Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch
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»Sie sprechen in Rätseln.«
»Da Energie niemals verloren gehen kann, müsste man eigentlich davon ausgehen, dass eine vollständige Energieumwandlung möglich ist. Genau das passiert aber nicht, wie der französische Ingenieur Carnot bereits 1824 in einer Untersuchung mit dem schönen Titel ›Betrachtungen über die bewegende Kraft des Feuers und die zur Entwicklung dieser Kraft geeigneten Maschinen‹12 feststellte, wobei er mit den durch Feuer angetriebenen Maschinen die Dampfmaschinen meinte. Irgendwie konnte man nicht alle Energie nutzen. Es war wie verhext, ein Teil ging immer verloren.«
»Warum ist das so?«, wollte sie wissen.
»Weil jeder Einsatz von Energie einen bedauerlichen Nebeneffekt hat. Schauen wir uns den Vorgang des Energieeinsatzes näher an, der dem Auto Ihres Unfallgegners zu dem Überschuss an kinetischer Energie verholfen hat, den es brauchte, um Sie in einen Unfall zu verwickeln. Im Motor wird die im Benzin enthaltene chemische Energie durch eine gesteuerte Explosion in Bewegungsenergie umgewandelt, die den Kolben antreibt. Da der Kolben nicht reibungsfrei läuft, geht ein Teil der Bewegungsenergie schon an dieser Stelle durch Reibung ›verloren‹, wie man so schön sagt. Verloren gehen kann die Energie aber nicht, wie wir wissen.
Über die Nockenwelle, wieder Reibung, werden letztendlich die Räder angetrieben, die auf dem Teer auch nicht reibungsfrei laufen. Die durch die Explosion im Verbrennungsraum erzeugte Bewegungsenergie treibt zwar letztlich das Auto an, aber ein Teil der Energie ist auf dem Weg bis an die Räder und darüber hinaus verloren gegangen. Wo ist also die ›verlorene‹ Bewegungsenergie hin?«
»Durch Reibung verloren«, dachte sie laut.
»Fassen Sie einmal einen Reifen nach einer Autobahnfahrt an, er ist sehr warm.«
Kunststück, ohne Auto, dachte sie.
»Sie fühlen die im Reifen enthaltene Wärmeenergie. Durch Reibung wird Bewegungsenergie in Wärmeenergie umgewandelt. Dies ist bei jedem technischen Prozess so. Diese Wärmeenergie ist zwar nicht verloren, sie kann aber grundsätzlich nicht mehr in andere Energieformen umgewandelt werden, ist allenfalls in sehr eingeschränktem Maße nutzbar. Wärmeenergie ist das Aschenputtel der Energie. Global gesehen hat die Nutzbarkeit aller zur Verfügung stehenden Energieformen abgenommen, weil die durch den Reibungsvorgang entstehende Wärmeenergie zugenommen hat.«
Sie unterbrach ihn, etwas zu forsch, wie sie im Nachhinein meinte: »Können Sie nicht langsam« – sie lächelte innerlich über diese Wortwahl, weil man doch über die Zeit sinnierte – »zur Sache kommen? Sie wollten mir die Entropie erklären, weil sie so wesentlich für das Verständnis der Zeit sei. Stattdessen halten Sie mir einen Vortrag über Energie. Zugegebenermaßen hoch interessant und lehrreich. Aber können Sie mir nicht einfach sagen, was nun die Entropie ist?«, fragte sie mit leicht angehobener Stimme. Beinahe hätte sie noch hinzugefügt, dass sie nun wirklich nicht die Zeit mit dem Thema Energie totschlagen wolle, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. Das wäre zwar wortwitzig, aber auch eindeutig zu frech gewesen.
Wenn es so einfach wäre, dachte er, sagte aber nur: »Die Abnahme der Nutzbarkeit der Energie wird als Zunahme der Entropie bezeichnet.13 Die Entropie ist, vereinfacht gesagt, das Maß für die Nicht-mehr-Nutzbarkeit von Energie.«
Sie war verblüfft, sagte nichts.
