Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe Klassiker bei Null Papier

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ihr gu­tes An­se­hen mach­te sie zu ei­nem be­mer­kens­wer­ten Bau­werk; auch ist es aus frü­he­rer Zeit bei­na­he das ein­zi­ge Denk­mal je­ner Vor­sor­ge, wel­che die welt­li­che Ob­rig­keit ih­ren Bür­gern schul­dig ist. Der schö­ne Fluss auf- und ab­wärts zog mei­ne Bli­cke nach sich; und wenn auf dem Brücken­kreuz der gol­de­ne Hahn im Son­nen­schein glänz­te, so war es mir im­mer eine er­freu­li­che Emp­fin­dung. Ge­wöhn­lich ward als­dann durch Sach­sen­hau­sen spa­ziert und die Über­fahrt für einen Kreu­zer gar be­hag­lich ge­nos­sen. Da be­fand man sich nun wie­der dies­seits, da schlich man zum Wein­mark­te, be­wun­der­te den Mecha­nis­mus der Kra­ne, wenn Wa­ren aus­ge­la­den wur­den; be­son­ders aber un­ter­hielt uns die An­kunft der Markt­schif­fe, wo man so man­cher­lei und mit­un­ter so selt­sa­me Fi­gu­ren aus­stei­gen sah. Ging es nun in die Stadt her­ein, so ward je­der­zeit der Saal­hof, der we­nigs­tens an der Stel­le stand, wo die Burg Kai­ser Karls des Gro­ßen und sei­ner Nach­fol­ger ge­we­sen sein soll­te, ehr­furchts­voll ge­grüßt. Man ver­lor sich in die alte Ge­werb­stadt und be­son­ders Markt­ta­ges gern in dem Ge­wühl, das sich um die Bar­tho­lo­mäus­kir­che her­um ver­sam­mel­te. Hier hat­te sich, von den frü­he­s­ten Zei­ten an, die Men­ge der Ver­käu­fer und Krä­mer über ein­an­der ge­drängt, und we­gen ei­ner sol­chen Be­sitz­nah­me konn­te nicht leicht in den neu­ern Zei­ten eine ge­räu­mi­ge und hei­te­re An­stalt Platz fin­den. Die Bu­den des so­ge­nann­ten Pfar­rei­sens wa­ren uns Kin­dern sehr be­deu­tend, und wir tru­gen man­chen Bat­zen hin, um uns far­bi­ge, mit gol­de­nen Tie­ren be­druck­te Bo­gen an­zu­schaf­fen. Nur sel­ten aber moch­te man sich über den be­schränk­ten, voll­ge­pfropf­ten und un­rein­li­chen Markt­platz hin­drän­gen. So er­in­ne­re ich mich auch, dass ich im­mer mit Ent­set­zen vor den dar­an­sto­ßen­den en­gen und häss­li­chen Fleisch­bän­ken ge­flo­hen bin. Der Rö­mer­berg war ein de­sto an­ge­neh­me­rer Spa­zier­platz. Der Weg nach der neu­en Stadt, durch die neue Kräm, war im­mer auf­hei­ternd und er­getz­lich; nur ver­dross es uns, dass nicht ne­ben der Lieb­frau­en­kir­che eine Stra­ße nach der Zeil zu ging und wir im­mer den großen Um­weg durch die Ha­sen­gas­se oder die Ka­tha­ri­nen­pfor­te ma­chen muss­ten. Was aber die Auf­merk­sam­keit des Kin­des am meis­ten an sich zog, wa­ren die vie­len klei­nen Städ­te in der Stadt, die Fes­tun­gen in der Fes­tung, die um­mau­er­ten Klos­ter­be­zir­ke näm­lich, und die aus frü­hern Jahr­hun­der­ten noch üb­ri­gen mehr oder min­der burg­ar­ti­gen Räu­me: so der Nürn­ber­ger Hof, das Com­postell, das Braun­fels, das Stamm­haus de­rer von Stall­burg und meh­re­re in den spä­tern Zei­ten zu Woh­nun­gen und Ge­werbs­be­nut­zun­gen ein­ge­rich­te­te Fes­ten. Nichts ar­chi­tek­to­nisch Er­he­ben­des war da­mals in Frank­furt zu se­hen: al­les deu­te­te auf eine längst ver­gang­ne, für Stadt und Ge­gend sehr un­ru­hi­ge Zeit. Pfor­ten und Tür­me, wel­che die Grän­ze der al­ten Stadt be­zeich­ne­ten, dann wei­ter­hin aber­mals Pfor­ten, Tür­me, Mau­ern, Brücken, Wäl­le, Grä­ben, wo­mit die neue Stadt um­schlos­sen war, al­les sprach noch zu deut­lich aus, dass die Not­wen­dig­keit, in un­ru­hi­gen Zei­ten dem Ge­mein­we­sen Si­cher­heit zu ver­schaf­fen, die­se An­stal­ten her­vor­ge­bracht, dass die Plät­ze, die Stra­ßen, selbst die neu­en, brei­ter und schö­ner an­ge­leg­ten, alle nur dem Zu­fall und der Will­kür und kei­nem re­geln­den Geis­te ih­ren Ur­sprung zu dan­ken hat­ten. Eine ge­wis­se Nei­gung zum Al­ter­tüm­li­chen setz­te sich bei dem Kna­ben fest, wel­che be­son­ders durch alte Chro­ni­ken, Holz­schnit­te, wie z. B. den Gravschen von der Be­la­ge­rung von Frank­furt, ge­nährt und be­güns­tigt wur­de; wo­bei noch eine an­de­re Lust, bloß mensch­li­che Zu­stän­de in ih­rer Man­nig­fal­tig­keit und Na­tür­lich­keit, ohne wei­tern An­spruch auf In­ter­es­se oder Schön­heit zu er­fas­sen, sich her­vor­tat. So war es eine von un­sern liebs­ten Pro­me­na­den, die wir uns des Jahrs ein paar­mal zu ver­schaf­fen such­ten, in­wen­dig auf dem Gan­ge der Stadt­mau­er her­um­zu­spa­zie­ren. Gär­ten, Höfe, Hin­ter­ge­bäu­de zie­hen sich bis an den Zwin­ger her­an; man sieht meh­re­ren tau­send Men­schen in ihre häus­li­chen, klei­nen, ab­ge­schlos­se­nen, ver­bor­ge­nen Zu­stän­de. Von dem Putz- und Schau­gar­ten des Rei­chen an den Obst­gär­ten des für sei­nen Nut­zen be­sorg­ten Bür­gers, von da zu Fa­bri­ken, Bleich­plät­zen und ähn­li­chen An­stal­ten, ja bis zum Got­tesa­cker selbst – denn eine klei­ne Welt lag in­ner­halb des Be­zirks der Stadt – ging man zu dem man­nig­fal­tigs­ten, wun­der­lichs­ten, mit je­dem Schritt sich ver­än­dern­den Schau­spiel vor­bei, an dem uns­re kin­di­sche Neu­gier sich nicht ge­nug er­ge­hen konn­te. Denn für­wahr, der be­kann­te hin­ken­de Teu­fel, als er für sei­nen Freund die Dä­cher von Ma­drid in der Nacht ab­hob, hat kaum mehr für die­sen ge­leis­tet, als hier vor uns un­ter frei­em Him­mel, bei hel­lem Son­nen­schein, ge­tan war. Die Schlüs­sel, de­ren man sich auf die­sem Wege be­die­nen muss­te, um durch man­cher­lei Tür­me, Trep­pen und Pfört­chen durch­zu­kom­men, wa­ren in den Hän­den der Zeugher­ren, und wir ver­fehl­ten nicht, ih­ren Su­bal­ter­nen aufs bes­te zu schmei­cheln.

