Müllers Morde. Monika Geier

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Müllers Morde - Monika Geier

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die er mit der Fußspitze verwischte, ansonsten wies nichts mehr auf ihn hin. Dann machte er sich, endlich, in den schwitzigen Gummistiefeln und mit geschultertem Rucksack auf den Weg zu seinem eigenen Auto.

      Sie haben einen Menschen getötet.

      Das war nötig.

      Die Entschuldigung hört man öfter.

      Es war kein Familienvater mit fünf unterversorgten Kleinkindern, okay? Es war ein reicher Sack, der niemandem fehlt. Für mich war er eine echte Gefahr. Und sagen Sie selbst: Der ENERGIE-Manager mit CO2 am Totenmaar – das ist doch abgefahren!

      Sie spielen Cluedo?

      Wie kommen Sie denn darauf?

      Na, es hat sich so angehört: Der ENERGIE-Manager mit CO2 am Totenmaar. Das ist Cluedo.

      Hören Sie bloß auf. Der hätte kurzen Prozess mit uns gemacht. Und zufällig weiß ich von meiner, hm –

      Komplizin?

      Was soll denn der Ton? Ja, meinetwegen: Komplizin, wenn sie das nur wäre! In Wahrheit wollte sie alles auffliegen lassen, aber ich hab’s ihr gezeigt. Ihr lieber Steenbergen ist tot – jetzt wird sie spuren!

      Da Steenbergen tot ist, wird sie aber auch nicht mehr viel nützen.

      Sie wird den Mund halten, das ist erst mal das Wichtigste. Mit Steenbergen als Chef konnte es eh nicht mehr lange gut gehen, um den hätte man sich sowieso bald kümmern müssen! Von allen Vorgesetzten, die ich bisher hatte, hat keiner, wirklich keiner wie Steenbergen nachts im Büro herumgehockt und bereits geprüfte Geschäftsvorgänge noch mal geprüft.

      Sie rationalisieren.

      Natürlich! Egal, wer da nachkommt – es kann nur besser werden. Außerdem will ich sowieso weg von diesen simplen Tarngeschäften. Das ist mir zu anspruchslos. Ich hab ganz andere Pläne.

      Nein, ich meine, Sie rationalisieren Ihre Tat. Den Mord.

      Also erstens mal ist das im Moment noch ein einfacher Todesfall, der sich, wie ich fest glaube, als ein Unglück entpuppen wird, als Naturkatastrophe, als höhere Gewalt –

      Mord.

      Ah! Wissen Sie was: Es gibt sowieso zu viele von uns. Wir sind sieben Milliarden Menschen auf der Erde, und bald werden wir noch mal so viele sein! Wir werden uns kloppen um jeden Tropfen Öl, um jeden einzelnen Baum, um jeden Meter Land, und zwar noch in dieser Generation! Was macht es da, wenn die gehen, die sowieso niemand braucht?

      Sie haben also ein ökologisches Motiv.

      Eher ökonomisch, würde ich sagen. Ich glaube einfach nicht, dass es für alle reicht. Und ich will auch noch was von meinem Leben haben.

      Wieso wenden Sie Ihre Überzeugungen nicht auf sich selbst an? Oder auf Ihre – Komplizin? Sind Sie nicht ebenso überflüssig wie Steenbergen es war?

      Ach, lecken Sie mich doch am Arsch.

