Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch
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Sie dachte an die kleine Tochter ihrer Freundin, der man keine größere Freude bereiten konnte, als einen Turm aus Bauklötzchen zu bauen, den sie dann mit einer gekonnten Bewegung zum Einstürzen brachte. Aber es würde auch anders gehen. Man könnte den Turm genau in der Reihenfolge wieder abbauen, wie man ihn aufgebaut hatte. Bauklötzchen für Bauklötzchen, Stück um Stück zurück in der Zeit. Eigentlich ganz einfach, oder zu simpel? Und wenn das nicht von selbst funktionierte, könnte man ja mit entsprechendem Energieaufwand ein wenig nachhelfen. Energie gab es ja genug. Die Energie der Welt war konstant. Sie lächelte.
Besonders beeindruckt hatte sie die Darstellung der Exponentialfunktionen und die damit einhergehenden Beispiele. Wie unglaublich steil die Zahlen anwachsen, wenn die hochgestellte Zahl nur um eins erhöht wird.
Als die Bedienung kam und das Wasser mit Eis brachte, betrat auch er den Raum, lächelte sie an, sodass ihr Blutdruck einen kleinen Hüpfer machte, und bestellte bei der Bedienung einen Espresso.
»Wie geht es Ihnen heute?«, wollte er wissen.
»Ach, ich habe keine guten Nachrichten. Die Polizei war heute Morgen da. Mein Unfallgegner ist verletzt und gibt mir die Schuld am Unfall. Aber ich will nicht jammern. Dass jemand beim Unfall verletzt werden könnte, war sicherlich nicht unwahrscheinlich.«
»Das tut mir leid«, sagte er und meinte es ehrlich. »Mir macht die aufziehende Schlechtwetterfront Sorgen.« Er erklärte nicht, warum er Sorgen wegen des Wetters hatte, sie wagte auch nicht, zu fragen. Eine Anspielung auf seine medizinische Behandlung wäre zu privat gewesen. Soweit wollte sie nicht gleich gehen. Vermutlich war er wetterfühlig oder so etwas Ähnliches.
»Die Frage, ob vergangene Ereignisse für ewig so bleiben müssen, hat daher für mich an Aktualität gewonnen«, sagte sie und konfrontierte ihn gleich mit ihren zwischenzeitlichen Überlegungen und den sich daraus entwickelten Fragen: »Ich habe verstanden, dass die Wärmeenergie ständig zu Lasten der anderen Energien zunimmt und dadurch die Unordnung im Universum steigt, weil die kleinen Teilchen in der Wärmesuppe nur noch unkontrolliert hin und her wabern und keine Kraft mehr für eine geordnete Energieentwicklung haben. Doch ist das mehr als nur ein schönes Bild? Ist das wirklich die Realität? Ihre Beispiele schienen mir wirklich weit hergeholt zu sein.«
Jetzt schmunzelte er innerlich. Von wegen weit hergeholt. Er hatte noch ganz andere Beispiele parat.
Sie war aber noch nicht fertig mit ihren Fragen: »Sie haben die Zunahme der Unordnung in Beziehung dazu gesetzt, dass die Zeit ständig voranschreitet. Doch die Zeit soll auch umgekehrt wieder die Ordnung herstellen können, wenn man sie nur lange genug machen lässt? Ist die Zeit ein Alleskönner? Kann sie sich sogar erfolgreich gegen die Funktionsweise des Universums wehren?«
Sie holte tief Luft. »Wenn sich aber ein gegenwärtiger Zustand ohne unser Zutun in der Zukunft verändern kann und das auch noch gegen jedwedes kosmische Prinzip, warum, um alles in der Welt, soll uns dann der Gang in vergangene Zeiten verwehrt sein? Den Weg in die Vergangenheit kenne ich doch schon aufgrund des Kausalprinzips, wie Sie erklärt haben. Also muss ich die bekannten Ereignisse einfach nur analysieren und rückwärts aufdröseln. Wie wenn man einen Film rückwärtslaufen lässt. Das mag vielleicht Energie kosten, aber davon haben wir doch genug.