»Energie und Entropie sind auf feinsinnige Weise verbunden. Auch die Ähnlichkeit der Begriffe ist beabsichtigt. ›Entropie‹ ist ein Kunstwort und dem griechischen Wort ›εντρεπειν‹ nachempfunden, was so viel bedeutet wie umdrehen, verwandeln.«
Er schaute kurz aus dem Fenster, wo der Schneefall wieder zugenommen hatte. »Umdrehen kann man allerdings einen durch Entropie ausgelösten Vorgang nicht. Denn mit der Abnahme der Nutzbarkeit ist die Energie entwertet und, das ist wichtig, sie bleibt es grundsätzlich. Der Vorgang ist nicht umkehrbar.«
»Was ist daran so besonders?«, fragte sie.
»Auch die Zeit ist unumkehrbar«, sagte er. »Ständig wird im Universum Energie entwertet, und Zeit vergeht.«
»Zeit hat etwas Entwertendes …?«, wiederholte sie.
»… wobei wirklich erstaunlich ist«, ergänzte er, »dass diese Erkenntnis bereits über 2.000 Jahre alt ist. ›Zeit entwertet die Welt‹, ein Satz der mal Ovid und mal Horaz zugeschrieben wird. Beide waren römische Dichter, die zur Zeit der Herrschaft von Kaiser Augustus lebten. Das Zitat entstammt also einer Zeit noch vor Christi Geburt.
Immer und überall wird durch Reibung Energie entwertet, ein Vorgang, der nicht mehr umkehrbar, nicht reversibel ist«, fasste er die Ausführungen zusammen. »In der Technik spricht man von dem Prinzip der Irreversibilität von Prozessen. Es bleiben immer Änderungen zurück.«
Das war ihr nicht nur zu viel Technik, das war auch unlogisch.
»Nur weil es in der Technik keinen Prozess gibt, der vollständig umkehrbar ist, heißt das doch nicht, dass die Zeit immer voranschreiten muss«, sagte sie. »Gehen wir doch einmal in die Zeit zurück, als es noch keine Technik gab, vor 100.000 Jahren oder, noch besser, vor Millionen von Jahren. Da gab es doch auch schon die Zeit.«
»Völlig richtig. Zeit gibt es schon immer.« Er hielt kurz inne und fügte dann einschränkend hinzu, ohne dies (noch nicht) zu erklären: »Fast immer. Auch das Stampfen eines Dinosauriers über die Steppe oder das Einschlagen eines Meteoriten auf einem Planeten ist mit Reibung verbunden. Selbst wenn in der Sonne Wasserstoff zu Helium umgewandelt wird, wird Wärmeenergie produziert. Der Verweis auf die Technik war also nur beispielhaft gemeint. Es gibt im Universum ständig etwas, was sich verändert und dann nicht mehr zu ändern ist. Nichts bleibt gleich. Das ist eine gewisse Parallele zur Zeit, die ständig voranschreitet.«
Von Ordnung und Unordnung
Unkraut wächst in zwei Monaten.
Eine rote Rose braucht dafür ein Jahr.
Mevlana Celaleddini Rumi,
persischer Dichter
Sie fand seine Erklärungen immer noch unzureichend. Irgendwie redete er um den heißen Brei herum. Energie wird von einer Energiestufe in eine andere umgewandelt, der Vorgang kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, Energie wird entwertet, und das alles hat eine Parallele zur Zeit.
Seine Erklärungen waren zwar sehr eingängig, letztlich wurden hier aber nur Vorgänge miteinander verglichen. Das reichte ihr nicht. Sie wollte die Vorgänge verstehen, im Einzelnen nachvollziehen können. Sie dachte daran, wie man ihr ursprünglich die Entropie erklärt hatte.
»Aber Entropie hat doch was mit Unordnung zu tun«, warf sie ein. »Ich gebe ja zu, mit dem Unfall ist mein Auto entwertet. Aber ist es damit auch unordentlicher geworden? Und selbst wenn dem so wäre. Ich kann mein Auto wieder reparieren lassen und so die Ordnung wiederherstellen.«
»In der Tat könnte man annehmen, dass die (An-)Ordnung der einzelnen Teile Ihres Autos durch den Unfall zerstört worden ist, sich in Unordnung verwandelt hat und die Ordnung durch eine Reparatur wiederhergestellt werden kann. Das meint man aber nicht, wenn man davon spricht, dass die Unordnung immer zunimmt. Selbst wenn Sie das Auto reparieren ließen, würde damit der