Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch
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Sie rief auch die Krankenversicherung an. Der Mitarbeiter nahm die Daten ziemlich emotionslos auf.
Gute Besserung hatte ihr keiner der Versicherungsmitarbeiter gewünscht. Frechheit.
Ihre beste Freundin erreichte sie nicht, aber sie erwischte einen der Freunde auf der Skihütte und erklärte ihm alles. Er war sichtlich erleichtert, was ihr guttat. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen über das Finanzielle, wir übernehmen deine anteiligen Kosten für das Chalet«, sagte er. Das war eigentlich ihre geringste Sorge, denn sie war in gewissem Maße finanziell unabhängig, nachdem ihre Eltern ihr ein kleines Erbe hinterlassen hatten. Aber nett war es trotzdem. Sie bestellte Grüße für alle und wünschte einen schönen Skiurlaub.
Ein wenig traurig war sie schon nach diesem Telefonat, hatte sie doch im Hintergrund die laute Musik und die offensichtlich gute Stimmung in der Hütte mitbekommen. Wehmut stieg in ihr auf. Warum musste ihr nur dieser dämliche Unfall passieren!
Bevor sie weiter ins Grübeln kam, beschloss sie, ihre neue Umgebung näher zu erkunden. Alles machte einen sehr gepflegten Eindruck. Der Chefarzt hatte nicht zu viel versprochen. Es schien ein wirklich gut geführtes Hotel zu sein. Dass es gleichzeitig als Sanatorium fungierte, war nicht zu bemerken. Nur an einem Gang war ein Hinweisschild zu einer »Medizinischen Abteilung« zu sehen. Sie ging an einem Restaurant und an einer geräumigen Sonnenterrasse mit Blick auf die Berge vorbei. Sie lief weiter und kam zu einer kleinen Bibliothek, offensichtlich einer der Aufenthaltsräume, von denen der Arzt gesprochen hatte. Die Bibliothek war durch und durch holzvertäfelt, und schwere Ledersessel luden zum Hineinsinken ein. Auf kleinen, lederbepolsterten Hockern konnte man die Füße hochlegen.
Sie war ganz allein und ließ den Blick umherschweifen. Die Bibliothek schien gut sortiert, allerdings waren viele Titel in italienischer Sprache. Sie blickte zum Fenster hinaus. Es schneite stark, der Himmel war dunkel, kein Wetter zum Rausgehen. Wieder wurde sie nachdenklich. Womit sollte sie sich die Zeit vertreiben? Fernsehen? Kein wirklich berauschender Gedanke. Sie vermisste ihre Freunde.
Ihr fiel das Gespräch vom Vorabend ein. Was hatte sie an der Unterredung mit ihrem kompetenten Gesprächspartner so fasziniert? Die Radikalität der Ansichten, sein profundes Wissen, seine Belesenheit? Vermutlich alles. Ach ja, und man hatte zuletzt über ein wirklich interessantes Thema gesprochen: die Zeit. Sie konnte doch über die Zeit ein wenig nachdenken, wo sie jetzt so viel Zeit hatte. Konnte man nicht vielleicht doch die Zeit zurückdrehen, eine Zeitreise unternehmen?
Einige seiner Äußerungen schienen darauf hinzudeuten, obwohl er es ursprünglich kategorisch abgelehnt hatte. Was spricht eigentlich dagegen? Er hatte gesagt, dass eine Zeitreise den Raum und die sich darin abspielenden Vorgänge missachten würde. Sie überlegte. Wie war das mit dem Raum? Länge mal Breite mal Höhe. Das waren die Raumdimensionen. Und die Zeit war neben diesen drei Dimensionen die vierte Dimension, soviel war klar. Einen Raum konnte man in allen Richtungen durchschreiten. Eine Strecke konnte man auf- und abgehen, sich also vorwärtswie rückwärtsbewegen, sowohl in der Länge, wie auch in der Breite des Raumes.
Sie schaute auf die kleine Bibliotheksleiter.
Auch in der dritten Dimension konnte man sich auf- und abbewegen, indem man eine Leiter hoch- und wieder runterstieg. Banalitäten.
Ihr Blick schweifte nach draußen.
Und einen Berg konnte man besteigen und wieder mit Skiern hinabfahren. Sie seufzte.
