Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte. Tanja Langer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte - Tanja Langer страница 24
„Nein, natürlich nicht, nur an das Gefühl. Meine Geschwister haben mir das erzählt.“
„Armer kleiner Karl“, flüsterte Eva und streichelte sein Gesicht. Karl hatte den Kopf an ihren Hals gelegt und die Hand auf ihren Bauch.
Erschöpft und leicht staubig riechend kam Eva bei Ludwig und Sibylle in Schöneberg an, die außer Eva und Stefan noch ein weiteres Paar eingeladen hatten, ebenfalls Ärzte, die sie noch nicht kannte. Zu Hause hütete ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft die Kinder.
Eva stieg das holzgetäfelte Treppenhaus hinauf und dachte an ihre eigene Zeit in Mietshäusern. Sie und Stefan hatten in verschiedenen Bezirken gewohnt, meistens in den Hinterhöfen. Sie hatte es geliebt, den anderen Leuten in die Fenster zu schauen, sie stellte sich vor, heimlich in ihren Räumen zu sitzen und ihnen zuzuhören. Sie fand so vieles an den Menschen unbegreiflich. Unbegreiflich blieben ihr auch Ludwig und Sibylle. Sie mochte sie sehr, sie waren so anders, das machte sie neugierig, doch stets blieb da eine unerklärliche Zurückhaltung, anders als mit Nora. Sie hatte sich noch nie allein mit Sibylle verabredet. Ludwig wie Sibylle bewunderten Stefan, den Musiker, und gerieten manchmal in einen Verteidigungszwang, der Eva und Stefan überraschte. Eva hielt bei jedem Treppenabsatz kurz an und warf einen Blick aus dem Fenster hinaus in die erleuchteten Wohnungen hinein, in denen sich die Leute für ihren Abend fertig machten, Fleisch und Gemüse schnitten, Salat zupften, eine Flasche entkorkten, sich umzogen oder einfach auf dem Sofa vor dem Fernseher gammelten. Krisen kommen und gehen, dachte sie, an manchen Dingen ändert sich nichts.
„Die Fotos gucken wir uns beim nächsten Mal an“, flüsterte Sibylle im Eingang und küsste Eva aufs Ohr, „wegen der anderen.“
Seit Sibylle auf neue Weise an Stefan dachte, trieb sie auch etwas Neues zu Eva hin, was sie zugleich fernhielt. Es war eine Art erotischer Identifikation. Küsste sie Eva, berührte sie die Haut, die Stefans Haut berührte. Umarmte sie Eva, hatte sie den Körper im Arm, der Stefans Körper nah war. Sie konnte nicht ahnen, wie selten es solche Berührungen zwischen den beiden gab.
„Wo sind die Kinder?“, fragte Eva, etwas verwirrt von der ungewohnten Körperlichkeit der sonst eher spröden Freundin.
„Es ist so ruhig.“
„Sie schlafen bei Freunden. Hübsch, der Mantel. Grün steht dir gut.“ Sibylle half Eva aus dem Mantel.
„Danke. Wie praktisch, ich meine mit den Kindern. Ist Stefan schon da?“, fragte Eva. Sie warf einen flüchtigen Blick in den Garderobenspiegel. Sie hatte die Haare bei Karl eilig hochgesteckt. Ihr Mund leuchtete, ganz ohne Lippenstift.
„Du bist die Letzte“, sagte Sibylle und ging beschwingt vor Eva ins Wohnzimmer.
Sibylle und Ludwig wohnten seit Jahren in dieser Wohnung; doch jedes Mal hatte Eva den Eindruck, als wäre es nicht ihre Wohnung. Die Einrichtung war wild zusammengewürfelt, ohne miteinander verwachsen zu sein; ein violett-schwarz gemustertes Sofa stand im hinteren Teil des Raumes, davor ein Glastisch, daneben eine Stehlampe mit Aluminiumfuß und einem großen halbrunden Kegel aus Milchglas, die mit der für Evas Empfinden zu hellen Deckenbeleuchtung konkurrierte. Mit modernen Möbeln kannte Eva sich nicht aus, aber wie sie Ludwigs Hang zu extravagantem Understatement kannte, war es ein teures Stück. Günstig erstanden freilich, bei Ebay, wie das Gemälde eines alten Neuen Wilden, das über dem Sofa an der Wand hing und einen Mann darstellte, der auf dem Kopf stand. Er war mit harten schwarzen Strichen konturiert, sein Penis baumelte zwischen den Beinen herunter, worin Eva den Baselitz-Epigonen ausmachte.
Eva begrüßte Ludwig und Stefan mit einem Kuss und schüttelte dem Ärztepaar die Hand. Martina und Hartmut.
„Du bist ja so schick heute“, sagte Ludwig, „im Kostüm!“
„Arbeitskleidung“, sagte Eva und zog die Jacke aus. Ihre helle Bluse war leicht zerknautscht.
