Heimkehr. Jan Eik
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Heimkehr - Jan Eik страница 6
Der schreckensbleiche Jochen half ihm nach oben, und als Eddie sich umwandte, bot sich ein schauerliches Bild. Keine zehn Meter entfernt, ungefähr da, wo sich der Kollege in drei oder vier Meter Tiefe aufhalten musste, brodelte das Wasser bräunlich und brachte allerlei Unrat an die Oberfläche. Erst als Jochen mit fliegenden Fingern die Helmverschraubung gelöst hatte und Eddie zwei tiefe Atemzüge tat, erkannte er, dass der Unrat zu einem Gutteil aus einem zerfetzten Taucheranzug bestand und die Färbung des immer noch unruhigen Wassers deutlich in ein blutiges Rot spielte. Mitten in der Brühe schaukelte der blanke Helm.
Wortlos übergab sich Eddie.
«Munition», flüsterte Jochen hilflos. «Wie oft habe ich euch gesagt, ihr müsst vorsichtig sein!»
Eddie gab keine Antwort und stieg aus dem Taucheranzug. «Das war’s», sagte er schließlich und griff nach seinen Zivilklamotten. Vom Ufer her klangen Rufe herüber.
«Was heißt hier ‹Das war’s›?», protestierte Jochen. «Du kannst nicht einfach abhauen …»
«Ich kann!», widersprach Eddie. «Oder meinst du wirklich, ich habe den Scheißkrieg überlebt, um hier als Fischfutter zu enden?»
Keine halbe Stunde nach dem abrupten Ende seiner Taucherkarriere unterbreitete man ihm eine Offerte für eine angeblich weit weniger gefahrvolle Tätigkeit. Die beiden Polizisten, die seine Aussage bezüglich des Unfalls aufnahmen, musterten ihn wohlwollend und schlugen vor: «Warum kommste nicht zu uns? Da kriegste auch Karte I und brauchst nich ins kalte Wasser.»
«Oder warste bei der SS?», ergänzte der andere mit Blick auf Eddies Größe und seine blonde Tolle.
Ein bisschen mehr wollte man bei der Personalleitung schon wissen, doch zwei Tage nach Ausfüllen des Fragebogens fand sich Eddie als Angehöriger der Bereitschaftsinspektion Berlin-Mitte, Kleine Alexanderstraße 21–24, in der vertrauten Gegend seiner Kindheit wieder. War es ein Wunder, dass ihm schon nach wenigen Tagen eine junge Dame auf der Straße begegnete, zu der er als Knabe ebenso bewundernd wie vergeblich aufgeschaut hatte: Roswitha Blonowski, einst im selben Hinterhaus ansässig wie Eddies Familie und der Stern aller schlaflosen Jungenträume. Das Hinterhaus stand nicht mehr, doch Roswitha hatte nichts von ihrem Reiz eingebüßt. Rötlich getöntes Haar, gut angemalt und schick wie eh und je.
«Roswitha!», rief er, und sie blieb stehen, nachdem sie dem Uniformierten zuvor in einem scheuen Bogen auszuweichen versucht hatte.
Sie staunte. «Mensch, biste nich der kleene Adolf?»
Schwang da so etwas wie Bewunderung mit in ihrer rauchigen Stimme?
Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. «Mein lieber Scholli, du hast dir aber rausjemacht!»
Eddie griente zufrieden und wagte es, seinen Arm um ihre Taille zu legen. «Da freue ich mich aber, dich zu treffen.»
«Na, und ick erst … Aber musstest de denn ausjerechnet bei de Polente jehn?»
Das klang schon weniger begeistert. Als Eddie ihr in einer Stampe in der Münzstraße bei einem Glas Dünnbier den Grund für seine augenblickliche Berufswahl erläuterte, zeigte sie sich einsichtig. «Man weeß ja heutzutare jar nich, wozu so wat jut sein könnte … Und unter Wasser», sie schüttelte sich, «det is nu wahrlich keen schöner Dot.»
Der nette Abend endete im Bett. Roswithas Kemenate lag in der nahen Wadzeckstraße, von der es nur ein Katzensprung zur Kaserne war – ein Sprung, den Eddie von da an des Öfteren tat, obwohl ihm bald bewusst wurde, weshalb ihn Roswitha nicht jederzeit empfangen konnte.
