Heimkehr. Jan Eik

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Heimkehr - Jan Eik

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einem Einsatz der Mordkommission wieder, in der ein brummiger alter Herr namens Kappe den Ton angab. Ein unangenehm naseweiser junger Mensch suchte dem das Kommando streitig zu machen, bis Kappe ihn anfuhr: «Sie sind hier der Fotograf, Schieck! Tun Sie gefälligst Ihre Pflicht!»

      Das tat Schieck sichtlich widerstrebend und dabei unaufhörlich über die schlechten Lichtverhältnisse zwischen den halbwüchsigen Kiefern räsonierend.

      Dass man dem eine echte Leica anvertraut hatte, bewunderte Eddie. Er wusste, was die Kamera auf dem schwarzen Markt wert war. Dabei fiel ihm Roswithas beiläufige Frage nach einem zuverlässigen Fotografen ein. Wofür sie den brauchte, hatte sie nicht näher erläutert, nur etwas von alten Negativen angedeutet. Jedenfalls schien ihm der besserwisserische Kollege Schieck keine zweckmäßige Wahl, was immer Roswitha im Schilde führen mochte. Sie weihte ihn nur gelegentlich in ihre Pläne ein und sagte für gewöhnlich: «Bei deinem Beruf ist es besser, du weißt nicht zu viel!» Also fragte er nicht, vermied es aber im Gegenzug, Einzelheiten aus dem Betrugsdezernat zu erzählen, nach denen sie sich erkundigte.

      Dass er nun bei der Mordkommission gelandet war und gleich am ersten Tag einer übelriechenden Frauenleiche begegnen würde, hatten weder er noch Roswitha am gestrigen Abend geahnt. Angesichts des atemberaubenden Gestanks bereute Eddie seine eifrige Zustimmung zu der morgendlichen Versetzung. Ihm fiel nichts anderes ein, als sich eine Zigarette anzuzünden und sich damit Kappes ersten scharfen Rüffel einzuhandeln: «Wir befinden uns hier an einem Tatort, Verehrtester, zumindest an einem Auffindungsort! Da kommt es auf die kleinste vorhandene Spur an. Ihre Kippe kann das ganze Tatortprofil verderben!»

      Eddie drückte erschrocken den Glimmstängel aus und verbrannte sich die Finger.

      Schieck sah ihn von unten her schief an und sagte hämisch: «Vielleicht will er ja als Frauenmörder entlarvt werden …»

      Eddie bückte sich nach dem Streichholz. Kappe knurrte etwas Unverständliches und beugte sich noch einmal über die Leiche. So dicht, dass Eddie beim bloßen Anblick übel wurde. Die Frau glich eher einem grausigen Kleiderbündel als einem Menschen.

      «Machen Sie noch ein paar Aufnahmen von der Halspartie!», forderte Kappe den Fotografen auf. «Sie gucken sich das auch mal an, Holtefret! Sieht ganz nach Würgemalen aus.»

      Eddie hatte in seinem Leben etliche tote Soldaten gesehen. Zum Glück zumeist aus der Ferne. Auch im Gefangenenlager hatte es Tote gegeben. Der Dolmetsch Eddie gehörte nicht zum Begräbniskommando. Jetzt aber zwang ihn die Pflicht oder vielmehr dieser abgebrühte alte Knochen Kappe dazu, neben dem Schützenloch in die Hocke zu gehen und auf die schwärzlich verfärbten Hautpartien zu blicken, die einmal der Hals einer möglicherweise hübschen jungen Frau gewesen waren. Er versuchte, die Luft anzuhalten, säuerlich stieg es ihm in die Kehle. «So sieht das also aus …», krächzte er und schaffte es nicht mehr aufzustehen, bevor sich sein dürftiger Mageninhalt über die Tote ergoss.

      ALMA UMBREIT hatte Kuchen gebacken. Vor zwei Tagen schon, aber das machte nichts. Der einzigen Art von Kuchen, die man in diesen Zeiten backen konnte, machten ein paar Tage Lagerung mehr oder weniger nichts aus. «Kaffeegrund altert nicht», meinte auch die Nachbarin, von der das Rezept für die Kaffeetorte stammte, die zum größten Teil aus Kaffee-Ersatz bestand. Hinzugefügt hatte Alma sehr wenig Mehl und Grieß, kaum Fett und ein bisschen von dem braunen Zeug, das es im Vormonat auf die Zuckermarken gegeben hatte.

      Es war so eine Sache mit der alliierten Versorgung, die vierteljährlich wechselte. Bei den Russen gab es Schwarzbrot und Kartoffeln, die Amerikaner lieferten duftendes Weißbrot, das nicht sättigte, und gelben Maisgrieß, dazu Trockenkartoffeln, die hart wie Bonbons waren oder nur einen mehligen Brei ergaben. Die eimerhohen französischen Kartoffelkonserven schmeckten abscheulich. Aber was es auch gab, satt wurde man nie. Schon gar nicht, wenn man wie Alma Umbreit die Karte V für Sonstige bezog. Zum Sterben eine Spur zu viel, zum Leben viel zu wenig.