Der Tisch im vorderen Teil des Raumes, von dem der lange Flur zur Küche abging, war mit schwarzen Tellern und bunten Papierservietten gedeckt. Soßen und Senf standen in Schraubgläsern neben gestückelten Karotten und Gurken und den Platten mit Fleisch. Eva war enttäuscht; sie hatte ein Käsefondue erwartet. Sie setzten sich sofort zu Tisch und begannen, die Spieße mit dem Fleisch in das siedende Öl zu tauchen. Es roch stark.
„Biokalb, Biolamm, Bioschwein“, sagte Ludwig.
Ludwig schenkte Rotwein in die großen runden Gläser. Biowein. Was sonst.
Langsam kam das Gespräch in Gang. Was machst du, woher kommt ihr, ach so, ach ja, wie schön.
Sibylle wirkte sehr aufgeregt; ihre Wangen glühten. Sie trug ein eng anliegendes schwarzes Kleid mit rosafarbenen Zacken am Ausschnitt und hatte die Haare anders frisiert. Sie leuchtet, dachte Eva, sie sieht weicher aus als sonst. Ob sie schwanger ist? Na, wer weiß. Ludwig hatte ein rotes Hemd angezogen, das locker über die Jeans hing; in seinem äußersten Zugeständnis an modischen Schick hatte er sich stets etwas von der Auflehnung gegen die Recklinghauser Eltern bewahrt, die er spießig nannte. Zusammen mit dem Bunsenlicht unter dem Fonduetopf und den Schraubgläsern verbreitete er eine Atmosphäre, die Eva an Campingplätze denken ließ. Sie war müde, die Dämpfe verursachten ihr nach dem sauerstoffarmen Tag Kopfschmerzen. Sie war froh, dass die anderen sprachen, über Abrechnungsmodalitäten, Punkte, Computersysteme, Stress mit Kollegen in den Krankenhäusern und die ständigen Reformen der Gesundheitsreform. Das Ganze wirkte wie ein Schlagabtausch, um ihre Positionen, ihre Bedeutung in der ärztlichen Hierarchie und ihre Haltungen in medizinischen Grundfragen zu klären. Martina und Hartmut waren im Osten aufgewachsen und hatten dort auch ihre Ausbildungen absolviert; er war Anästhesist. Eva schätzte ihn auf Ende fünfzig. Martina war Anfang vierzig. Sie hatte eine gynäkologische Praxis in Neukölln, Sibylle überwies ihr hin und wieder Patientinnen.
Stefan, der wie zu einer Orchesterprobe einen schwarzen Rollkragenpullover angezogen hatte, hatte die Ärmel hochgeschoben und fuhr sich mit der Hand immer wieder in den Kragen; sein sonst so blasses Gesicht war von der Wärme und vom Essen von einer leichten Röte überzogen. Er wanderte nach innen, das sah Eva. Wenn ihn etwas nicht interessierte, bewegte er sich mit seiner Konzentration einfach in eine ihr unbekannte Richtung. Tatsächlich dachte er auch jetzt an nichts: Er dachte an die Fleischstückchen, die er auswählte, er schmeckte sie auf seiner Zunge, er überlegte, in welche Soße er sie tunken sollte, er hörte zu.
Ob auch er sich ein wenig über ihren Freund wunderte, den sie sonst nur privat erlebten, fragte sich seine ruhelose Eva weiter. Natürlich merkte man Ludwig den Bestimmer an, in seiner Art, immer ein wenig zu dozieren, wenn er etwas reparierte oder erklärte, wie er die preiswertesten Angebote im Internet auf ihre Tauglichkeit einzuschätzen wusste. Manchmal wurde Stefan etwas spitz, wenn sie allzu viel auf Ludwigs praktisches Wissen gab und ihm verzückt lauschte. Im Grunde aber sahen beide in Ludwigs Einmischungen seine Freundschaft, seine liebenswürdige Bitte, ihm mit einer Aufgabe einen Platz zu geben. Als ob er nur da sein dürfte, dachte Eva, wenn er etwas Nützliches leistet. Hier, mit diesem anderen Arzt, sahen sie ihn zum ersten Mal in einem Umfeld, in dem er offenbar unter starkem Konkurrenzdruck stand.
Plötzlich sah Hartmut, ein hagerer Mann mit starken Augenrändern, Eva belustigt an. „Und du arbeitest also in einem Auktionshaus?“
Sie hatten sich zu Anfang darauf geeinigt, sich zu duzen, und doch berührte es Eva seltsam, von ihm so angesprochen zu werden. Sie fand Hartmuts Falten traurig, aber schön, sie erzählten von schlaflosen Nächten und wirren Erinnerungen, die unerwartet in den grün gestrichenen, diffus ausgeleuchteten Krankenhausgängen Gestalt annahmen, auf ihn zu traten und ihn ansprachen und fortgeschickt