Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer
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Leise rauschte die Klimaanlage, immer wieder klingelte ein Handy. Ein alter Herr setzte sein rosafarbenes Hörgerät ein. Eva, Albrecht und Rehweiler flankierten Frau Spoerli senior, die auf einem Podest mit einem Stehpult stand, und bedienten die Telefone; Spoerli junior hatte wie immer am Computer Platz genommen; neben ihr Frau Schattenfroh, heute im papageiengelben Kaftan mit wattierten Schultern und Perlengehängen in den Ohren. Bald war die Auktion in vollem Gange. Die Schlepper schleppten Tische, Kommoden und Stühle herein; bei den Asiatica rannten die Leute nach vorn, nahmen die Gegenstände in die Hände, kommentierten. Zahlen wurden aufgerufen.
„Gehen wir weiter?“, fragte Frau Spoerli senior launig, „Ihr Zuschlag mit 200, ham wir“, „nee, unter 130 fangen wir gar nicht an, zurück damit.“
Der Hammer fiel, ein Mann rief „485“.
„Nee“, sagte Frau Spoerli senior, „wennse jetzt erst bieten, tut mir leid, das kam zu spät“.
„Ich habe den Zuschlag“, rief ein anderer.
„Jawoll“, antwortete die Chefin, spannte ihre Halsmuskeln an und reckte den Kopf vor, als wollte sie ihn kurz aus dem Rumpf herausschrauben, „300, Ihr Zuschlag, wir sind ganz korrekt, und tschüss“, nickte sie den Trägern zu, das nächste Möbel, das nächste Bild, „zum ersten, zweiten, dritten.“
So ging es munter fort. Albrecht machte ein wichtiges Gesicht, wenn er einem Kunden den Zettel mit dem Zuschlag brachte, vorbei an den dicht gedrängten Reihen mit den Plastikklappstühlen, die schmalen Lippen ernsthaft gewellt.
„Nehmen Sie weg“, tönte Frau Spoerli senior, „dekorieren Se se schon mal für die nächste Auktion“, und die Gemeinde kicherte, es war ein Hin und Her der Stimmen und des Gelächters, in einem eigentümlichen, von Frau Spoerli senior dirigierten Rhythmus. Eva liebte diese Musik, und Wieland bewegte sich zu ihr, mit zusammengekniffenem Hintern, wie ein Ballettänzer, durch den Gang zwischen den Stuhlreihen.
„Ach, was haben wir denn hier Schönes“, hörte Eva und lachte, „eine Olympiaplakette von 1936! Na so wat Schönes aber auch! Na kieken Se mal, wie jeschmackvoll die Prägung!“
Die Seniorchefin kicherte. Die beiden Schlepper hielten das Samtkissen mit der Medaille hoch und machten betont ernste Mienen.
„Na, da hab ick ja ooch mitjeturnt“ – der Saal lachte, besonders die Älteren –, „nee, im Ernst, damals in der Schule, da mussten wa alle antreten, ick war ne jute Läuferin“ – anerkennendes „so, so“ im Saal – „ich hab leider keine Medaille gekriegt, nur in der Masse mitjeturnt.“
Frau Spoerli blühte auf, wenn sie halb berlinerte und sich halbwegs um ein ordentliches Hochdeutsch bemühte. Die Stammkunden feuerten sie an, applaudierten.
„Na, nu is aber jenuch mit die alten Jeschichten. Zum ersten, zweiten, dritten.“
Die Träger in ihren weißen Kitteln schmunzelten, brachten Schatullen aus dem 18., Kistchen aus dem 19. und allerlei Schnickschnack aus dem 20. Jahrhundert, Meerschaumpfeifen, Freimaurerdegen, erotische Drucke aus Japan.
„Mmh, sehr fein, eine echte Rarität. Na, meine Herren?!“
Frau Spoerli senior sah über ihre tiefsitzende Brille fragend hinweg in den Raum.
Die Herren beugten sich nach vorn und hoben ihre Hände.
