Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch
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Ihr gefiel es, wie er die Alltagsgrößen aus ihrer Umwelt, wie Temperatur und Druck, mit der für sie neuen Sichtweise so anschaulich und nachvollziehbar beschreiben konnte. Es ging ihr nicht mehr nur um die Zeit. Jetzt ging man den Dingen wirklich auf den Grund. Sie hatte das Gefühl, der atomare Blickwinkel könnte auch ihr Verständnis von der Welt runderneuern.
Momentan war man aber noch beim Zustand des vor ihr stehenden Getränkes. »Die Welt besteht aber nicht nur aus Wasser«, stellte sie lapidar fest.
»Ja«, sagte er, »es gibt auch Cola und Red Bull …«
Sie lächelte milde und präzisierte ihre Frage: »Mir ging es um etwas Anderes. Wofür hilft uns diese atomare Sichtweise?«
»Sie gibt uns einen Zugang zum tieferen Verständnis allen Seins.«
Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht.
»Verlassen wir jetzt kurzzeitig die Getränke«, sagte er. »Stellen wir uns zur Illustration ein Behältnis vor, das mit idealem Gas gefüllt werden soll. Das Behältnis ist in der Mitte durch eine Zwischenwand getrennt. Die Zwischenwand hat einen Spalt, der aber zu Beginn unseres kleinen Experiments geschlossen ist. Wir füllen das Gas in den linken Teil des Behältnisses ein und öffnen dann den Spalt. Was passiert?«
»Nun, ich denke, einige Teilchen werden den Spalt treffen und auf die rechte Seite wechseln, wieder andere werden zurück von der rechten auf die linke Seite wechseln.«
»Völlig zutreffend. Irgendwann werden die Teilchen einigermaßen verteilt in der linken und in der rechten Seite des Behältnisses aufzufinden sein.
Im Rahmen einer statistischen Betrachtung …«, (sie triumphierte wieder einmal innerlich), »kann man nun der Frage nachgehen, wie viele Möglichkeiten es für die Anordnung der Teilchen in den beiden Hälften gibt, unter der Annahme, dass die Teilchen sich frei bewegen können, also keinen sonstigen Kräften unterworfen sind.23
Bei einem Teilchen gibt es nur eine Möglichkeit, da gibt es nur einen Mikrozustand. Üblicherweise gibt es aber viele, sehr viele Teilchen. In unserer Welt würde ich mir nun die Gesamtzahl der Teilchen anschauen, die sich in der linken oder in der rechten Seite des Behältnisses befinden, und mich nicht darum kümmern, welche Teilchen wo sind. Anders bei der Betrachtung auf der Mikroebene. Dort bestimme ich jede Kombination für die Verteilung der Teilchen und suche nach der Zahl der für die Teilchen zugänglichen Zustände.
Man kann nun ausrechnen, wie viele verschiedene Mikrozustände, also wie viele verschiedene Anordnungen der Teilchen, zu einem Makrozustand gehören24, zu dem Zustand, den wir anhand von Messungen der uns bekannten Kenngrößen, wie Temperatur und Druck, als einen Zustand ansehen würden. Nein«, sagte er und machte eine längere Pause.
»Ausrechnen trifft es nicht ganz. Um die Eigenschaften eines ganzen Komplexes sehr vieler Systeme zu berechnen, wurde eine extra Wissenschaft entwickelt, die statistische Mechanik«, und er hielt kurz inne, »denn die Berechnung nur eines einzigen Koordinatensatzes würde so viele Bücher füllen, wie in 1014, also in 100 Billionen Universitätsbibliotheken passen.«
Kosmische Größenordnungen
Anschaulich ist, woran man sich gewöhnt hat.
Ludwig Boltzmann,
Physiker
Hatte sie richtig gehört? Er sprach von 100 Billionen Universitäts-Bibliotheken?25 Die Größe der Zahl verblüffte sie.
