Streifzüge durch meine Heimat. Horst Bosetzky

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Streifzüge durch meine Heimat - Horst Bosetzky

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abfahren. Die gewaltige Architektur des »Mercure Hotels«, ehemals das »Interhotel Potsdam«, empfinde ich als störend, viele Potsdamer wollen aber nicht, dass man ihr Denkmal an die DDR-Zeit abreißt. Jubeln lässt mich dagegen der Anblick des neuerrichteten Stadtschlosses, heute Sitz des Landtages.

      Früher sind wir oft und gern vom Bahnhof durch die Stadt zum Schloss Sanssouci gegangen. Und ich habe mich immer gefreut, wenn jemand keine Blumen, sondern eine Kartoffel auf das Grab Friedrichs des Großen gelegt hat, der in der DDR nur »Friedrich II. von Preußen« genannt wurde.

      Blicke ich die Schlossfassade hinauf und lese in großen Lettern Sans, souci, muss ich sofort an das Buch Das Komma von Sans, Souci von Heinz Dieter Kittsteiner denken, in dem er die Inschrift mit »Ohne Rütchen sorgenfrei« übersetzt und als eine Anspielung auf eine venerische Erkrankung Friedrichs versteht, die der sich kurz vor seiner Vermählung zugezogen hatte. Sie soll zur Kastration geführt haben, ohne die der König unweigerlich gestorben wäre. Ein Hinweis auf diese Geschichte fände sich auch in einem Bericht des Leibarztes Johann Georg Zimmermann, in dem von einem grausamen Schnitt die Rede sei.

      Nicht der Alte Fritz, sondern Friedrich Wilhelm IV. hat August Borsig beauftragt, die Wasserspiele und den Springbrunnen in Sanssouci wieder instand zu setzen. 1842 lieferte der König vom Feuerland, so der Titel einer meiner Romane, eine Dampfmaschine mit achtzig Pferdestärken für das neue Pumpwerk in Potsdam, das im Stil türkischer Moscheen erbaut wurde.

      Manchmal sind wir auch am Bahnhof Potsdam Park Sanssouci aus der Bahn gestiegen und haben uns dem Schloss vom Neuen Palais her genähert. Die Wanderung ging dann weiter zum Ruinenberg, die Pappelallee hinunter, durch die russische Kolonie Alexandrowka hindurch zum Schloss Cecilienhof und schließlich am Ufer des Jungfernsees entlang bis zur Glienicker Brücke.

      Einmal kamen wir am Fontane-Archiv vorbei, das in der Villa Quandt auf dem Pfingstberg untergebracht ist, und ich stolperte über einen Stein. »Heb den bloß nicht auf und …«, warnte mich ein guter Freund, der wusste, was mir hier vor Jahren widerfahren war. Da hatte man mich erst zu einer Lesung aus meinem Buch Mord und Totschlag bei Fontane ein-, dann aber wieder ausgeladen, weil meine Literatur dem hohen Niveau des Hauses doch nicht entspreche.

      Später habe ich aber doch noch mehrere Lesungen in Potsdam gehalten, einmal sogar bei einer Open-Air-Veranstaltung in einem Park hinter der Viereckremise.

      Gern steige ich auch am Bahnhof Babelsberg aus der S-Bahn, schlendere durch den Park, bewundere das Schloss sowie die alte Berliner Gerichtslaube und gehe dann zur Glienicker Brücke.

      Das Filmmuseum Potsdam und der Filmpark Babelsbergs dürfen natürlich nicht vergessen werden, ebenso wenig das Holländische Viertel.

      Beenden möchte ich dieses Kapitel mit dem Hinweis, dass schon in der frühen Bronzezeit an der Einmündung der Nuthe in die Havel Menschen gesiedelt haben und die slawischen Heveller hier später eine Burganlage errichteten. Am 3. Juli 993 und damit rund fünfzig Jahre vor Berlin wurde der Ort als Poztupimi zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Von wegen, Potsdam sei nur ein Anhängsel Berlins!

       Brandenburg an der Havel und der Beetzsee

      Viele verstehen nicht, warum Brandenburg an der Havel als Wiege und Keimzelle der Mark nicht deren Landeshauptstadt ist und warum Brandenburg an der Havel so einen umständlichen Namen hat und nicht einfach Brandenburg-Stadt genannt wird wie etwa Mexiko-Stadt.

