Die Althessische Ritterschaft und das Stift Kaufungen. Группа авторов
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Aus Kostengründen vereinfachte man auch die Planungen für den Wiederaufbau der Stiftskirche und sah das Langhaus nicht mehr als überwölbte Basilika vor, sondern als schlichte, flachgedeckte Hallenkirche. Bei den Pfeilern und Scheidbögen verzichtete man selbst auf einfachste Achteckprofile.91 Trotzdem waren weitere Einsparungen nötig, so dass die Arbeiten bis 1399 in eine provisorische, flachgedeckte Pseudobasilika mündeten.92 Immerhin war die Zahl der Stiftsdamen zwischenzeitlich von zwei (1390) auf sechs (1397) angestiegen.93 Die neue Äbtissin Berta von Sayn, die 1399 ihr Amt antrat, veranlasste zunächst eine Bauunterbrechung und entließ im Jahr 1400 den Baumeister.94 Doch um 1407 ließ sie die Seitenschiffe mit modernen Maßwerkfenstern versehen,95 und zwei Jahre später erwirkte sie einen Indulgenz- oder Ablassbrief zugunsten des Kirchenbaus und seiner Ausstattung.96 Im Jahre 1416 bekam auch der südliche Querhausarm, der an eine tiefer gelegene, hölzerne Nonnenempore angepasst wurde, ein neues Dach. Auf die beabsichtigte Einwölbung dieses Querhausarms verzichtete man nicht zuletzt, um die Einheitlichkeit des Kirchenraums zu wahren. Doch der Geldmangel blieb nach wie vor akut. Deshalb suchte das Stift 1420 einen zweiten Indulgenzbrief zu erlangen.97
Wenig später wandten sich Landgraf Heinrich II. als Vogt des Stifts, die Äbtissin sowie die Kanoniker an den Papst, um die schon im 13. Jahrhundert umstrittene98 Inkorporierung der Pfarrkirche im Moseldorf Lay, auf die auch Siegburg Ansprüche erhob, zu erreichen und somit die Einkünfte zu vermehren. Nachdem die Vermögensverhältnisse geprüft worden waren, konnte dieser Schritt bis 1423 vollzogen werden.99 Aber die Hoffnung auf eine endgültige Lösung erfüllte sich nicht; die Layer Pfarrkirche ging Kaufungen 1440 gänzlich verloren, als Nikolaus von Kues eine Übertragung an das Kloster Münstermaifeld erwirkte.
Aus dem Jahr 1451 stammt ein weiterer Indulgenzbrief zugunsten Kirchenbau und Ausstattung.100 Möglicherweise wurde damit begonnen, die ottonische Chorapsis durch einen gotischen Polygonalschluss zu ersetzen. Weitere Bautätigkeiten erstreckten sich auf die Stiftsgebäude. Äbtissin Elisabeth von Waldeck (seit 1442 im Amt) ließ 1463 westlich des Kirchturms, auf der Nordseite des Wirtschaftshofs, einen großen Fachwerkbau mit steinernem Erdgeschoss und spätgotischem Erker errichten, der als repräsentatives Amtshaus gedient haben könnte.101 Seine Stelle nimmt heute das Herrenhaus des Stifts ein, in dessen Eingangshalle sich ein großer gotischer Kamin erhalten hat, der unter anderem das Wappen der Äbtissin und eine Datierung zeigt (Abb. 11). Gemäß der Inschrift constructu(m) anno d(omi)ni millesi(m)o quadrige(n)tesi(m)o sexagesi(m)o tercio i(n) q(ua)dragesi(m)a wurde der Kamin während der Fastenzeit des Jahres 1463 gesetzt. Das zweite Wappen, das an ikonographisch höherwertiger Stelle steht, ist nahe dem Waldecker Stern der Äbtissin nochmals im Chorgewölbe zu finden, dort allerdings in untergeordneter Position.
