Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe

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Dichtung und Wahrheit - Johann Wolfgang von Goethe Klassiker bei Null Papier

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wa­ren auch vor­han­den, und er selbst mach­te sich ein Ver­gnü­gen dar­aus, den Keyß­ler und Ne­meiz zu be­rich­ti­gen und zu er­gän­zen. Nicht we­ni­ger hat­te er sich mit den nö­tigs­ten Hilfs­mit­teln um­ge­ben, mit Wör­ter­bü­chern aus ver­schie­de­nen Spra­chen, mit Re­al­le­xi­ken, dass man sich also nach Be­lie­ben Rats er­ho­len konn­te, so wie mit man­chem an­de­ren, was zum Nut­zen und Ver­gnü­gen ge­reicht.

      Die an­de­re Hälf­te die­ser Bü­cher­samm­lung, in sau­bern Per­ga­ment­bän­den mit sehr schön ge­schrie­be­nen Ti­teln, ward in ei­nem be­son­dern Man­sard­zim­mer auf­ge­stellt. Das Nach­schaf­fen der neu­en Bü­cher, so wie das Bin­den und Ein­rei­hen der­sel­ben, be­trieb er mit großer Ge­las­sen­heit und Ord­nung. Da­bei hat­ten die ge­lehr­ten An­zei­gen, wel­che die­sem oder je­nem Werk be­son­de­re Vor­zü­ge bei­leg­ten, auf ihn großen Ein­fluss. Sei­ne Samm­lung ju­ris­ti­scher Dis­ser­ta­tio­nen ver­mehr­te sich jähr­lich um ei­ni­ge Bän­de.

      Zu­nächst aber wur­den die Ge­mäl­de, die sonst in dem al­ten Hau­se zer­streut her­um­ge­han­gen, nun­mehr zu­sam­men an den Wän­den ei­nes freund­li­chen Zim­mers ne­ben der Stu­dier­stu­be, alle in schwar­zen, mit gol­de­nen Stäb­chen ver­zier­ten Rah­men, sym­me­trisch an­ge­bracht. Mein Va­ter hat­te den Grund­satz, den er öf­ters und so­gar lei­den­schaft­lich aus­sprach, dass man die le­ben­den Meis­ter be­schäf­ti­gen und we­ni­ger auf die ab­ge­schie­de­nen wen­den sol­le, bei de­ren Schät­zung sehr viel Vor­ur­teil mit un­ter­lau­fe. Er hat­te die Vor­stel­lung, dass es mit den Ge­mäl­den völ­lig wie mit den Rhein­wei­nen be­schaf­fen sei, die, wenn ih­nen gleich das Al­ter einen vor­züg­li­chen Wert bei­le­ge, den­noch in je­dem fol­gen­den Jah­re eben so vor­treff­lich als in den ver­gan­ge­nen könn­ten her­vor­ge­bracht wer­den. Nach Ver­lauf ei­ni­ger Zeit wer­de der neue Wein auch ein al­ter, eben so kost­bar und viel­leicht noch schmack­haf­ter. In die­ser Mei­nung be­stä­tig­te er sich vor­züg­lich durch die Be­mer­kung, dass meh­re­re alte Bil­der haupt­säch­lich da­durch für die Lieb­ha­ber einen großen Wert zu er­hal­ten schie­nen, weil sie dunk­ler und bräu­ner ge­wor­den, und der har­mo­ni­sche Ton ei­nes sol­chen Bil­des öf­ters ge­rühmt wur­de. Mein Va­ter ver­si­cher­te da­ge­gen, es sei ihm gar nicht ban­ge, dass die neu­en Bil­der künf­tig nicht auch schwarz wer­den soll­ten; dass sie aber ge­ra­de da­durch ge­wön­nen, woll­te er nicht zu­ge­ste­hen.

      Nach die­sen Grund­sät­zen be­schäf­tig­te er meh­re­re Jah­re hin­durch die sämt­li­chen Frank­fur­ter Künst­ler: den Ma­ler Hirt, wel­cher Ei­chen- und Bu­chen­wäl­der und an­de­re so­ge­nann­te länd­li­che Ge­gen­den sehr wohl mit Vieh zu staf­fie­ren wuss­te; des­glei­chen Traut­mann, der sich den Rem­brandt zum Mus­ter ge­nom­men und es in ein­ge­schlos­se­nen Lich­tern und Wi­der­schei­nen, nicht we­ni­ger in ef­fekt­vol­len Feu­ers­brüns­ten weit ge­bracht hat­te, so­dass er eins­tens auf­ge­for­dert wur­de, einen Pend­ant zu ei­nem Rem­brand­ti­schen Bil­de zu ma­len; fer­ner Schütz, der auf dem Wege des Sacht­le­ben die Rhein­ge­gen­den flei­ßig be­ar­bei­te­te; nicht we­ni­ger Jun­ckern, der Blu­men- und Frucht­stücke, Still­le­ben und ru­hig be­schäf­tig­te Per­so­nen nach dem Vor­gang der Nie­der­län­der sehr rein­lich aus­führ­te. Nun aber ward durch die neue Ord­nung, durch einen be­que­mern Raum und noch mehr durch die Be­kannt­schaft ei­nes ge­schick­ten Künst­lers die Lieb­ha­be­rei wie­der an­ge­frischt und be­lebt. Die­ses war See­katz, ein Schü­ler von Brin­ck­mann, darm­städ­ti­scher Hof­ma­ler, des­sen Ta­lent und Cha­rak­ter sich in der Fol­ge vor uns um­ständ­li­cher ent­wi­ckeln wird.