      Und doch hatte sie sich die Zutaten für die Kaffeetorte vom Munde abgespart, und in der Speisekammer wartete die Leberwurst im Napf darauf, endlich aufs klitschige Brot geschmiert zu werden. Natürlich keine echte Leberwurst, an deren Geschmack sich Alma Umbreit erinnerte. Nur ein Gemisch aus Mehl und Majoran mit allerhand anderen Zutaten, die ein Wurstaroma vortäuschten. Auch dies war ein Rezept der findigen Nachbarin, ohne deren Hilfe und gute Ratschläge sie vielleicht nicht mehr am Leben gewesen wäre. Alma war 63 Jahre alt und wohnte seit über zwanzig Jahren in Neukölln, Prinz-Handjery-Straße, Vorderhaus drei Treppen hoch, zwei Zimmer und Küche mit Bad, was schon beinahe als Luxus gelten musste.

      Bis vor zwei Jahren war der Blick aus ihrem stets blitzblank geputzten Küchenfenster in den verwinkelten Hof des benachbarten Eckhauses gefallen. Als Alma sich an einem frühen Junimorgen nach dem gewohnten Bombenangriff aus dem Luftschutzkeller hinaufgequält hatte und ihre zentimeterdick mit Staub bedeckte Küche betrat, hielt sie den Lichtschein, der durch das zerborstene Fenster fiel, zunächst für den Widerschein der Brände ringsum. Doch dann erkannte sie, dass es sich um ein Ereignis handelte, das sie als Großstädterin kaum je in ihrem Leben beobachtet hatte. Das nahe Eckhaus war zu einem qualmenden Trümmerhaufen zusammengesunken. Almas Blick reichte daher plötzlich bis weit über den alten Friedhof und die Baumwipfel hinweg, hinter denen die Sonne aufging. Ihr blieb wenig Zeit, die neue Aussicht aus Küche und Schlafzimmer zu genießen. Dafür sorgten die Papptafeln, welche die Fensterscheiben bald ersetzten. Nur an schönen Tagen standen alle Fenster weit offen – so wie heute, obwohl es ein eher kühler Septembertag war. Alma fror ein wenig. Mit Schrecken dachte sie an den nahenden Winter und an die spärlichen Kohlevorräte in ihrem Keller, den sie nun auch noch mit diesen schrecklichen Leuten teilen musste, die man ihr in das schöne Vorderzimmer gesetzt hatte. Was sollte das werden?

      Doch sofort brach sich ihr angeborener Optimismus Bahn: Alles würde sich wie von selbst lösen, wenn der Junge wieder da war. Heute musste er kommen, das spürte sie einfach. Immer wieder trat sie ans Küchenfenster und blickte über die Trümmer weg hinunter auf die Straße, soweit die sich überblicken ließ. Dabei konnte sie nicht einmal sicher sein, aus welcher Richtung er kommen würde. Aber wenn, dann gab es keinen Zweifel, dass sie ihn erkannte.

      Drei lange Jahre hatte sie ihn nicht gesehen. Die Gewissheit, dass er überlebt hatte, war nie in ihr erloschen. Sie war ein gläubiger Mensch, und die Annahme, der Herr im Himmel könne eine ganze Familie zugrunde richten und nur sie, das letzte unfruchtbare Glied, übrig lassen, schien ihr unvorstellbar. Als daher vor einigen Tagen die Nachbarin, die es sich leistete, eine Tageszeitung zu abonnieren, ganz aufgeregt bei ihr geklingelt und ihr in dieser Zeitung den Namen Heinz Umbreit schwarz auf weiß gezeigt hatte, war eine Zentnerlast von ihrer Seele gefallen. Wirklich überrascht hatte es sie nicht, ihren Heinz unter den in den nächsten Tagen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft Heimkehrenden zu finden. Angeblich hatten die Russen schon an die hunderttausend entlassen, und täglich kamen vier- bis fünftausend hinzu. Einmal war sie sogar voller Hoffnung zu einem Heimkehrerlager ganz in der Nähe von der Wohnung dieser Irmgard gefahren, hatte aber nichts erfahren oder ausrichten können. Nun also stand es sogar in der Zeitung!

      Heinz war ihr Patenkind, der einzige und wohlgeratene Sohn ihres Bruders Karl. Der war im Sommer 1944 zusammen mit seiner Frau Emmi unter den Trümmern eines Wohnblocks in der Annenstraße umgekommen. Und Heinz’ junge Frau Irmgard lebte vermutlich ebenfalls nicht mehr. Anstelle des Hauses am Lichtenberger Polizeipräsidium in der Alfredstraße, in dem diese Irmgard möbliert gewohnt hatte, erhob sich nur noch eine Brandruine. Niemand wusste, was aus den Bewohnern geworden war.

      Alma hatte denn auch keine weitere Mühe aufgewandt, nach Irmgard zu suchen. Das war sowieso keine passende Frau für ihren Heinz gewesen, zu albern und leichtfertig und außerdem viel zu schnippisch einer alten Frau gegenüber, die wahrhaftig Besseres verdient hatte. Geschminkt und die Haare gefärbt, von solchen Frauen hielt Alma nun einmal nichts. Ihr Heinz würde leicht eine andere finden, so gut, wie

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