      Früher, als ich in Hannover meine Ausbildung zum Industriekaufmann absolvierte, fuhren die Interzonenzüge nach Berlin noch über Magdeburg und Brandenburg an der Havel. Vom Zugfenster aus bekam ich einen guten Eindruck von der Stadt, und da beschloss ich, sie einmal zu besichtigen.

      Ich habe Brandenburg an der Havel dann sogar öfter besucht, mal mit der Familie, mal mit der Wandergruppe, mal allein zu einer Lesung. Vom Berliner Bahnhof Zoologischer Garten braucht man mit dem RE1 nur um die fünfzig Minuten bis nach Brandenburg. Ich habe dagegen fünfzig Tage gebraucht, um in Otto mit dem Pfeil im Kopf zu erzählen, wie im Jahr 1150 nach dem Tod des Hevellerfürsten Pribislaw-Heinrich das Land durch einen Erbvertrag an den Markgrafen Albrecht der Bär gefallen ist, der den aufmüpfigen Slawenfürsten Jaxa von Köpenick besiegte und 1157 die Mark Brandenburg begründete.

      Alle Baudenkmäler der Stadt zu beschreiben – die Domkirche St. Peter und Paul, die Domklausur, die St.-Katharinen- und übrigen Kirchen, die mittelalterliche Stadtmauer der Alt- und der Neustadt, die vier erhaltenen Stadttortürme und das Altstädtische Rathaus – ist Sache der Reiseführer. Ich möchte jedoch erwähnen, dass es seit 1474 einen Roland in Brandenburg an der Havel gibt, so wie ja auch in Perleburg einer steht. Das versetzt mich als zeitweiligen Bremer natürlich in Entzücken.

      Als ich Brandenburg an der Havel wieder einmal mit meinem Freund Volker bereise, mahnt er mich: »Von dir als Schriftsteller erwartet man, dass du bei allen Orten, von denen du in deinen Streifzügen berichtest, auf die Kollegen eingehst, die dort gewirkt haben.«

      Ich mache mich kundig und stoße auf Namen wie Hans von Held, Julius von Voß, Heinrich Ludwig Bolze, Elisabeth Goedicke und Jean Wiersch, von denen ich noch nie zuvor etwas gehört habe. Nur Friedrich de la Motte Fouqué kenne ich. Selbstverständlich sind mir auch berühmte Söhne der Stadt wie Theodor Hosemann (1807–1875), der Maler, Illustrator und Karikaturist, nach dem eine Straße im Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg benannt worden ist, der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik Kurt von Schleicher (1882–1934) und unser geliebter Loriot bekannt. Eine Größe der deutschen Geschichte, die in Brandenburg an der Havel lebte, ist jedoch vielleicht noch viel legendärer als sie alle zusammen: der Barbier Johann Friedrich Andreas Bollmann (1852–1901), genannt Fritze Bollmann. Bollmann hatte insgesamt elf Kinder, von denen jedoch viele starben. Da er in eine finanzielle Notlage geriet, flüchtete er sich in den Alkohol. Lief er betrunken in der Stadt umher, wurde er häufig von Kindern geärgert und verspottet. Beim Angeln nahe der Dominsel – und nicht auf dem Beetzsee – stürzte er aus seinem Kahn, worauf die Kinder der Stadt das berühmte Spottlied auf ihn dichteten:

       Zu Brandenburg uff ’m Beetzsee

       Ja da liegt een Äppelkahn,

       Und darin sitzt Fritze Bollmann

       Mit seinem Angelkram.

       Fritze Bollmann wollte angeln,

       Doch die Angel fiel ihm rin,

       Fritze wollt se wieder langen,

       Doch da fiel er selber rin.

       Fritze Bollmann schrie um Hilfe,

       Liebe Leute, rettet mir,

       Denn ick bin doch der Fritze Bollmann

       Aus der Altstadt der Barbier.

       Und die Angel ward jerettet,

       Fritze Bollmann, der ersoff …

      Tatsächlich ist Fritz Bollmann aber nicht beim Angeln ertrunken, sondern verarmt im Städtischen Krankenhaus verstorben.

      Den Breitlingsee konnte ich bei meinen Fahrten vom D-Zug aus ebenfalls sehen, und vom Beetzsee habe ich durch die Fritze-Bollmann-Lieder erfahren. Der Obere Beetzsee und der Riewendsee waren mir dagegen lange Zeit unbekannt.

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