Die Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen. Группа авторов
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Im Zuge der Reformation, der sich Hessen 1524 angeschlossen hatte, löste Landgraf Philipp I. 1527 den Konvent auf und zog den reichen Kirchenschatz ein. Außer den Benediktinerinnen lebten damals 14 Laienschwestern in Kaufungen, die vom Landgrafen abgefunden wurden.134 Die Besitzungen übergab er 1532 der Hessischen Ritterschaft.135 Eine längere Korrespondenz um die Einkünfte aus Heroldishausen im Herzogtum Sachsen zeigt, dass den Rittern der Zugriff auf Ferngüter außerhalb der Landgrafschaft verweigert wurde und die Nonnen engagiert um ihre Ansprüche kämpften.136 Überhaupt erfolgte die gesamte Übertragung gegen den Widerstand der Nonnen, die 1537 sogar einen Prozess vor dem kaiserlichen Kammergericht anstrengten. Obwohl sie diesen Rechtsstreit letztlich gewannen, konnten sie, machtlos wie sie waren, das Recht auf den ihnen zugesprochenen Besitz nicht durchsetzen, denn der Landgraf wies die Forderungen des kaiserlichen Gerichts entschieden zurück.137
Die Hessische Ritterschaft konnte letztlich die in Hessen gelegenen Güter behalten. Eine handkolorierte, nach Westen orientierte Landtafel des unter Landgraf Moritz tätig gewesenen Kartographen Wilhelm Dilich präsentiert beispielsweise anschaulich, dass die Ritterschaft um 1625 über sämtliche Zehnteinkünfte aus der Niederzwehrener Feldmark verfügte (Abb. 18).138 Es ist nicht bekannt, warum die Ritter gerade den Besitz in Niederzwehren, einem ihrer größten Stiftsgüter, so aufwendig erfassen ließen. Vielleicht hatten Streitigkeiten um den Zehnt oder der Zwang, die Güterverwaltung neu zu ordnen, eine offizielle Festschreibung erfordert. Das aus der Vogelperspektive kartierte Gebiet, begrenzt durch die Fulda sowie die Gemarkungen Rengershausen und Oberzwehren, erstreckte sich von der heutigen Südgrenze der Stadt Kassel bis zum Park Schönfeld. Die Sommer-, Winter- und Brachfelder rund um das Dorf Niederzwehren spiegeln die damaligen Praktiken der Dreifelderwirtschaft. Ein eigener Index, der nur das weniger ausgearbeitete Arbeitsexemplar (Abb. 19) ergänzt,139 erklärte obendrein, welche Felder vom Zehnt betroffen und welche befreit waren.
18 Wilhelm Dilich, Landtafel zu den Zehnteinkünften aus Niederzwehren, 1625
Die Landtafel gibt auch Einblick in die Verwaltungspraxis der Hessischen Ritterschaft. Außergewöhnlich ist der Beschreibstoff Pergament, der zusammen mit dem rechts zum Aufrollen angebrachten Holzstab und der metallenen Aufbewahrungshülse des 18. Jahrhunderts auf eine repräsentative Funktion verweist. Die weiteren Umstände der Entstehung lassen sich aus der überlieferten Korrespondenz zwischen dem landständischen Auftraggeber und dem Geographen rekonstruieren.140 Der Kasseler Bürgermeister und Stiftssyndikus Johannes Beckman hatte Dilich mit dem Werk betraut. Im Oktober 1624 begannen die Vermessungen mit vier bis fünf Helfern vor Ort; die Niederschrift war im Februar 1625 beendet. Anton Becker, der Kaufunger Stiftsvogt, wickelte zuerst die Entlohnung ab, ehe die Schlussabrechnung an den Obervorsteher der Ritterschaft Hermann von der Malsburg ging, der nur 66 von 89 verlangten Reichstalern, geschäftstüchtig weitgehend in Naturalien, auszahlte.
19 Wilhelm Dilich, Arbeitsexemplar der Landtafel zu den Zehnteinkünften aus Niederzwehren, 1625
Zusammenfassung
Abschließend lässt sich festhalten: Am 10. und 20. August 1011 gewährte König Heinrich II. bei einem Aufenthalt in Kaufungen dem Kloster Hersfeld und dem Erzbistum Magdeburg die Vorrechte, um die ihn die anwesenden Amtsträger Abt Godehard und Erzbischof Tagino gebeten hatten. Beide Königsurkunden beleuchten die Anfänge Kaufungens. Sowohl der Empfängernotar, der für Hersfeld agierte, als auch der Kanzleinotar, der das Magdeburger Privileg verfasste, haben den Ausstellungsort wohl nicht in einem Zug mit den restlichen Zeilen des Pergaments ins Reine geschrieben, sondern nachträglich hinzugefügt. Diese beiden Ersterwähnungen Kaufungens bildeten jedoch den Auftakt zu einer Phase, in der das Königspaar Heinrich und Kunigunde den ursprünglichen Nebenhof des Kasseler Grundherrschaftskomplexes ausbauen ließ. Mit der Kloster- oder Stiftsgründung 1017 und dessen vielfältiger Privilegierung bis 1023 legte es die Grundlage für einen nicht unbedeutenden Konvent, dessen Besitzungen sich im Westen bis nach Koblenz und Dortmund, im Osten bis Langensalza erstreckten. Nach dem Übergang der Stiftsvogtei an die hessischen Landgrafen 1297 unterblieb eine gezielte Förderung. Kriege, Verwüstungen und landgräfliche Übergriffe prägten in der Folge das Stiftsleben, dessen Details sich in zahlreichen Urkunden ebenso wie in den Statuten des beginnenden 15. Jahrhunderts spiegeln. Selbst die Bauvorhaben und die damit verbundenen Anstrengungen können anschaulich rekonstruiert werden. Dem Niedergang und den wiederholten Bemühungen um Reform setzte Landgraf Philipp I. mit der Auflösung des Konvents, dem Einzug des Kirchenschatzes und der Übergabe der Besitzungen 1532 an die Hessische Ritterschaft ein Ende.
