Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch
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»Ja, warum neigt alles dazu, von einem mehr geordneten in einen weniger geordneten Zustand überzugehen«, präzisierte er die Frage, um sie gleich zu beantworten, wobei er eine Verknüpfung zum Beginn ihrer Diskussion herstellte.
»Weil es wahrscheinlich ist. Es gibt einfach viel, viel mehr ungeordnete Zustände als geordnete. Das ist das Problem. Ordnung heißt, jedes Ding ist an seinem Platz, und es gibt nur einen Platz für jedes Ding. Aber wenn alle Gegenstände in Bewegung versetzt werden, etwa durch ein spielendes Kind in einem Kinderzimmer, verlassen diese augenblicklich ihren geordneten Zustand.
Sind Gegenstände beweglich, ist es wahrscheinlich, dass sie mehr oder weniger schnell in einen ungeordneten Zustand übergehen. Und da die ›mehr ungeordneten‹ Zustände häufiger sind, als die ›weniger ungeordneten‹, ist es auch wahrscheinlich, dass die Zustände zunehmend ungeordneter werden, die Unordnung also zunimmt.«
»Klingt irgendwie einleuchtend, scheint mir aber zu simpel zu sein. Kann man das nicht näher spezifizieren?«
Sie wollte es wirklich genau wissen, dachte er. Ihm sollte es recht sein.
»Ich verdeutliche Ihnen das am besten anhand eines Beispiels«, sagte er und zeigte nach kurzer Überlegung auf die Regalwand der Bibliothek. »Schauen wir uns einmal eine Bücherreihe näher an.14 Ich hatte das gestern schon als Beispiel genannt. Aber Wiederholung stärkt die Synapsen. Wenn alle Bücher nach Sachgebieten sortiert sind, ist die Ordnung hergestellt. Wir nehmen an, dass es für die Anordnung der Bücher nur einen Zustand der perfekten Ordnung gibt. Nimmt jetzt die Putzfrau ein Buch heraus, um es abzustauben, und stellt es irgendwo wieder zurück in die Regalreihe, wird es problematisch, denn die schöne Ordnung ist dahin.
Passiert das mit weiteren Büchern, ist plausibel, dass mit jedem Vorgang die Unordnung im Bücherreal zunimmt. Wie schnell und in welchem Umfang der Grad der Unordnung aber zunimmt, ist immer wieder erstaunlich.«
Er machte eine kurze Pause, bevor er zum Kern des Problems vorstieß: »Wenn wir die möglichen Zustände der Bücher etwas detaillierter betrachten, sollte es uns gelingen, den Grad der Unordnung zu spezifizieren. Wird durch das segensreiche Wirken der Reinemachfrau das erste Buch aus dem Regal genommen, gibt es, so unsere Annahme, zwölf Möglichkeiten, wohin es nach dem Abstauben wieder gestellt werden kann, denn das Buch muss ja nicht an die gleiche Stelle zurückgeschoben werden. Das sind die möglichen Zustände, die das eine Buch im Regal einnehmen kann. Wir können damit den Grad der möglichen Unordnung für das eine Buch mit der Zahl zwölf genau beziffern. Soweit ganz einfach und übersichtlich.
Das Problem ist nur, dass es bei weiteren Vorgängen mit der Übersichtlichkeit schnell dahin ist. Werden zwei Bücher herausgenommen und irgendwo wieder zurückgestellt, sind es schon 132 Möglichkeiten einer unterschiedlichen Anordnung, nämlich zwölf Möglichkeiten für das erste Buch, multipliziert mit den elf Möglichkeiten für das zweite Buch. So geht das in Riesenschritten weiter. Bei drei Büchern sind es 1.320 Möglichkeiten und bei der doppelten Anzahl von sechs Büchern bereits die sagenhafte Zahl von 665.280 Möglichkeiten.
Wollen wir den Grad der maximalen Unordnung für diese kleine Bücherreihe mit zwölf Büchern bestimmen, sind wir bei 479 Millionen Möglichkeiten. Maximale Unordnung kann also in der Anzahl aller möglichen Zustände, die eingenommen werden können, ausgedrückt werden.«
»Puh«, sagte sie. Auch in ihrem Kopf wirbelten irgendwelche Teilchen wie wild hin und her. Sie musste von diesen hohen Zahlen wieder runterkommen. Obwohl sie beeindruckt war, konnte sie es sich nicht verkneifen, das Beispiel als irreal abzutun: »Von wegen segensreiche Tätigkeit. So eine schusselige Putzfrau gibt es doch gar nicht. Und selbst wenn, macht sie diesen Job nicht lange. Ich würde dem Hotel empfehlen, sie hochkantig rauszuwerfen. Dann bleiben die Bücher so, wie sie sind. Nix mit Unordnung. Ganz im Gegenteil. Dann lagert sich eben Staub auf den Büchern ab, schön gleichmäßig und ordentlich.«
»Sie können die zunehmende Unordnung nicht durch Nichtstun aufhalten«, warf er ein. »Der Schein trügt, wenn sie eine ordentliche Verteilung des Staubes annehmen. Sie müssen das globaler sehen. Durch das Absetzen des Staubes auf den Büchern hat dessen Unordnung in der Welt insgesamt zugenommen.«
Sie wollte einhaken, er ließ es aber nicht zu.