11 Gotischer Kamin mit Wappen der Äbtissin Elisabeth von Waldeck und Datierung, Kaufungen Herrenhaus in der Eingangshalle, 1463
Die umfassenden Baumaßnahmen an der Kirche waren erst abgeschlossen, als auch der neue Chorschluss vollendet war.102 An einem Strebepfeiler ist die Datierung 1469 angebracht, also das Jahr, in dem Mauern und Dach ihrer Fertigstellung entgegensahen. Unbekannt ist nur, ob damals bereits das Gewölbe eingezogen und das Chorjoch neu eingewölbt war. Aus dem Jahr 1473 datieren zwei weitere Indulgenzbriefe zugunsten des Kirchenbaus und der Ausstattung einschließlich Beleuchtung, Büchern und Kelchen.103 In gleicher Weise wurden damals auch Benedikts- und Nikolauskapelle gefördert.104 Dass man überhaupt den Chor erneuerte und mit dem Gewölbe des Chorjochs an die 1462 vollendete Kasseler Martinskirche anknüpfte, verdeutlicht, dass sich die finanziellen Möglichkeiten des Stifts verbessert hatten und man für den liturgisch wichtigsten Bauteil den Anschluss an moderne Bauprojekte suchte.105
In diesem Zusammenhang müssen spätestens unter Äbtissin Agnes von Anhalt (1495–1504), die gleichzeitig das zur Bursfelder Kongregation gehörige Stift Gandersheim leitete, auch die mittelalterlichen Glasfenster gefertigt worden sein, durch die bis zum Bildersturm unter Landgraf Moritz und vereinzelt bis zu den Renovierungsarbeiten von 1874 das Licht in den Chor fiel. Vier Reste der wunderbaren, farbenprächtigen Glasmalereien sind erhalten; sie porträtieren Kaiser Heinrich II. (Abb. 12) und Kaiserin Kunigunde (Abb. 13), Benedikt von Nursia (Abb. 14) und seine Zwillingsschwester Scholastika (Abb. 15). Dieses Bildprogramm veranschaulicht, dass im ausgehenden 15. Jahrhundert die Erinnerung an die Stifter und deren monastische Zielsetzungen noch sehr lebendig war. Allerdings stammen die vier Medaillons nicht zwingend aus demselben Kontext: Die des Kaiserpaars, die offenbar aus den rechteckigen Feldern der Chorfenster kommen, sind größer und wohl erst nachträglich in Form geschnitten, während die kleineren Rundformate von Benedikt und Scholastika einschließlich ihres Rahmens original sind und in das Couronnement der beiden Diagonalseitenfenster passen dürften.106
12 und 13 Glasfenster mit Kaiser Heinrich II. und Kaiserin Kunigunde, Kaufungen Herrenhaus im Rittersaal, Ende 15. Jh.
14 und 15 Glasfenster mit Benedikt von Nursia und seiner Zwillingsschwester Scholastika, Kaufungen Herrenhaus im Rittersaal, Ende 15. Jh.
Das Stiftsleben im Spätmittelalter
Zwischen 1413 und 1432 ließ die Kaufunger Pröpstin Johanetta vom Stein, die damals nach eigenen Angaben bereits 40 Jahre im Stift weilte, das tradierte Gewohnheitsrecht und alle Gebräuche schriftlich fixieren. Diese Statuten, die für die Stiftskanoniker gedacht waren, umfassten Regelungen zum Stiftsleben und zur Besitzverwaltung, insbesondere aber zu den Pflichten der Kanoniker und zum Ablauf der verschiedenen Gottesdienste während des Kirchenjahres einschließlich der jeweiligen Gesänge.107 Aus den Statuten erfahren wir ferner, wie die Ämterstruktur im Stift angelegt war, wie die Äbtissinnenwahl und die Ausbildung der Stiftsdamen erfolgte und wie die Nahrungsversorgung der Stiftsgemeinschaft funktionierte. Sie regelten also einerseits die Aufgaben der dort beschäftigten Kanoniker und beschrieben andererseits das Leben der Stiftsdamen, deren Zahl – 1378 waren es fünf, 1388 und 1390 nur zwei, 1397 sechs – übersichtlich war und leicht schwankte.108
Sechs Kanoniker, bezeichnet als Hebdomedare, übernahmen im Wechsel jeweils für eine Woche das Zelebrieren der Messe am Kreuzaltar der Stiftskirche sowie weitere Memorialgottesdienste und Andachten, wobei die Teilnahme an der täglichen Hochmesse für das gesamte Stiftspersonal verpflichtend war. Der Diensthabende hatte zusammen mit Ministranten, Vikaren und Priestern fernerhin die acht Seitenaltäre und die drei Kapellen am Kreuzgang zu bespielen: die Altäre des Hl. Heinrich und von St. Peter und Paul (genannt das Grebelin), der Heiligen Dreifaltigkeit und der fünf Heiligen Wunden Gottes, den Marien-, Kunigunden-, Margareten- und Stephansaltar sowie die Kapellen von Benedikt, Nikolaus und Georg. Ihre Präbenden erhielten die Kanoniker aus jeweils eigenen Zuordnungen, denn nur einer konnte Rektor des Kreuzaltars sein. Die anderen dienten als Kaplan oder Rektor der Benediktskapelle sowie jeweils als Rektor oder Pfarrer (plebanus) der Pfarrkirche St. Agathe in (Nieder-)Zwehren, von St. Bonifatius in Meimbressen,