„Was sind denn das für Petschaften“, amüsierte sich die Olympionikin. „Oh, ein Samowar, da is ja sogar alles dran, fehlt nix, na, wie wär’s?“
Manch einer fing nervös zu schmatzen an, wenn das Jagdfieber ihn packte. Die ersten Teppichhändler rückten an; kleine Männer mit dicken Brillanten und goldenen Ringen an den kräftigen Händen, breitbeinig, in ausgewaschenen Jeans, kurz geschorene Häupter, Gesichter wie Krater und Felslandschaften, Kroatien, Albanien, Russland. Paschas, dachte Eva, neuerdings ganz abgeklärt, dabei unattraktiv bis sonst wohin. Ein besonders umfangreicher Händler schnaufte laut, als er sich setzte. Manche müssen allen verkünden, dass sie da sind. Rehweiler zog die Wangen angewidert nach innen. Die älteren Händler, Perser und Türken, wirkten gepflegter. Sie nickten Eva zu. Es roch immer intensiver nach Aftershave.
„Is ja schön, dass sich alle freuen“, rief Frau Spoerli senior in den entstehenden Tumult, „sich wiederzusehen, aber wir müssen jetzt rasch hintereinander, wir haben noch einiges vor!“
Und streng sah sie auf ihre Armbanduhr. Frau Spoerli senior machte nach vier Stunden eine kurze Pause, in der sie eine Tasse löslichen Kaffee trank.
„Der Staub“, entschuldigte sie sich, „ich muss mich sonst zu oft räuspern.“
Eva bewunderte sie dafür. Sie selbst musste immer mal heimlich hinausgehen und in einen Kokosriegel beißen, ein Glas Wasser herunterstürzen oder ein Stück Schokolade in den Mund schieben. An den Dingen klebt eine Geschichte, dachte sie, man spürt sie. Die Musik hat eine Geschichte, auch wenn nicht jede Musik eine Geschichte erzählt. Sie sagt sie im Wechsel von Noten und Stille. Die Architektur spricht ohne Worte. Bilder vermitteln eine Empfindung, wie eine Geste. Sie dachte daran, wie sehr sie es mochte, wenn die Dinge zur Sprache kamen, und lächelte Frau Spoerli an.
· 6 ·
Nach der Auktion („Ich komme dann direkt“) fuhr Eva zu Karl. Sie rannte die Treppen zu seiner Wohnung hinauf und zog noch vor der Tür die Jacke aus. Sie küssten sich atemlos (vom Treppehochrennen), sie legte ihre Nase an seinen Hals, dessen Haut weich und zart war, er schob den Rock ihres Kostüms hoch.
„Lass das andere an“, sagte er und legte sie vorsichtig auf sein Bett. „Du bist bestimmt ein bisschen müde von deiner Arbeit.“
Er streifte ihr langsam Strumpfhose und Höschen herunter und betrachtete Eva anerkennend. „Das sieht sehr schön aus“, sagte er und öffnete die eigene Hose.
Danach lagen sie nackt im Bett und Eva sah die grün gestreiften Vorhänge an und dann sprachen sie über das Bild, das sie vom Bett aus an der Wand sahen: Karls Mutter hatte es ihm geschenkt, eine Landschaft aus verschieden grünen Feldern. „Sie war depressiv“, sagte Karl, „sie hatte fünf Kinder und neigte zu Depressionen.“
„Warum?“, fragte Eva und schmiegte sich an ihn. Karl streichelte ihr Haar. Er schmeckte sie und streichelte sie unermüdlich und ausdauernd. Er redete nie über seine Geschäfte; er erzählte von seinen Reisen und seiner Familie; seinen zahlreichen Tanten, Onkeln, Brüdern und Schwestern, die über die ganze Welt verteilt waren. Eva hörte ihm gern zu. Sie roch auch gern seinen Schweiß. Über ihnen ging jemand hin und her.
„Ich weiß es nicht“, sagte Karl. „Ich war der Jüngste,