      Be­deu­ten­der noch und in ei­nem an­de­ren Sin­ne frucht­ba­rer blieb für uns das Rat­haus, der Rö­mer ge­nannt. In sei­nen un­tern ge­wöl­b­ähn­li­chen Hal­len ver­lo­ren wir uns gar zu ger­ne. Wir ver­schaff­ten uns Ein­tritt in das große, höchst ein­fa­che Ses­si­ons­zim­mer des Ra­tes. Bis auf eine ge­wis­se Höhe ge­tä­felt, wa­ren üb­ri­gens die Wän­de so wie die Wöl­bung weiß, und das Gan­ze ohne Spur von Ma­le­rei oder ir­gend ei­nem Bild­werk. Nur an der mit­tels­ten Wand in der Höhe las man die kur­ze In­schrift:

       Ei­nes Manns Rede

       Ist kei­nes Manns Rede:

       Man soll sie bil­lig hö­ren Bee­de.

      Nach der al­ter­tüm­lichs­ten Art wa­ren für die Glie­der die­ser Ver­samm­lung Bän­ke rings­um­her an der Ver­tä­fe­lung an­ge­bracht und um eine Stu­fe von dem Bo­den er­höht. Da be­grif­fen wir leicht, warum die Rang­ord­nung uns­res Se­nats nach Bän­ken ein­ge­teilt sei. Von der Türe lin­ker Hand bis in die ge­gen­über­ste­hen­de Ecke, als auf der ers­ten Bank, sa­ßen die Schöf­fen, in der Ecke selbst der Schult­heiß, der ein­zi­ge, der ein klei­nes Tisch­chen vor sich hat­te; zu sei­ner Lin­ken bis ge­gen die Fens­ter­sei­te sa­ßen nun­mehr die Her­ren der zwei­ten Bank; an den Fens­tern her zog sich die drit­te Bank, wel­che die Hand­wer­ker ein­nah­men; in der Mit­te des Saals stand ein Tisch für den Pro­to­koll­füh­rer.

      Wa­ren wir ein­mal im Rö­mer, so misch­ten wir uns auch wohl in das Ge­drän­ge vor den bur­ge­meis­ter­li­chen Au­di­en­zen. Aber grö­ße­ren Reiz hat­te al­les, was sich auf Wahl und Krö­nung der Kai­ser be­zog. Wir wuss­ten uns die Gunst der Schlie­ßer zu ver­schaf­fen, um die neue, heitre, in Fres­ko ge­mal­te, sonst durch ein Git­ter ver­schlos­se­ne Kai­ser­trep­pe hin­auf­stei­gen zu dür­fen. Das mit Pur­pur­ta­pe­ten und wun­der­lich ver­schnör­kel­ten Gold­leis­ten ver­zier­te Wahl­zim­mer flö­ßte uns Ehr­furcht ein. Die Tür­stücke, auf wel­chen klei­ne Kin­der oder Ge­ni­en, mit dem kai­ser­li­chen Or­nat be­klei­det, und be­las­tet mir den Reichs­in­si­gni­en, eine gar wun­der­li­che Fi­gur spie­len, be­trach­te­ten wir mit großer Auf­merk­sam­keit und hoff­ten wohl auch noch ein­mal eine Krö­nung mit Au­gen zu er­le­ben. Aus dem großen Kai­ser­saa­le konn­te man uns nur mit sehr vie­ler Mühe wie­der her­aus­brin­gen, wenn es uns ein­mal ge­glückt war, hin­ein­zu­schlüp­fen;

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