Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer страница 18
„Herr Rehweiler ist unser Experte für Porzellan“, sagte sie, und Herr Rehweiler (der im übrigen eine seinem schläfenmelierten Alter modisch angemessene Kurzhaarfrisur trug) begriff. Es machte ihm nichts aus, den Kunden zu übernehmen, und Eva verschwand erst einmal in der Toilette (es gab nur eine). Sie hasste sie, weil sie aus dem Kanal nach männlichem Urin roch (eine Behauptung Evas, über die es regelmäßig Streit gab). Sie liebte sie, weil es der einzige Raum in diesem Haus war, in dem sie für einen kurzen Augenblick allein sein konnte. Sie lauschte ihrem eigenen Plätschern, puderte die Nase, zog den Lippenstift nach, sprach einen Bannfluch auf den Hanseaten und sich selbst halblaut Mut zu und warf sich wieder ins Getümmel.
Inzwischen war es voll. Eva sah sich um; die üblichen älteren Herrschaften, er mit Brille, vor einem Landschaftsbild oder dem Kupferstich eines historischen Berliner Gebäudes oder Parks in die Hocke gehend, seiner Gattin Nummer und Eindruck diktierend, dabei die benachbarten Aktdarstellungen kennerhaft begutachtend, sie, seine Anmerkungen in einen flachen Taschenkalender eintragend, freundlich und amüsiert, weil sie genau wusste, wohin seine Blicke schielten, und sie es ihm gönnte, von ganzem Herzen, denn auch zu ihr war er aufmerksam und liebevoll, was kümmerten sie die nackten frischen Dinger auf den fremden Bildern, sollte er nur Lust gewinnen, es würde ein charmanter Nachmittag, nach dem Likörchen oder dem Sherry. Sympathische Menschen, fand Eva, diese waren ihr die liebsten Kunden, unaufdringlich, respektvoll, und manchmal kauften sie sogar, obwohl sie immer wieder lächelnd sagten: Das können wir uns sowieso nicht leisten, aber schön ist es trotzdem, und die in Eva immer die Frage wachriefen, ob sie so ihr Leben verbringen könnte, mit diesen zahlreichen Beschäftigungen, die der Mensch sich so sucht, um seine Zeit zu gestalten. Sparen, um schöne Dinge zu kaufen, schöne Dinge suchen, in schönen Dingen leben, sie abstauben und pflegen, alle drei Monate bei Spoerli vorbeischauen, einmal unter der Woche zum Vorbereiten, und dann noch einmal am Samstag, wenn die eigentliche Versteigerung stattfand.
Manche fangen früh damit an, dachte sie und beobachtete Meierling, ein hohes Tier in der Senatsverwaltung, der gerade hereinkam, wie immer im dunkelblauen Mantel, korrekten Hosen mit Bügelfalte und den guten Budapester Schuhen. Er grüßte in unbestimmte Richtungen, klappte seinen Schirm zusammen und verstaute ihn in der großen Vase im Eingang. Er lief ein wenig hektisch an Möbeln und Bildern und Frau Schattenfroh vorbei, die gerade in Hoffnung auf einen Handkuss des hohen Besuchs ihre Rechte leicht vorgestreckt hatte. Wer weiß, welchen wichtigen Termin er vorgeschützt hatte, um vom Alexanderplatz hierher zu eilen und nach Gegenständen Ausschau zu halten, für die er am Samstag die Hand heben würde. Er musste eine riesige Wohnung haben oder aber Stühle als Geburtstagsgeschenke mitbringen, so viele Stühle hatte er in den letzten drei Jahren erstanden, zumeist Biedermeier, nicht zu teuer, aber auch nicht die ganz billigen, mit glänzenden gestreiften Bezügen, geschwungenen Beinen und aus eher dunklem Holz, Mahagoni oder Kirsche. Oder er stattete sein Büro damit aus, das wusste Eva nicht, damit er in den holzgetäfelten Räumen des mit der Stilsicherheit des alten Ostens ausgestatteten Roten Rathauses wenigsten ein kleines Fleckchen Erhabenheit und an bessere Zeiten anknüpfendes Geschichtsbewusstsein vorfinden würde.
Meierling war ein attraktiver Mann, dessen Frisur Eva auf ungemütliche Weise an Filme der Dreißigerjahre erinnerte und deren Farbe er gewiss auch schon hin und wieder auffrischte; er gehörte zu jenen Homosexuellen, die ihre Neigung offenbar als leichten Makel empfinden, den sie durch besonders konventionelle Umgangsformen wettzumachen suchen. Da mochte Eva lieber Typen wie Wieland oder Rehweiler, die entweder kein Aufhebens darum machten oder einen lustvollen Hang zum Exzentrischen zeigten. Nun ja. Frauen machten Aufhebens um ihre Sexualität, warum sollte man dies den Männern nicht auch zugestehen.
