Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer
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Eva kaute das Fleisch herunter und tänzelte innerlich. Sie hatte, bevor Hartmut sie ansprach, gerade an Karl gedacht und sich gefragt, weshalb sie in letzter Zeit oft traurig wurde, wenn sie mit ihm zusammen gewesen war. Es war doch eigentlich immer schön, auch heute. Plötzlich hatte Eva Sehnsucht nach ihrer Schwester, die sich in Bolivien herumtrieb und das Leben in Müllstädten erforschte.
„Eva, träumst du?“ Sibylles Stimme. Eva kehrte mühsam in den Raum zurück. Hartmut sah sie erwartungsvoll an.
„Entschuldigt bitte“, sagte Eva.
Die meisten Leute hatten eine merkwürdige Scheu vor Auktionshäusern. Sie hielten sie für elitär, etwas für Frauen, die täglich ihre Brillanten wechselten und deren Häuser in Hochglanzzeitschriften abgelichtet waren. Oder sie dachten an staubige Räume, in denen aus der Mode gekommene Möbel vor sich hin dämmerten. Sie hatten auch eine Scheu vor Eva, wenn sie hörten, dass sie in einem Auktionshaus arbeitete.
„Heute gingen die Teppiche schlechter als sonst“, sagte sie etwas mürrisch, „und Frau Schattenfroh hat kein Wort mit Spoerli junior gewechselt. Spoerli senior hat Witze über ihre Teilnahme bei der Olympiade 1936 gerissen, und bei den japanischen Drucken gab es einen regelrechten Wettkampf.“
„Spoerli senior ist die Chefin“, sagte Stefan. Hartmut sah Eva spöttisch an.
„So eine Frau wie du“, sagte er, „zwischen dem alten Plunder, das zieht bestimmt Kundschaft, was?“
Ludwig sah so finster drein, als wollte er mit dem Motorrad über den Tisch rasen wie ein Halbstarker über den Campingplatz. Eva zog die Augenbrauen hoch.
„Du kannst mich ja mal da besuchen. Dann hast du Ludwig etwas voraus.“
Hartmut wich überrascht zurück, Ludwig wollte schon aufbrausen, doch Eva zwinkerte ihm zu. Ludwig lachte: „Jaja, unbedingt!“
Sibylle stand abrupt auf und begann laut, die Teller zusammenzustellen. Martina, die bis dahin zurückhaltend gewesen war, begann mit großem Elan von einem Kollegen zu erzählen.
„Er hat seine gesamte Praxiseinrichtung in Auktionshäusern ersteigert, stellt euch vor, Tische, Stühle, Teppiche, alles. Am Anfang hatte er kein Geld und fand es da günstiger; und später hat es ihm Spaß gemacht.“
„Ich kenn den Typ genau“, sagte Eva, „den gibt’s öfter, solche Typen gehören zu den Stammkunden. Die können nicht mehr aufhören, die sind wie Spieler.“
Martina war offensichtlich erfreut, dass sich die Situation wieder entspannte. „Genau“, sagte sie, „jetzt kann er nicht mehr aufhören damit und weiß nicht mehr, wohin mit dem Kram. Ich glaube sogar, dass er manchmal Stühle an Patienten verkauft. Seine Praxis sieht aus wie ein vollgestopftes Wohnzimmer, aber für die Patientinnen scheint das gerade einen Reiz zu haben. Ein interessanter Mann übrigens, er ist auf Fertilisation spezialisiert.“
„Fertilisation?“
„Alles, womit du keine Probleme hast“, sagte Ludwig eine Spur zu ironisch zu Eva, der nichts dazu einfiel und die sich plötzlich wünschte, ins Kino gegangen zu sein oder mit Stefan allein in einer Pizzeria zu sitzen. Es nervte sie, dass die Männer ihre Gockelei auf sie ausdehnten; sie fühlte sich wie eine Dame in einem Schachspiel, zum Einsatz gebracht und herumgeschoben. Außerdem rumorte der Herr Karl noch seltsam in ihr.