»Wir können putzen, so oft wir wollen, immer wieder wird sich Staub ablagern, selbst wenn wir ein Zimmer nicht betreten. Denn die Unordnung nimmt immer zu. Es ist zwar nicht unmöglich, dass sämtliche Staubpartikel in einem Zimmer durch das Schlüsselloch verschwinden, doch statistisch gesehen ist das extrem unwahrscheinlich. Schade eigentlich. Bis dieser Zustand der Ordnung hergestellt ist, muss man viel länger warten, als das beobachtbare Universum existiert.«
Beeindruckend, welche Überlegungen er anstellt, dachte sie. Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, dass sich alle Staubpartikel durch das Schlüsselloch wieder verkrümeln? Sie hätte das für unmöglich gehalten. Er hielt das nur für unwahrscheinlich, allerdings für extrem unwahrscheinlich.
Wieder der Begriff der Wahrscheinlichkeit, mit dem er sie konfrontierte, dieser … dieser Wahrscheinlichkeitsjunkie. Sie lächelte. Diese Charakterisierung gefiel ihr. Offensichtlich war er Statistiker oder hatte einen ähnlich langweiligen Beruf.
Sie wusste gar nichts über ihn. Ein unmöglicher Zustand. Aber wahrscheinlich ergab sich bald die Möglichkeit, ihn etwas auszufragen. Sie lächelte. Vielleicht bekam sie auch ohne direkte Frage mehr über ihn heraus. Und listig, wie sie meinte, fragte sie ihn: »Und wie kann man die Wahrscheinlichkeit berechnen?«
»Zunächst ganz einfach, bei komplexen Vorgängen helfen dann statistische Betrachtungen«, antwortete er. Sie triumphierte. Im Berufe raten war sie immer gut gewesen.
Er bekam von ihrem Gefühlsausbruch nichts mit. Mit ihrem Einwurf verband er eine ganz andere Wahrnehmung: »Sie werden gleich sehen, dass uns die Frage nach der Berechnung der Wahrscheinlichkeit enorm weiterbringt, weil wir genauer verstehen werden, wie sich die Welt in Richtung Zukunft entwickelt. Ein vertieftes Verständnis dafür hilft uns, zu begreifen, was es bedeutet, wenn wir diesen Vorgang wieder rückgängig machen wollen, um in die Vergangenheit zu gelangen.
Also, worum geht es? Es geht darum, dass das Fortschreiten der Gegenwart durch die Grundsätze der Wahrscheinlichkeit bestimmt wird, wenn es aus dem Bereich der möglichen Geschehensabläufe einer Möglichkeit gelingt, den Sprung in die Realität zu vollführen, wie wir besprochen haben. Und die Wahrscheinlichkeit kann man berechnen, wenn man sie in Beziehung zur maximalen Unordnung setzt.«
Er machte eine kurze Pause, um den letzten Satz wirken zu lassen. Sie schaute zunächst etwas verdutzt, aber nicht lange.
»Wie sind Wahrscheinlichkeit und Unordnung verknüpft?«, fuhr er fort. »Eigentlich ist die Beziehung ganz banal, und sie ist uns bewusster, als wir gemeinhin annehmen. Denn je größer die Unordnung ist, umso unwahrscheinlicher wird es, dass wir einen bestimmten Gegenstand finden. Oder anders gesagt: Wenn die Anzahl der Möglichkeiten steigt, die als Nächstes passieren können, dann nimmt die Wahrscheinlichkeit ab, dass genau eine bestimmte Möglichkeit als Nächstes realisiert wird.«
Das kam überraschend, war aber irgendwie simpel. Wer Ordnung liebt, ist nur zu faul zum Suchen, dachte sie. Und unwahrscheinliche Dinge passieren eben selten. Aber bestimmt war das noch nicht alles an Erklärung, wenn er so bedeutungsvoll schaute. Die Sätze schienen eine fundamentale Bedeutung zu haben, was ihr bislang entgangen war. Das wirklich Fundamentale kam auch gleich.
»Man