«Sieh mal, mein Süßa, von irjendwat muss der Mensch schließlich leben. Du von dein Stuhlbeen und die Uniform – ick von meine Kunden. Deswejen lieb ick dir doch nich wenijer …»
Das Stuhlbein war der hölzerne Polizeiknüppel, mit dem Roswitha gerne mal herumfuchtelte. Sie ging auf den Strich, wie sie es schon getan hatte, als ihr der dreizehnjährige Eddie verliebt hinterhergeguckt hatte. Am Georgenkirchplatz war sie nicht die Einzige gewesen. Und jetzt war sie es noch weniger. Aber keine reichte an sie heran, fand Eddie.
Der Dienst und die Kaserne samt Gemeinschaftsverpflegung dagegen stanken ihm bald. Alle naselang karrte man die Bereitschaft zu Razzien gegen die Schwarzhändler, die ja nichts anderes taten, als sich mühselig am Leben zu halten. Ein paarmal begegneten Eddie unter den Festgenommenen Bekannte, und ihm blieb nichts anderes übrig, als den dämlichen Papp-Tschako tiefer ins Gesicht zu ziehen, um mit seinem Blondschopf nicht sofort erkannt zu werden. Auf die Dauer war das nichts für einen intelligenten Menschen wie ihn.
Das Ende kam schneller und nicht weniger heftig als draußen in Klingenberg. In den antiken Bauten der Kleinen Alexanderstraße befanden sich auch die Diensträume des Kommandeurs der Schutzpolizei. Nachdem die Russen den ersten Kommandeur, einen Sozialdemokraten namens Karl Heinrich, hatten verschwinden lassen, nahm jetzt ein gewisser Wagner die Stellung ein. Und der fand eines schönen Märztages, es sei an der Zeit, der auf dem Kasernenhof herrschenden Schlamperei ein Ende zu bereiten. Man nutzte Teile des Geländes der Einfachheit halber als Lagerplatz für die Fundmunition aus der Umgebung, während auf dem restlichen Freiraum der Dienstsport absolviert wurde. An diesem Tag also galt es, die Munition für den Abtransport zusammenzuräumen.
Unter den Polizeiangehörigen befand sich kaum einer, der nicht über ausreichende Kenntnisse im Umgang mit Granaten, Panzerfäusten und ähnlich soldatischem Mordwerkzeug verfügte. Aber wie immer und überall gab es einen altklugen Schlauberger, der mit seinen Kenntnissen und seinem vorgeblichen Können prahlen und die Funktionsweise einer Eierhandgranate vorführen wollte. Das gelang ihm gründlich. Nachdem er das Ding – versehentlich oder nicht – entsichert hatte, warf er es in Panik in die ringsum gelagerte Munition, was eine wesentlich heftigere Explosion hervorrief, als Eddie sie in der Spree miterlebt hatte. Aus allen Richtungen flogen ihnen die Brocken um die Ohren. Das zweihundert Jahre alte Kasernengebäude, das mehr als einen Krieg überstanden hatte, stürzte ein und erschlug einen Fußgänger.
Den Umzug der Bereitschaft in das Marstallgebäude am Schloßplatz machte Eddie, von einem Splitter am Unterarm leicht verwundet, nicht mit. Standhaft weigerte er sich, fortan in der hässlichen Uniform Dienst zu tun, die ihm ein derart lebensgefährliches Erlebnis beschert hatte. Wenn überhaupt, dann kam für ihn nur die Kriminalpolizei in Frage, bei der es zwar nicht weniger bedrohlich zuging, mit der aber wenigstens der Hauch des Abenteuers verbunden war.
Als Halbwüchsiger hatte Eddie mit roten Ohren die Hefte von Frank Allan und John Kling gelesen. Außerdem steckte natürlich Roswitha hinter seinem mit dem Explosionsschock begründeten Entschluss. «Wenn schon bei der Plempe, dann Kripo», fand sie. Einen bei der Firma konnte man immer gebrauchen, und die Nachbarn würden endlich aufhören, sich über den dauernden Polizeibesuch im Hause das Maul zu zerreißen. Dass Eddie zu ihr in die fensterlose Kemenate zog, schloss sie kategorisch aus. Eddies Tante in Tempelhof reagierte auf die bloße Andeutung der Existenz einer weiblichen Person in seinem Leben mit der prompten Androhung der sofortigen Exmittierung. Eddie zog es vor, Roswitha nicht mehr zu erwähnen. Die nächsten zwei Monate verbrachte er sowieso auf einem Lehrgang für berufsunkundige Kriminalanwärter an der Polizeischule in Oberschöneweide, wo man ihm die Grundlagen kriminalpolizeilicher Arbeit beizubringen versuchte.