„Alles, was mit Fruchtbarkeit zu tun hat“, ergänzte Sibylle, die mit einem Tablett aus der Küche zurückkam und den Tisch weiter abräumte. Eva stand auf, um ihr zu helfen, doch sie winkte ab.
„Unerfüllter Kinderwunsch, Samenspender, Hormonbehandlung, in-vitro–“
„Er hat also mit Unfruchtbarkeit zu tun“, sagte Stefan.
„Wie du es nimmst.“
Unvermittelt stand Ludwig auf, kam auf Evas Seite des Tisches und küsste sie. „Tut mir leid, Eva, ich wollte heute nicht streiten, ich weiß auch nicht, was wieder in mich gefahren ist.“
Eva nahm seine Hand. „Es war doch gar nichts“, murmelte sie verwirrt, „es war doch nur so wie immer.“
Und ihr Herz, das schon ein böses spitzes Maul gemacht hatte, öffnete sich voll Wärme. Sie sah Ludwig an, seine blauen Augen und den nicht sehr vollen Bart, und lächelte scheu wie ein Mädchen, dessen Papa wieder gut mit ihr ist.
Unterdessen hatte sich Stefan an Martina gewandt. Er zwinkerte. Wegen der Kontaktlinsen, behauptete er. Hunde, die bellen, beißen nicht, dachte Eva, die es sah. Sie war sich dabei allerdings keineswegs sicher.
„Du kannst uns sicher erklären, was es mit der Stammzellenforschung auf sich hat“, sagte Stefan, „ich würde es gern verstehen.“
Martina nickte ernsthaft. Anders als Ludwig sah sie die neusten Entwicklungen skeptisch; was sie jedoch mehr noch als die Herstellung künstlicher Embryonen zu Forschungszwecken beschäftigte, waren die jungen Menschen, die als erste Retortenbabys gezeugt worden waren und nun nach ihren Spendervätern zu suchen begannen.
„Kürzlich ist eine junge Frau zu mir gekommen, um sich eine Spirale setzen zu lassen. Sie war merkwürdig verhalten, als habe sie etwas auf dem Herzen, und dann hat sie gefragt, wie sie an die Information herankommen könne, wer ihr Vater gewesen sei. Ihre Mutter will es ihr nicht sagen, und sie will auch keinen Streit mit ihr anfangen. Wer will das schon. Aber sie wüsste es so schrecklich gern, was für ein Mensch er wäre, ihr Vater.“
„Was spielt das denn für eine Rolle“, sagte Ludwig, „sie hatte doch einen Vater, der sie großgezogen hat, das ist ihr Vater. Ich glaube nicht, dass das irgend etwas bringt. Gene werden völlig überschätzt.“
„Hatte sie denn einen Vater? Das kannst du doch gar nicht wissen“, sagte Stefan, ungewohnt ärgerlich. (Der weggerannte Vater seiner Mutter saß ihm manchmal quer auf dem Nacken, ein böser Dämon, dem er womöglich ähnlicher war, als er dachte.)
„Was ärgert dich denn daran?“, fragte Eva.
„Nichts.“
„Aber natürlich ärgert dich etwas!“
„Nein, ich finde es nur so seltsam, dass man immer von den sogenannten normalen Verhältnissen ausgeht. Es gibt so viele alleinerziehende Mütter.“
„Ja“, sagte Sibylle, „und es gibt ganz viele alleinerziehende Mütter, die verheiratet sind. Weil die Männer die ganze Zeit arbeiten und bestenfalls Wochenendväter sind, wie zum Beispiel Herr Dr. Ludwig Pätzold, Herr des Krebses und Leiter der onkologischen Station in der –“
„Jetzt wirst du aber ungerecht, Sibylle, ich bin doch wirklich oft zu Hause!“
Evas seismografischer Apparat kam auf Touren. Da war etwas im Gange. Blitzschnell sah sie zu Stefan, der in seinem Teller verschwand, dann zu Ludwig. Ludwig war tiefrot geworden. Das mochte er gewiss nicht, vor allen anderen von Sibylle angegriffen zu werden. Martina und Hartmut wichen zurück, als wollten sie sich unsichtbar machen. Wie Kinder, wenn sich die Eltern zanken. Wir sind gar nicht da,