»Wobei helfen so viele Mikrozustände?«, wollte sie wissen.
»Unter dem Blickwinkel der unglaublich vielen Mikrozustände haben wir die Möglichkeit, einen Zustand in unserer Welt sehr viel genauer zu beschreiben«, antwortete er. »Wenn wir jetzt die detaillierte Beschreibung von einem Zustand mit der eines anderen Zustandes vergleichen, können wir die Wahrscheinlichkeit des Wechsels von einem Zustand in einen anderen bestimmen. Die Tiefenanalyse der verschiedenen Zustände und ein Vergleich der Zustände untereinander gibt uns den Schlüssel für die wahrscheinliche Entwicklung der Welt.«
Sie war fasziniert, wie er von den verschiedenen Mikrozuständen die mögliche Zukunftsentwicklung ableiten wollte, und bat ihn: »Können Sie das mit einem Beispiel verdeutlichen?«
»Ja, gerne. Sie werden so den Vorgang des Eisschmelzens besser verstehen.
Nehmen wir an, Sie haben zwei Gefäße jeweils mit einem Liter Wasser gefüllt. In dem einen Gefäß beträgt die Wassertemperatur 10,5 Grad Celsius und in dem anderen 9,5 Grad Celsius.26 Wenn Sie jetzt die beiden in Verbindung bringen, was passiert dann?«
»Ich nehme an, das Wasser in den beiden Gefäßen wird nach einiger Zeit eine Temperatur von zehn Grad Celsius haben. Unterschiedliche Temperaturen gleichen sich an. Eigentlich ist nicht viel passiert, aber …« Sie war vorsichtig geworden. Ihr Gefühl täuschte sie nicht.
»Absolut richtig. Aus unserer Sicht ist nicht viel passiert. Die Temperatur des Wassers in dem einen Gefäß ist um ein halbes Grad gesunken, in dem anderen um ein halbes Grad gestiegen. In der Summe bleibt das gleich, sollte man meinen. Weit gefehlt«, sagte er und machte eine bedeutungsvolle Pause.
»Im Mikrozustand sind immense Änderungen passiert, in geradezu astronomischen Ausmaßen. Denn die Anzahl der Mikrozustände nach der Angleichung der Temperatur auf zehn Grad Celsius in beiden Gefäßen ist um eine Zahl, die etwa 420 Stellen vor dem Komma hat, größer als die Anzahl der Zustände in beiden Gefäßen am Anfang.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Das ist eine unglaublich große Zahl.«
»Dessen bin ich mir angesichts der Diskussion gestern Abend wohl bewusst«, sagte sie, wobei sie ihr Erstaunen erst gar nicht verbergen wollte.
»Das glaube ich nicht« – sie wollte gerade protestieren, da hatte er schon weitergeredet –, »aber ich will Ihnen die Größe der Zahl verdeutlichen. Nehmen wir einmal an, Sie wollten die Ziffer mit den 420 Stellen einfach nur auf einen Zettel schreiben. Eine Ziffer neben der anderen. Wie lange wäre der Papierstreifen, wenn Sie die Ziffer ausgeschrieben hätten?«
»…« Sie schwieg.
»Um die Zahl auszuschreiben, würden Sie einen Papierstreifen benötigen, der circa 70.000 Mal von der Erde bis zur Sonne und wieder zurück reicht.«
Er hatte recht gehabt. Dieser Vergleich übertraf bei Weitem ihre Vorstellungen, die sie von dieser Zahl gehabt hatte.
»Der Vorgang, den wir beobachtet haben, war kaum der Rede wert«, fuhr er fort, »die Vorgänge auf der Ebene der kleinen Teilchen schon. Die Anzahl der Mikrozustände ist ungeheuer angestiegen, obwohl wir nur die Temperatur von je einem Liter Wasser um ein halbes Grad Celsius verändert haben. Selbst minimale Veränderungen