Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer

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Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer

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die extremen Wechsel und Sprünge. Es fing an, ihm Spaß zu machen. Die ganze Zerrissenheit seiner Zeit kommt zum Vorschein, dachte er, es ist fantastisch. Die Oper war Anfang der Dreißigerjahre entstanden und gleich nach den ersten Aufführungen von Stalin abgesetzt worden. Sie war zu anarchisch, sie konnte womöglich anarchische Kräfte mobilisieren.

      „Hab ich Mozart gehört? War da eben Mozart?“

      Alle lachten. Die Posaunen spielten leiser, decrescendo.

      „Die Trompeter sind schon wieder zu laut“, rief die erste Geige, ein begabter, artiger junger Mann.

      „Stimmt gar nicht! Die Geigen sind zu laut“, rief jetzt einer der Trompeter. Unterdrücktes Gekicher.

      „Jajaja. Das muss so sein. Ist es möglich, das etwas tiefer zu spielen? So jetzt Celli und Fagotti fortissimo, Geigen pianissimo.“

      „Was gibt das denn?“ Tobias funkelte angriffslustig mit den Augen, er machte einen Buckel wie ein aufmüpfiger Zwerg. Irgend etwas provozierte ihn. „Warum kann das nicht ein Russe dirigieren? Das ist ihr Schostakowitsch.“

      „Du alter Rassist“, sagte Ernst, „jetzt halt mal deinen Schnabel.“

      Tobias und Ernst waren in der DDR groß geworden. Stefan nicht. Er hatte nur seine Großeltern in der Märkischen Schweiz gehabt (die mit der Gartenwirtschaft).

      Tobias machte Grimassen. Es gab Gemurmel. Stefan verfolgte gebannt die Entwicklung. Die Musik hatte etwas Beunruhigendes. Schostakowitsch hatte die Oper geschrieben, bevor er nach altkommunistischer Manier Selbstkritik üben und allem westlichen „Formalismus“ abschwören musste. Damit das Volk mich versteht und lieb hat und versteht, dass ich es verstehe und lieb habe. So hatte er es – sinngemäß – dem ZK-Plenum in einem offenen Brief geschrieben.

      Die Sänger kamen herein, in Jeans und karierten Hemden. Sie setzten sich auf die Stühle seitlich des Podiums und lasen die Zeitung oder tuschelten. Frau Blomstedt, die Sopranistin, stellte sich auf der anderen Seite des Orchesters in Position. Sie trug schwarze Hosen und einen wild gemusterten schwarz-weißen Pullover. Ihr Haar war blond gesträhnt und kurz, ihr Gesicht hart ausformuliert. Auf der Bühne trug sie oft schwarze Perücken. Sie war sehr zierlich und hatte eine enorme Stimmkraft; selbst in Phrasen, bei denen Schostakowitsch die Dissonanzen aufs Äußerste zuspitzte. Sie passte gut in die Rolle der eigenwilligen Katerina, die es in ihrem eingeengten Leben krachen lässt. Die aus dem Milieu herauswill und dafür über Leichen geht. Sie hielt beim Singen die gefalteten Hände halb an die Wange, halb über das Ohr gelegt. Es war, als holte sie die Kraft aus der Hüfte: an bestimmten Stellen schleuderte sie sie in abgehackten Bewegungen vor, fast unheimlich sah das aus. Stefan mochte sie gern. Er trank manchmal einen Kaffee mit ihr. Oder einen Wein. Aber nicht so gern in der Kantine; denn über Musiker, die mit den Sängerinnen zusammensaßen, wurde gelästert. Gewisse Barrieren sollten doch geachtet werden.

      Der lange Mann alias Karl Valentin im Holzfällerhemd kam herein. Schmidt. Er sang den Schwiegervater von Lady Macbeth. Er stellte sich neben das Orchester, schob das Becken noch weiter vor als beim Spazierengehen, kreuzte die Arme vor der Brust und setzte ein.

      „Sie ist so jung“, schmetterte er, „sie ist so toll. Sie kann nicht schlafen, weil sie so jung ist / und voller Begierden.“

      Die Musiker unterdrückten nur schwer ein Lachen. Zu lachen war das Ende. Viele Dirigenten fühlten sich verschaukelt, wenn Musiker lachten.

