Wu. Frank Rudolph
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Foto 17
Foto 18
Fotos 16 bis 18: Sequenz aus dem zweiten Teil des yanchigong. Die Bewegungen werden ganz langsam ausgeführt. Man dreht sich von der Haltung auf Foto 17 in die von Foto 18, ohne dabei zu wackeln, den erhobenen Fuß abzusetzen oder die Höhe zu verändern.
All das gilt nicht nur für das yanchigong, sondern für sämtliche echten Gong-Übungen. Welches Training das Beste ist, lässt sich nicht sagen. Die Frage stellt sich nicht einmal. Meister Li, der seit frühster Kindheit mit den verschieden Meistern trainierte und dabei auch die verschiedensten Arten von gong übte, bevorzugt das yanchigong, aber andere Meister haben andere Ansichten. Doch solche Widersprüche sollten zu keinem Streit zwischen den einzelnen Vertretern der Kampfkünste führen. Streit über derartige Dinge hat meines Erachtens oft nur den Grund, dass jemand von eigenen Schwächen ablenken will.
Foto 19
Foto 20
Foto 21
Fotos 19 bis 21: Bewegungsfolge aus dem dritten Teil des yanchigong. Hier bewegt man sich nicht mehr, sondern steht statisch in tiefen Stellungen (über eine Stunde lang). Der gesamte Körper hält die ganze Zeit über eine starke Innenspannung aufrecht und baut dadurch eine große und effektive Kraft auf. Wie man im Bildausschnitt auf Foto 20 b erkennen kann, werden in Position 20 die Fersen angehoben, so dass man auf den Ballen steht.
Foto 20 b
Clausewitz und das Gongfu
In den vorliegenden Abschnitt über das gongfu sind viele Gedanken aus Clausewitz’ großartigem Werk »Vom Kriege« eingeflossen. Das ist kein Zufall. Gongfu ist, wie oben dargelegt, durch ein Buch grundsätzlich nicht vermittelbar. Es ist durch lange Zeit hingebungsvollen Trainings erworbenes Können, das jederzeit abrufbar und praktisch einsetzbar sein muss. Erst durch die sinnvolle Anwendung des Könnens ist das gongfu vollständig.
Im Kapitel »Über die Theorie des Krieges« schreibt Clausewitz folgendes:
Das Wissen muß ein Können werden
Wir haben jetzt noch einer Bedingung zu gedenken, welche für das Wissen der Kriegführung dringender ist als für irgendein anderes: daß es nämlich ganz in den Geist übergehen und fast ganz aufhören muß, etwas Objektives zu sein. Fast in allen anderen Künsten und Tätigkeiten des Lebens kann der Handelnde von Wahrheiten Gebrauch machen, die er nur einmal kennengelernt hat, in deren Geist und Sinn er nicht mehr lebt, und die er aus bestaubten Büchern wieder hervorzieht. Selbst Wahrheiten, die er täglich unter Händen hat und gebraucht, können etwas ganz außer ihm Befindliches bleiben. Wenn der Baumeister die Feder zur Hand nimmt, um die Stärke eines Widerlagers durch einen verwickelten Kalkül zu bestimmen, so ist die als Resultat gefundene Wahrheit keine Äußerung seines eigenen Geistes. Er hat sich die Data erst mit Mühe heraussuchen müssen und diese dann einer Verstandesoperation überlassen, deren Gesetze er nicht erfunden hat, und deren Notwendigkeit er sich zum Teil in dem Augenblick nicht einmal bewußt ist, sondern die er großenteils wie mechanische Handgriffe anwendet. So ist es aber im Kriege nie. Die geistige Reaktion, die ewig wechselnde Gestalt der Dinge macht, daß der Handelnde den ganzen Geistesapparat seines Wissens in sich tragen, daß er fähig sein muß, überall und mit jedem Pulsschlag die erforderliche Entscheidung aus sich selbst zu geben. Das Wissen muß sich also durch diese vollkommene Assimilation mit dem eigenen Geist und Leben in ein wahres Können verwandeln. Dies ist der Grund, warum es bei den im Kriege ausgezeichneten Männern so leicht vorkommt, und alles dem natürlichen Talent zugeschrieben wird; wir sagen: dem natürlichen Talent, um es dadurch von dem durch Betrachtung und Studium erzogenen und ausgebildeten zu unterscheiden.31
In den letzten Jahren habe ich sehr viele Bücher und Ausarbeitungen über das Thema gelesen oder mir audiovisuelle Darstellungen dazu angesehen. Den Begriff gongfu hörte ich überall, gerade wenn es um chinesische Kampfkunst geht, auch wenn gongfu sich nicht darauf beschränkt. So gut wie alles, was ich darüber las, war unvollständig, oberflächlich oder schlicht falsch. Manchmal waren die Ausführungen auch zu sehr verklärt. Tatsächlich fand ich im Buch »Vom Kriege« die beste und zutreffendste Erklärung über das gongfu. Es war der Deutsche Clausewitz, der, obwohl er den Begriff nicht kannte, die Bedeutung und Anwendung des gongfu am besten beschrieben hat, so dass kaum noch Ergänzungen nötig sind.