Meierling stand jetzt nervös vor der Vitrine mit den Varia und ließ sich zu Evas Überraschung von Albrecht ein silbernes Schminkkästchen von Boucheron, 1935, zeigen. Eva konnte es von Weitem erkennen, weil sie die Vitrine eingeräumt hatte. Es war wunderschön, sie hatte es von allen Seiten bewundert. Blumen und Vogelmotive waren aus dem Silber ausgestanzt und an manchen Stellen vergoldet; innen, wenn man es aufklappte, gab es zwei leere Lippenstifthüllen, zwei aufklappbare Fächer für Puder und Rouge sowie ein Abteil für drei, vier Zigaretten und ein kleines Feuerzeug. Vom aufklappbaren Spiegel fehlte die Hälfte. Ein Gegenstand, den zu tragen jeder Frau den verruchten Charme einer Marlene Dietrich brachte; ungewöhnlich für einen Verwaltungsbeamten. Hatte sie sich in ihm getäuscht? Hatte er eine heimliche Geliebte? Hatte er einen Geliebten, der sich hin und wieder mit weiblichen Utensilien schmückte? Würde dieser das Etui im „Wintergarten“ bei einer Vorstellung dezent aus der Tasche ziehen, um mit einem Blick in den halben Spiegel die Personen in seinem Rücken zu beobachten?
Womöglich war es ein Künstler, den Meierling verehrte und in dessen Garderobe er nach dem Ende der Vorstellung oder, noch reizvoller, in der Pause, ein Rendezvous hätte? Würde er mit seinen gepflegten Händen dem geschminkten Mann – oder doch einer Frau – in der engen Korsage an den seidenbestrumpften Beinen entlangtasten dürfen, um das Geschlecht zu erkunden? Würde er sein Gesicht unter dem Tüllrock vergraben und mit erhitztem Kopf und zerzaustem Haar wieder auftauchen, während der Artist dabei das Kästchen in den Händen hin- und herwenden würde? Das war gemein. Eva korrigierte ihre Fantasie. Natürlich wäre der Artist verzückt von Meierlings Künsten und würde nur einmal leise stöhnen, es ist Zeit, komm, die Pause ist gleich zu Ende. Meierling stand lächelnd vor Eva, Eva sah sein Zahngold, seinen weichen Mund.
„Ich habe heute leider nicht viel Zeit“, sagte er.
„Ich weiß“, entfuhr es Eva, „die Pause ist zu Ende.“ Meierling zog fragend die Augenbrauen zusammen. „Welche Pause?“ Er schüttelte ihr kräftig die Hand und verließ eilig das Auktionshaus. Und Eva wandte sich einer langjährigen Kundin zu, die lächelnd auf sie zukam, während sie den jungen Mann in schwarzen Jeans im Auge behielt, der ein wenig zu lange vor der geöffneten Vitrine mit den silbernen Feuerzeugen stand.
Es war wie eine Sucht, sich immerzu Geschichten auszudenken. Früher hatte Eva sich zu jedem Gegenstand, der durch ihre Hände ging, eine Geschichte ausgedacht. Zuvor aber hatte sie die Leute befragt, die die Gegenstände brachten, woher sie sie hätten, was sie damit verbänden, bis Frau Spoerli sie eines Tages beiseite nahm.
„Liebes Kind“, hatte sie gesagt und sie über ihre Brille hinweg mitleidig angesehen, „die Leute werden ihre Liebe zu den Dingen wiederentdecken, wenn Sie sie so befragen. Dann packen sie sie wieder ein und schleppen sie nach Hause. Das wäre doch nicht in unserem Sinne, oder?“
Von einer geradezu unerträglichen Flut von Vorstellungen wurde Eva befallen, wenn ganze Nachlässe ins Haus kamen, wenn sie die Zusammenstellung all der Dinge sah, die ein Mensch sein Leben lang gesammelt und um sich herum zu einem Universum gemacht hatte. Schwindelig war ihr davon geworden. Aber nach ein paar Jahren geschah etwas, das sie lachen machte: Sie erkannte in den Nachlässen Gegenstände wieder, die die Verstorbenen im Hause Spoerli gekauft hatten. So schließt sich der Kreis, hatte sie damals festgestellt. Und irgendwie hatte sie das beruhigt.
Sie räumte am Ende dieses Besichtigungstages die Vitrinen aus und half, sie in der Reihenfolge in den Aufbewahrungsräumen unterzubringen, in der sie bei der Auktion abgerufen würden, das heißt rückwärts, die letzten Nummern zuerst. Früher, früher, dass ich dieses blöde Wort so oft denke, als wäre ich mit allem fertig. Der Vormittag hatte sie selbst überrascht. Wann hatte sie zuletzt bei der Arbeit an heimliche Rendezvous gedacht? Wann zuletzt hatte sie sich mitten unter den umherschauenden Menschen gewünscht, einer der temperamentvollen Teppichhändler vernaschte sie in der Kammer, an den wackeligen hohen Regalen? Hatte sie nicht einmal mehr Wünsche? Was war denn los mit ihr? Sie kannte sie alle, nur zu gut, den eleganten Herrn Muamer mit dem dicken Silberring, den ungepflegten Herrn Dcindcíc, der ein Albaner war, den sichtbar alternden Herrn Wridlitschek, der neuerdings mit immer jünger werdenden Frauen kam. Früher hatte