      „Wäre ich nur jünger / nur zehn Jahre jünger / ja dann / heiße Nächte hättest du dann / die würd ich dir machen / da wär ich scharf drauf.“

      Damen und Herren prusteten los. Georgidis ließ den Taktstock sinken und lachte selbst. Frau Blomstedt war rot geworden. Die Klarinetten schubsten sich an und schielten zu Heinrich dem Bratschisten, der verzückt die nervöse Flöte ansah, die lächelnde Elena. Er war auch rot geworden. Die Geigerinnen, japanisch, tschechisch, deutsch, kicherten.

      „Nu guck nich so kritisch, Ronald“, sagte Herr Schmidt todernst zu seinem Kollegen, der neben ihm stand. Ronald sang den Gatten, seinen Sohn also. Herr Schmidt grinste. Er war nicht böse über das Gelächter. Er war es gewohnt. Er wusste, wie ulkig er aussah, wenn er sang. Er war gern komisch.

      „Wir wiederholen das noch mal, Detlev“, sagte Georgidis, „aber wir nehmen den Liebhaber gleich dazu, wir machen gleich alles hintereinander weg, ja, Jochen?“

      Georgidis sah sich um. Jochen war der Liebhaber.

      „Jochen is aufm Klo“, sagte Detlev gedehnt und verursachte eine neue Lachsalve. Er sang noch dreimal den tollen Alten, „die würd ich dir machen, da wäre ich scharf drauf“, er sang es dreimal anders, hitzig, elegisch und schrill. Stefan mochte das Schrille am liebsten. Dann kam eine Passage, die die Klarinetten einleiteten und begleiteten: Katerina gab dem Alten vergiftete Pilze zu essen. Weil er ihr nachstellte und sie tyrannisierte.

      „Katerina“, sagte Georgidis, „ gives Pilze with poison to him, and here die Klarinette gives us the aaahhh.“ Er markierte großes heftiges Bauchkrümmen, alle lachten erneut. Die Probe eierte mittlerweile selbst wie besoffen. Alle freuten sich schon darauf, wenn Katerina den Gatten erstechen würde. Wegen des Liebhabers. Ronald spielte sein Erstochen-Werden wie eine Slapstickeinlage.

      Stefan setzte die Klarinette an. Gut, dass er das neue Blatt aufgewickelt hatte. Es kam sehr leicht. Er spielte etwas schneller als Matthias und Ernst, von Tobias zu schweigen. Sie setzten ab.

      „Mist“, fluchte Ernst.

      „Sie waren zu langsam, macht nichts.“ Georgidis sah sie an, nickte.

      Sie spielten zwei Phrasen, der Dirigent hörte zu.

      „Die Es-Klarinette muss am Anfang viel schneller, kürzer. Mal bitte allein.“

      Tobias spielte etwas schneller.

      „Schneller“, sagte Georgidis. Tobias spielte.

      „So etwa, jetzt im Einzelnen gedehnter.“

      Stefan sah mitfühlend zur Seite. Georgidis war offenbar ein Seismograf, der sich versteckte. Es war immer wieder verblüffend, dass den Dirigenten nichts entging. Tobias’ Gesicht war so rot wie sein Pullover. Er fühlte sich ertappt. Er bockte. Er wischte die Klarinette aus. Er versuchte Zeit zu gewinnen.

      „Hier steht aber nur forte“, sagte er.

      „Jajaja. Karascho. Gut. Steht da. Aber ich. Verstehen Sie, small lips, but legato! In der zweiten Version hat Schostakowitsch das crescendo weggenommen, deshalb leise, zart und ein bisschen traurig.“ (Manchmal sprach Georgidis wunderbar deutsch.)

      Tobias knurrte.

      „Traurig oder schnell, ja wat denn nun?“

      Georgidis sah ihn an. Er legte kurz den Kopf nach hinten, ganz kurz, eine winzige Geste, die man manchmal an balkanischen Männern sieht, hey du, was willst du, sieh dich vor.

      Tobias spurte. Die Klarinetten spielten alle noch einmal zusammen. Stefan hatte das Gefühl, er könnte diese Passage der ersten Klarinette auch gut beherrschen; vor Schostakowitsch hatte er jedenfalls keine Angst, er lag ihm. Es war allerdings ein alter Hut, dass die zweite Klarinette dachte, sie sei besser als die erste … Ach! Was musste er immer so zögerlich sein! Sibylle hatte recht: Es würde ihm Spaß machen!

      Georgidis zuckte

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