lagen sie aber in der Senke, und Nebel schien dort auch noch zu stehen. Noch einmal stieg Müller über den verflixten Zaun, wie gern hätte er den blöden Draht einfach durchgezwickt! So. Drüber. Die Kühe blieben ruhig. Er stapfte auf sie zu, mit Schleichen hielt er sich nicht mehr auf. Wenn er sie jetzt noch erschrecken konnte, funktionierte sein Plan sowieso nicht. Die drei Körper lagen reglos in der Senke. Müller berührte die Braune an der Stirn, sie fühlte sich weich an und warm. Sie war hübsch. Und sie schlief fest. Ihr Atem ging leicht, ein wenig Sabber rann ihr aus dem Maul. Jetzt sollte er testen, ob sie wirklich bewusstlos war. Nach kurzem Überlegen und mit größter innerer Anspannung setzte Müller sich auf ihren Nacken. Sie zuckte, sonst nichts. Na schön. Er fasste ihr Maul an. Sie rührte sich nicht. Da nahm er die drei ineinandergezogenen großen Plastiksäcke mit dem Stück Trockeneis darin. Und schaffte es irgendwie mit viel Drücken und Ziehen und Glück, die Säcke über den warmen Kuhkopf zu bekommen. Endlich zog er an dem Zugband des obersten Sacks. Danach richtete er sich auf und blickte zum Maar. Er war nassgeschwitzt.

      Wieder im Auto. Jetzt ein Bier! Aber nein, die Arbeit war noch lange nicht zu Ende. Doch erst einmal galt es zu warten.

      Jetzt sollte auch die Braune tot sein. Ein letztes Mal stieg Müller über den Zaun zu den Kühen. Er entfernte die Tüten vom Kopf der Braunen, sie setzte ihm keinen Widerstand entgegen. Die beiden anderen Rindviecher neben ihr gaben ebenfalls nicht den kleinsten Mucks von sich, und die vierte Kuh war nicht zu sehen. Nun noch die Spuren verwischen, zum Glück wuchs Gras auf der Weide. Müller scharrte ein wenig mit seinen Gummistiefeln auf dem Boden und benutzte sogar eine Taschenlampe. Keine Spuren. Er leuchtete um die Kühe herum, er verfolgte seinen Weg zum Zaun zurück. Nichts. Dann konnte er endlich Steenbergen holen.

      Steenbergens Elektroauto sprang ein bisschen anders an, aber das war kein Problem. Die Fahrt zum Totenmaar dauerte nur knapp zehn Minuten. Schwierig war es allerdings, Steenbergen aus dem hinteren Fußraum rauszukriegen, daran wäre Müller fast verzweifelt. Er trug jetzt einen weißen Overall, wie man ihn für den Aufenthalt in Reinräumen benutzte, und obwohl das Ding sehr dünn war, schwitzte Müller darunter wie blöd, das Schwitzen auf der Weide bei den Kühen war nichts dagegen gewesen. Steenbergen lag wie festgewachsen und ließ sich kaum bewegen, vermutlich hatte die Totenstarre schon eingesetzt, klar, nach gut sechs Stunden. Müller hatte gehofft, diese blöde Starre würde noch ein wenig warten, aber man konnte nicht alles haben. Immerhin hatte er an die Arme gedacht. Und da er Steenbergen rauskriegen musste, kriegte er ihn schließlich auch raus. Dann schleppte er ihn zu der Bank, die direkt an der Weide ganz in der Nähe der Schlafsenke der Kühe stand. Schließlich lag Steenbergen wirklich auf der Bank, mit angewinkelten Armen und Beinen, als ob er sich zum Schlafen dort hingelegt hätte. Sitzen wäre natürlich besser gewesen, aber das konnte man mit der totenstarren Leiche nicht machen, ohne ihre Gelenke zu brechen. Also musste Steenbergen liegen. Was aber im Tod auch keine ungewöhnliche Haltung war.

      Nur noch aufräumen. Er entfernte alles Verräterische aus Steenbergens Auto, er saugte mit einem kleinen Tischstaubsauger die Polster und Fußräume und Steenbergen ab, er steckte der Leiche Handy und Autoschlüssel ins Jackett, zog das Klebeband von ihrem toten Mund ab und behandelte alle Stellen, an denen das Tape geklebt hatte, mit Hautcreme, weil er gehört hatte, dass man damit verräterische Spuren entfernen konnte. Schließlich zog er den schrecklichen Overall aus

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