Ergo: Warum ist das alles so, wie Sie es beschrieben haben? Und was passiert bei den beschriebenen Prozessen? Oder noch anders gewendet und vielleicht viel globaler, grundlegender: Woher kommen die beschriebenen Phänomene, wo ist deren Ursprung, warum gibt es sie heute, und wohin führt das Ganze?«
»Sehr kluge Fragen«, begann er, »ich will Ihnen gerne erklären, wie das Universum funktioniert. Verfolgen wir einmal Ihren Ansatz und bestimmen die Ereignisse in dem Punkt in der Vergangenheit, den wir erreichen wollen.«
»Ja, und bitte nur bezogen auf meine Person und nicht gleich auf den ganzen Kosmos«, warf sie ein. »Dann müsste es doch nicht so kompliziert sein, in die Zeit vor meinen Unfall zu gelangen.«
»Im Prinzip ist das richtig«, sagte er und ließ sich auf diese Diskussion ein. »Wenn wir wirklich in die Zeit vor den Unfall gelangen wollen, sollten wir uns vielleicht einmal näher anschauen, was unmittelbar vor dem Unfall passiert ist, und zwar ausschließlich in der Region, in der Sie und Ihr Unfallgegner sich aufgehalten haben.
Was können wir da feststellen? Zunächst ist die eine, von Ihnen ausgelöste und beeinflusste Kausalkette zum Unfall zu berücksichtigen, indem Sie zu einer bestimmten Zeit aufgestanden, das Fahrzeug gestartet, etwas später auf die Autobahn eingebogen sind und schließlich den Unfallort zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht haben. Eine weitere Kausalreihe betrifft selbstredend Ihren Unfallgegner.
Es sind aber nicht nur diese ursächlichen Vorgänge zu beachten. Es hat ja auch geregnet, also muss der Regen irgendwie ausgelöst worden sein, der Straßenbelag hatte aufgrund der verwendeten Materialien und der Dauer seiner bisherigen Benutzung eine bestimmte Beschaffenheit, die durch das Regenwasser weiter verändert wurde. Nicht zuletzt waren Ihre Aufmerksamkeit und die des anderen Fahrers beeinflusst von irgendwelchen Gedanken in Ihren Gehirnen, davon, was Sie über den Tag getan, gegessen oder nicht gegessen hatten, kurzum von der biologischen Beschaffenheit aller ›Ihrer Teile‹.
Wenn Sie jetzt den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Zusammenstoß genauer betrachten, werden Sie feststellen, dass für die Bestimmung des Zustandes in einem bestimmten Moment unheimlich viele Dinge gleichzeitig zu berücksichtigen sind, die alle eine selbständige Kausalreihe haben. Ganz viele Kausalketten laufen aufeinander zu, bevor ein bestimmtes Ereignis stattfindet.
Doch dürfen wir bei der Untersuchung der Geschehnisse nicht vergessen, dass in jedem Moment noch sehr viel mehr passiert, als wir wahrnehmen oder jemals werden wahrnehmen können. Ich meine damit nicht nur das Verhalten von anderen Lebewesen, die durchaus Einfluss auf das Geschehen in unserer Welt haben können, wie der berühmte Flügelschlag des Schmetterlings zeigt, der einen Hurrikan auslösen kann.
Eine Analyse des Zustandes in einem Moment wäre aber unvollständig, wenn sie nicht berücksichtigen würde, dass die Welt aus Molekülen, Atomen und aus deren subatomaren Bestandteilen, also aus ganz kleinen Teilchen besteht, deren Verhalten ebenso Einfluss auf unser Geschehen nimmt. Wir müssen tiefer in die Materie gehen, um unser Bild von einem Zustand der Welt zu einem Zeitpunkt zu vervollständigen.
Das ist aber noch nicht alles. Wir müssen auch den Mechanismus verstehen, wie die Gegenwart voranschreitet in die Zukunft, wie sich also ein – näher analysierter – Zustand in einem Zeitpunkt zu einem anderen Zustand im nächsten Zeitpunkt entwickelt. Wenn wir tatsächlich das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen, müssen wir das Rad in alle Elemente eines Zustandes exakt einrasten lassen, die Prinzipien entschlüsseln, wie sich das Rad vorwärtsbewegt, um uns anschließend der Frage zuzuwenden, ob das Ganze auch in umgekehrter Richtung geht.
Die Grundprinzipien hierzu haben wir schon besprochen. Die Zukunft ist offen, es gibt in jedem Moment verschiedene Möglichkeiten, also verschiedene andere Zustände, in die wir uns begeben können. So entwickelt sich unser Leben, so schreitet die Gegenwart voran. Von den vielen möglichen Zuständen, die sich für uns eröffnen, treten wir regelmäßig als Nächstes in den wahrscheinlichsten ein. Also ganz offen ist die Zukunft nicht, sie ist dem Wahrscheinlichkeitsdogma