Wie war es aber, wenn ein Gegenstand in irgendeiner Richtung durch den Raum flog, konnte er dann auch in die Gegenrichtung wieder zurückfliegen? Natürlich. Jeder Tischtennisball machte das ständig, wenn er von den Spielern hin- und hergeschlagen wurde. Sie kam zu dem Schluss, dass jeder Weg, der in einem Raum eingeschlagen werden konnte, auch in der Gegenrichtung stattfinden konnte.
Was nun in den ersten drei Dimensionen möglich war, sollte in der vierten Dimension unmöglich sein? Die Zeit kann nur vorwärts- und niemals rückwärtsgehen, hatte er gesagt. Eigentlich nicht einzusehen. Bestimmt gab es im Hotel einen Computer mit Internetanschluss, wo man sich der Frage tiefer gehend widmen konnte. Sie wusste jetzt wieder, wie sie die Zeit sinnvoll verbringen konnte, um die aufkommende Langweile zu bekämpfen.
Sie wusste aber nicht, dass es eine der spannendsten und die mit Abstand interessanteste Woche ihres bisherigen Lebens werden würde.
Überall Energie
Die Energie ist tatsächlich der Stoff,
aus dem alle Elementarteilchen, alle Atome und
daher überhaupt alle Dinge gemacht sind,
und gleichzeitig ist die Energie auch das Bewegende.
Werner Heisenberg,
Physiker
Sie war wohl ein wenig eingenickt, als sie jemand fragte, ob sie etwas zu trinken bestellen möchte. Es war kurz nach 15:00 Uhr, wie ihr ein Blick auf die Uhr zeigte. Eine Kellnerin stand vor ihr. Ein wirklich gutes Hotel, dachte sie wiederum. »Ein Orangensaft bitte, mit Eis.«
»Und für mich bitte ein Bier, aber machen Sie den Schaum nach unten, damit ich gleich trinken kann.«
Die Bedienung konnte sich das Lachen kaum verkneifen. »Sehr wohl«, murmelte sie und verschwand. Er war hinter der Bedienung in die Bibliothek getreten und fügte hinzu: »Natürlich nur, wenn Sie damit einverstanden sind, dass ich Ihnen Gesellschaft leiste.«
»Nur allzu gern«, beeilte sie sich, zu sagen, und war hocherfreut. »Ich wusste gar nicht, dass Sie auch in das Hotel gewechselt sind.« Er wusste es von ihr schon, sagte aber dazu nichts, sondern antwortete: »Ich bin nicht gewechselt, ich bin schon länger hier. Ich habe gestern ganz vergessen, mich vorzustellen. Mein Name ist Christopher Dietrich.« Er war offensichtlich ebenfalls entzückt, sie wiederzusehen. Das schmeichelte ihr, war er doch eine sehr imposante Erscheinung.
»Ich war gestern Abend nur in der Klinik, um Untersuchungsergebnisse abzuholen, und habe die Gelegenheit genutzt, dort etwas zu trinken«, fügte er hinzu. Das stimmte zwar nicht, klang aber überzeugend.
Er nahm ihr gegenüber Platz. »Ich hoffe, Ihre Nachtruhe war angenehm, und Sie sind mir nicht böse, dass ich Sie gestern in eine so lange Diskussion verwickelt habe. Aber ich fand unsere Unterredung interessant.« Er war charmant.
»Lea Morgenstern«, stellte sie sich vor. »Ich habe wirklich gut geschlafen, aber die ganzen Untersuchungen heute und die Aussicht, doch länger bleiben zu müssen, als ich angenommen hatte, haben mich wieder ein wenig müde gemacht. Irgendwie habe ich meine ganze Energie verloren, die ich vor Kurzem noch hatte.«
Seine Augen leuchteten, als er das Wort Energie hörte. »Ich möchte Ihnen ja nur ungern widersprechen, aber Energie kann niemals verloren gehen. Sie erinnern sich?«
Sie war sofort hellwach. Ihre Müdigkeit war augenblicklich verflogen. Na wunderbar, dachte sie, lass uns ein Streitgespräch führen. Schluss mit dem Trübsal und der Langeweile. Natürlich meinte er die physikalische Energie und nicht ihre persönliche Kraft, die sie gerade dabei war, wiederzugewinnen.
»Können Sie mir