      Man schritt auf die­se Wei­se mit Vollen­dung der üb­ri­gen Zim­mer, nach ih­ren ver­schie­de­nen Be­stim­mun­gen, wei­ter. Rein­lich­keit und Ord­nung herrsch­ten im gan­zen; vor­züg­lich tru­gen große Spie­gel­schei­ben das Ih­ri­ge zu ei­ner voll­kom­me­nen Hel­lig­keit bei, die in dem al­ten Hau­se aus meh­rern Ur­sa­chen, zu­nächst aber auch we­gen meist runder Fens­ter­schei­ben ge­fehlt hat­te. Der Va­ter zeig­te sich hei­ter, weil ihm al­les gut ge­lun­gen war; und wäre der gute Hu­mor nicht manch­mal da­durch un­ter­bro­chen wor­den, dass nicht im­mer der Fleiß und die Ge­nau­ig­keit der Hand­wer­ker sei­nen For­de­run­gen ent­spra­chen, so hät­te man kein glück­li­che­res Le­ben den­ken kön­nen, zu­mal da man­ches Gute teils in der Fa­mi­lie selbst ent­sprang, teils ihr von au­ßen zu­floss.

      Durch ein au­ßer­or­dent­li­ches Wel­ter­eig­nis wur­de je­doch die Ge­müts­ru­he des Kna­ben zum ers­ten Mal im tiefs­ten er­schüt­tert. Am 1. No­vem­ber 1755 er­eig­ne­te sich das Erd­be­ben von Lissa­bon und ver­brei­te­te über die in Frie­den und Ruhe schon ein­ge­wohn­te Welt einen un­ge­heu­ren Schre­cken. Eine große präch­ti­ge Re­si­denz, zu­gleich Han­dels- und Ha­fen­stadt, wird un­ge­warnt von dem furcht­bars­ten Un­glück be­trof­fen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schif­fe schla­gen zu­sam­men, die Häu­ser stür­zen ein, Kir­chen und Tür­me dar­über her, der kö­nig­li­che Palast zum Teil wird vom Mee­re ver­schlun­gen, die ge­bors­te­ne Erde scheint Flam­men zu spei­en, denn über­all mel­det sich Rauch und Brand in den Rui­nen. Sech­zig­tau­send Men­schen, einen Au­gen­blick zu­vor noch ru­hig und be­hag­lich, ge­hen mit­ein­an­der zu Grun­de, und der Glück­lichs­te dar­un­ter ist der zu nen­nen, dem kei­ne Emp­fin­dung, kei­ne Be­sin­nung über das Un­glück mehr ge­stat­tet ist. Die Flam­men wü­ten fort, und mit ih­nen wü­tet eine Schar sonst ver­bor­gner, oder durch die­ses Er­eig­nis in Frei­heit ge­setz­ter Ver­bre­cher. Die un­glück­li­chen Üb­rig­ge­blie­be­nen sind dem Rau­be, dem Mor­de, al­len Miss­hand­lun­gen bloß­ge­stellt; und so be­haup­tet von al­len Zei­ten die Na­tur ihre schran­ken­lo­se Will­kür.

      Schnel­ler als die Nach­rich­ten hat­ten schon An­deu­tun­gen von die­sem Vor­fall sich durch große Land­stre­cken ver­brei­tet: an vie­len Or­ten wa­ren schwä­che­re Er­schüt­te­run­gen zu ver­spü­ren, an man­chen Quel­len, be­son­ders den heil­sa­men, ein un­ge­wöhn­li­ches In­ne­hal­ten zu be­mer­ken ge­we­sen; um de­sto grö­ßer war die Wir­kung der Nach­rich­ten selbst, wel­che erst im All­ge­mei­nen, dann aber mit schreck­li­chen Ein­zel­hei­ten sich rasch ver­brei­te­ten. Hier­auf lie­ßen es die Got­tes­fürch­ti­gen nicht an Be­trach­tun­gen, die Phi­lo­so­phen nicht an Trost­grün­den, an Straf­pre­dig­ten die Geist­lich­keit nicht feh­len. So vie­les zu­sam­men rich­te­te die Auf­merk­sam­keit der Welt eine Zeit lang auf die­sen Punkt, und die durch frem­des Un­glück auf­ge­reg­ten Ge­mü­ter wur­den durch Sor­gen für sich selbst und die Ih­ri­gen umso mehr ge­ängs­tigt, als über die weit­ver­brei­te­te Wir­kung die­ser Ex­plo­si­on von al­len Or­ten und En­den im­mer meh­re­re und um­ständ­li­che­re Nach­rich­ten ein­lie­fen, viel­leicht hat der Dä­mon des Schre­ckens zu kei­ner Zeit so schnell und so mäch­tig sei­ne Schau­er über die Erde ver­brei­tet.

      Der Kna­be, der al­les die­ses wie­der­holt ver­neh­men muss­te, war nicht we­nig be­trof­fen. Gott, der Schöp­fer und Er­hal­ter Him­mels und der Er­den, den ihm die Er­klä­rung des ers­ten Glau­bens­ar­ti­kels so wei­se und gnä­dig vor­stell­te, hat­te sich, in­dem er die Ge­rech­ten mit den Un­ge­rech­ten glei­chem Ver­der­ben preis­gab, kei­nes­wegs vä­ter­lich be­wie­sen. Ver­ge­bens such­te das jun­ge Ge­müt sich ge­gen die­se Ein­drücke

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