Gongfu als beständige Mühe
Gongfu hat allerdings noch ein wichtiges Merkmal, das besonders bedeutsam ist, wenn es um Kampfkünste geht: Gongfu ist etwas, das man nicht vernachlässigen darf. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich einen Ausspruch von Funakoshi Gichin, dem »Vater« des modernen Karate, benutzen: »Karate ist wie warmes Wasser. Es kühlt ab, wenn man es nicht ständig erwärmt.« Den Begriff »Karate« kann man hier ohne weiteres durch »gongfu« ersetzen. Funakoshi drückte mit seinem Spruch die Bedeutung des gongfu in den Kampfkünsten, in seinem Fall im Karate, aus.
In China gibt es ein anderes Sprichwort, das auf das gleiche hinausläuft. Es lautet: »Yitian bu lian, tian he ziji zhidao, liang tian bu lian, neihang ren zhidao, santian bu lian, waihang ren zhidao« (一天不练, 天和自己知道. 两天不练,内行人知道. 三天不练, 外行人知道). –»Trainiert man einen Tag nicht, wissen es nur der Himmel und man selbst. Trainiert man zwei Tage nicht, wissen es auch die Experten (der Kampfkunst). Trainiert man drei Tage nicht, wissen es auch die Laien.«
Gongfu und Sport
Etwas zu wissen ist eine Sache, Wissen zu verstehen eine andere, und das Wissen zu verinnerlichen wieder eine andere. Aber das verinnerlichte Wissen muss man auch anwenden können, so dass aus Wissen Können wird. Und das ist die vierte Sache. Hinzu kommt, dass man sich die körperlichen Grundlagen antrainieren muss, um sein Wissen und Können auch effektiv einsetzen zu können, ganz so, wie ein Gewehr nur mit trockenem Pulver gut schießen wird.
Etwas zu können, hat immer mit einem Gefühl zu tun. In den Kampfkünsten setzt Können erst einmal Wissen voraus. Man möge mich nicht missverstehen. Es ist tatsächlich nicht nötig, theoretisches Wissen zu haben, wenn man nur kämpfen möchte. Im Gegenteil, Wissen kann dabei sogar stören. Im Kampf braucht man einen leeren Kopf. Um kämpfen zu können, muss man keine Kampfkunst trainieren. Darauf werde ich ausführlich im Kapitel »Über die Effektivität der Kampfkünste« zu sprechen kommen. Aber wenn man sich den Kampfkünsten voll und ganz hingibt, geht es erst einmal um Wissensvermittlung im Training, um Wissen hinsichtlich der Prinzipien, der Techniken, des Krafteinsatzes etc. Dieses Wissen muss durch Üben vollkommen in Körperbewegungen übergehen, und die erlernten Bewegungen müssen unaufhörlich wiederholt werden. Denn das körperliche Gefühl geht sehr schnell verloren. Es wird »kalt«, genau so wie das Wasser aus Funakoshis Ausspruch.
Im Profisport, zum Beispiel im Boxen, gibt es folgende Situation: Der Athlet wird ca. drei bis