Abkürzungen
MGH DD Kar 1 = Die Urkunden der Karolinger, Bd. 1: Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen/Diplomata Karolinorum 1: Pippini, Carlomanni, Caroli Magni Diplomata, Hannover 1906, Nachdruck München 1991.
MGH DD H II = Die Urkunden der Deutschen Könige und Kaiser, Bd. 3: Die Urkunden Heinrichs II. und Arduins/ Diplomata regum et imperatorum Germaniae 3: Heinrici II. et Arduini Diplomata, Hannover 1900–1903, Nachdruck München 2001.
MGH DD H III = Die Urkunden der Deutschen Könige und Kaiser, Bd. 5: Die Urkunden Heinrichs III./Diplomata regum et imperatorum Germaniae 5: Heinrici III. Diplomata, Berlin 1926–1931, Nachdruck München 1993.
MGH DD H IV = Die Urkunden der Deutschen Könige und Kaiser, Bd. 6, 1–3: Die Urkunden Heinrichs IV./Diplomata regum et imperatorum Germaniae 6, 1–3: Heinrici IV. Diplomata, Berlin, Weimar und Hannover 1941–1978.
MGH SS = Monumenta Germaniae Historica, Scriptores (in folio).
Thietmar von Merseburg, Chronik = Thietmar von Merseburg, Chronik. Neu übertragen und erläutert v. Werner Trillmich (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 9), Darmstadt 1985.
1 Der vorliegende Aufsatz basiert in Teilen auf Ingrid BAUMGÄRTNER und Christian PRESCHE, Kaufungen 1011. Die urkundliche Ersterwähnung im Kontext, Kassel 2011; Ingrid BAUMGÄRTNER und Christian PRESCHE, Kaufungen 1011. Die urkundliche Ersterwähnung im Kontext, in: 1000 Jahre Kaufungen. Arbeit – Alltag – Zusammenleben, hg. vom Gemeindevorstand der Gemeinde Kaufungen und der Sparkassenstiftung Landkreis Kassel – Kultur, Kaufungen 2011, S. 14–25. Vgl. auch Christian PRESCHE, Kassel im Mittelalter. Zur Stadtentwicklung bis 1367, 2 Bde., Kassel 2013, Bd. 1, S. 143–151.
2 MGH DD H II 182. Vgl. Ingrid BAUMGÄRTNER, Kunigunde. Politische Handlungsspielräume einer Kaiserin, in: Ingrid BAUMGÄRTNER (Hg.), Kunigunde – eine Kaiserin an der Jahrtausendwende, 2. Aufl. Kassel 2002, S. 19 u. 42; Daniela MÜLLER-WIEGAND, Vermitteln – Beraten – Erinnern. Funktionen und Aufgabenfelder von Frauen in der ottonischen Herrscherfamilie (919–1024), Kassel 2005, S. 247.
3 Vgl. MGH DD H II 134, 135, 143–171, 174, 174a, 181, 195–197, 200–204 (Bistum Bamberg), 208 (St. Stephan), 366 und die Fälschungen 520, 522, 523 (St. Michael), 332, 334 (Bamberger Kirche) sowie 335. Vgl. Bernd SCHNEIDMÜLLER, Die einzigartig geliebte Stadt. Heinrich II. und Bamberg, in: Josef KIRMEIER u. a. (Hg.), Kaiser Heinrich II. 1002–1024. Begleitband zur Bayerischen Landesausstellung 2002 (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 44), Augsburg 2002, S. 30–51, hier S. 33–40; Wolfgang F. REDDIG, Kaiser Heinrich II. Leben, Zeit und Welt, Bamberg 2002, S. 234–247.
4 MGH DD H II 236 u. 237; Hans WEIRICH (Bearb.), Urkundenbuch der Reichsabtei Hersfeld, Bd. 1, mit Verwendung der Vorarbeiten v. Karl HÖRGER (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 19,1), Marburg 1936, Nr. 78. Lateinischer Text mit Übersetzung beider Urkunden bei BAUMGÄRTNER und PRESCHE, Kaufungen 1011 (wie