      Zwei

      Er hatte sich nie richtig verändert. Wenn Richard Romanoff, 42, freiberuflicher Historiker, sich in die Mitte seiner Wohnung stellte – also in die Küche –, dann konnte er mit einem Rundumblick die gesamte Misere betrachten: Er lebte in einer Studentenbude. Einer dreckigen Studentenbude. Er war der Freak, der in der WG-Wohnung hängen geblieben war, der Letzte von vielen. Noch heute zehrte er von den vergangenen Partys, den Dramen und Krächen, den selbstgebauten Möbeln, den Kinoplakaten. Niemals hatte er eigenes Geschirr gekauft. Und neben der Fensterbank am Esstisch hing nach wie vor der verblichene Spülplan, den die nervige Yvonne damals dorthin gepinnt hatte, damit ihn auch wirklich jeder sehen konnte. Yvonne war übrigens immer noch nervig. Wenn sie vorbeikam – das tat sie! –, konnte es passieren, dass sie Tassen mitnahm. Sie nagelte ihre High Heels in den Parkettboden, der schon vor zwanzig Jahren vernachlässigt gewesen war, zog ungeniert Schubladen auf und wunderte sich, wie klein alles war. Richard seinerseits fand Yvonne klein: Sie hatte ihr Studium abgebrochen und den Prof geheiratet. Oder umgekehrt. Auf jeden Fall war sie nun Mitglied der Unigemeinde und dekoratives Anhängsel des Fachgebietes, für das auch Richard arbeitete. Er hielt als freier Mitarbeiter die Vorlesungen über Karl den Großen, leider allerdings nicht etwa, weil man seine wissenschaftliche Kompetenz besonders schätzte, sondern weil der Chef des Fachgebiets selbst sich an den ­Ottonen festgefressen hatte und den großen Karl nur für ein lästiges Hindernis seiner Forschung hielt. Wobei der Prof in seiner Abneigung sogar heimlich mit der Illig-These sympathisierte. Die Studierenden kamen zuweilen völlig überdreht aus seinen Seminaren und zettelten dann bei Richard heiße Diskussionen darüber an, ob es Karl den Großen und die ganze Karolingerzeit überhaupt gegeben hatte. Eventuell war das aber auch nur eine kleine Rache dafür, dass der Prof jetzt die nervige Yvonne an der Backe hatte, die hatte er nämlich seinerzeit hier in der WG kennengelernt. Wie auch immer, auf jeden Fall hatte Richard außerdem die Übersetzungen aus dem Russischen und dann, mit etwas Glück, seine Aufträge. Die waren seine eigentliche Arbeit. Er besaß nämlich einen besonderen Riecher für bedeutsame ­Altertümer, und wenn er Glück hatte, wurde er von anerkannten Museen und Wissenschaftlern um Hilfe gebeten. So hatte er bereits mehrere seltene Papyri wiederentdeckt, außerdem eine anderthalb Meter hohe Sandsteinstatue des persischen Königs Solsol in der Rolle des Volkshelden Rostam und noch so einiges andere, was verborgen und unerkannt in Museumskellern gelegen hatte. Man konnte sogar gut Geld damit verdienen, nur eben leider nicht regelmäßig. Manchmal war dermaßen viel zu tun, dass er einen Helfer einstellen musste, doch darauf folgten stets wieder Durststrecken. So wie jetzt gerade.

      Richard seufzte tief. Er stand immer noch in der Küche und zwang sich, den Anblick des chaotischen Flurs mit fremden Augen zu sehen. Mit den Augen einer jungen, attraktiven Museumskuratorin beispielsweise, die ihn beauftragen würde, den Schatz des Priamos nach Deutschland zurückzuführen. Unmöglich, würde er sagen, da könnte ich noch so gut russisch reden, St. Petersburg rückt den nicht in hundert Jahren raus, die haben viel zu viel Angst, dass wir ihn behalten, ist ja Beutekunst gewesen. Eine Million, würde sie sagen, vorausgesetzt, dass der Flur aufgeräumt war, mein Publikum will den Schatz sehen, und Sie allein, mein lieber Herr Romanoff, sind in der Lage –

      Das Telefon klingelte.

      Richard durchquerte den dreckigen Flur in Richtung Arbeitszimmer.

      Es war Peter Welsch-Ruinart. Richard seufzte innerlich und blickte zum Wandkalender. So dringend konnte die Wiederentdeckung von Atlantis auch wieder nicht sein, er war doch erst vor vierzehn Tagen bei dem Anwalt gewesen, Geld für das Eulengefäß war noch keins überwiesen worden, und vor einer weiteren Woche würde er für diesen Spinner nicht den kleinsten Finger rühren. »Ihr Auftrag mit dieser Vase ist ziemlich – bizarr«, sagte er abweisend. »Aber ich bin dran, und sowie ich Erfolg habe, melde ich mich bei Ihnen, versprochen.«

      »Es geht um etwas anderes«, sagte Peter. »Könnten Sie bitte sofort in mein Büro kommen?« Seine Stimme hörte sich müde an, zittrig, doch auch gewohnheitsmäßig autoritär. »Ich meine natürlich nicht – entschuldigen Sie, das sollte keine – wie soll ich sagen: Bitte. Ich >muss mit Ihnen sprechen, so bald wie möglich.«

      »Hm.« Wenn es nichts mit Atlantis zu tun hatte, wollte Richard erst recht nicht in Peter Welsch-Ruinarts Löwenhöhle. Nie und nimmer. »Tut mir leid«, sagte er. »Heute ist nichts zu machen.«

      »Dann komme ich zu Ihnen«, verkündete Peter ohne Umschweife. »Sie telefonieren übers Festnetz, also

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