Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
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Читать онлайн книгу Extra Krimi Paket Sommer 2021 - A. F. Morland страница 71
Das Motel hatte geöffnet, die junge Frau an der Rezeption gähnte verstohlen und betrachtete sie abschätzig. » Nein, kein Zimmer, brummte Rogge und freute sich über ihre Verwirrung, aber ein Frühstück, und zwar ein gewaltiges.«
»Ja, ja, natürlich - dort, im Restaurant.«
Sie plünderten das Buffet, als würden morgen die sieben biblischen mageren Jahre anbrechen, und Charlotte Zinneck langte zu, als habe sie seit einer Woche gehungert.
Nach der Arbeit in der Bäckerei war sie mit dem Bus zum Bahnhof gefahren und hatte sich einfach in einen Zug gesetzt. Ohne Fahrkarte, sie hatte nicht einmal gewusst, wohin der Zug fuhr. In Rollesheim war sie aus gestiegen, weil im Nebenwagen ein Schaffner kontrollierte, und hatte sich die billigste Pension im Ortszentrum gesucht. Um drei Nächte bezahlen zu können, hatte sie tatsächlich auf Mittag- und Abendessen verzichten müssen, vor allem, nachdem sie diese scheußliche, aber warme Jacke gekauft hatte.
»Schönborn hätte Ihnen doch geholfen - oder?«
»Sicher«, erwiderte sie so kurz, dass er aufhorchte.
»Werden Sie ihn anrufen?«, forschte er.
Darauf antwortete sie nicht, er sah förmlich, wie ein Vorhang vor ihrem Gesicht niederging, und widmete sich leise seufzend wieder seinem Teller. Auch sie schwieg, bis er ihr sein Zigarettenpäckchen hinhielt.
»Danke. Erst ein Loch im Magen und jetzt platze ich.«
»Dagegen kenne ich ein hervorragendes Mittel.«
»Ja?« Sie lächelte, sparsam, aber immerhin, und wich seinem Blick nicht aus.
»Ein großer, langer Spaziergang.«
Nach einer Weile nickte sie versonnen: »Ja, Sie haben Recht, ich möchte mich bewegen.«
Rund um den See gab es einen bequemen Weg, den sie zu dieser frühen Stunde für sich allein hatten. Nach zehn Minuten spürte Rogge die nasse Kühle nicht mehr. »Also, Frau Zinneck, Lebensrettung und Frühstück haben ihren Preis.«
»Damit geht’s schon los. Ich heiße nicht Zinneck.«
»Nein?«
»Nein.« Sie stöhnte so tief, dass er trotz seiner Spannung lachen musste. »Nein, ich heiße Charlotte Bongartz.«
»Das fängt ja gut an«, lästerte er, weil er nicht wollte, dass sich ihre düstere Stimmung festsetzte.
»Und es wird noch besser. Es ist nämlich eine lange, unglaubliche Geschichte.«
»Darauf bin ich geeicht.«
»Hoffentlich. Ich bin achtunddreißig Jahre alt, Herr Rogge. Ein Einzelkind aus steinreichem Hause, wie man so schön sagt. Mein Vater ist kurz vor meinem Abitur gestorben, meine Mutter, als ich fünfundzwanzig Jahre alt war, und danach war ich eine reiche Erbin. Sehr wohlhabend sogar. So reich, dass ich nicht arbeiten musste und Nürnberg verlassen habe. Für immer. Ich bin nach Frankreich gegangen und habe mir ein Häuschen in der Nähe von Cannes gekauft.« Nach einer kleinen Pause setzte sie verschlossen hinzu: »Und aus vielen Gründen alle Fäden zu meiner Vergangenheit gekappt.«
Rogge unterbrach sie nicht, sie wollte es eben auf ihre Art erzählen.
»In Cannes habe ich eine Französin kennen gelernt, die eine Keramikwerkstatt betrieb, dort bin ich später Teilhaberin geworden. In dem Geschäft habe ich einen Deutschen getroffen und nach zwölf Monaten haben wir geheiratet. Das war vor ziemlich genau vier Jahren.«
Die beiden letzten Sätze hatte sie so schnell und trotzig herausgestoßen, dass Rogge sich seinen Teil dachte, aber nur stumm nickte.
»Hans Zinneck hieß er.« Sie legte den Kopf herausfordernd schräg, aber den Gefallen, eine Frage zu stellen, tat Rogge ihr nicht.
»Zinneck arbeitete für eine internationale Investmentfirma in Marseille und verdiente ein Schweinegeld.«
Ein Schweinegeld. Sprache war verräterisch, sinnierte er, aber damals, als sie ihn heiratete, hatte sie daran keinen Anstoß genommen. Reicher Mann verliebt sich in schöne, reiche Frau.
»Einen Monat nach unserer Heirat sind wir aus Cannes weggezogen.«
»Und wohin?«
»Zuerst nach Frankfurt. Dann nach München, nach Stuttgart, Hamburg, Berlin, Hannover.«
»Etwas viel Umzüge für drei Jahre, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie ...? - Ach so, ja. Völlig richtig. So viele, dass ich - unruhig wurde.« Sie kickte zwei Kiefernzapfen zur Seite. »Es waren nämlich keine Umzüge, Herr Rogge.«
»Sondern?«
»Von einem möblierten Haus in das andere. Oder auch in Hotels. Apartmenthäuser. In den drei Jahren meiner Ehe waren wir praktisch immer auf Achse.«
»Aus beruflichen Gründen?«
»Das hat Hans Zinneck mir einzureden versucht und zu Anfang hab ich ihm das auch geglaubt. Bis mir der schreckliche Verdacht kam, er sei auf der Flucht.«
»Auf der Flucht?«, wiederholte Rogge verblüfft. »Vor wem denn?«
»Das wollte er nicht verraten. Wissen Sie, vor der Hochzeit, in Cannes, war er - gesellig, ging gerne auf Partys, machte allen möglichen Spaß mit, feierte, hatte Freunde, ließ fünf auch mal gerade sein, und wenn er Lust hatte, flogen wir mal eben nach Paris oder London oder Rom.«
»Aber danach ...«
»Veränderte er sich. Und zwar rapide! Sobald ich irgendwo halbwegs Fuß gefasst hatte, mussten wir wieder los, in eine andere Stadt. Nein, keine Freunde, keine Bekannten, keine Verwandten, Liebe macht wohl blind, aber eines Tages konnte ich wieder scharf sehen.«
»Haben Sie ihn nie zur Rede gestellt?«
»Doch, mehr als einmal. Aber er ist mir immer ausgewichen, hat mich vertröstet und gelogen. Ich konnte es mir nicht erklären ...«
»Also keine andere Frau?«
»Ach was, er war zum Schluss so nervös, dass er auch mit mir nicht mehr geschlafen hat. Und ich - na ja, ich war auch nicht so klug, wie ich hätte sein sollen, ich hab angefangen, zu trinken und Pillen zu schlucken.«
»Rauschgift?«
»Nein, nie. Aber Valium und ähnliches Zeugs. Ich dachte, sonst würde ich zerspringen. Anders hielt ich es nicht mehr aus.«
Alkohol und Diazepam. Rogge grunzte. »Ihr letztes Quartier war in Kassel, in der Beelestraße 11.«
Ihr Mund blieb offen stehen, ihre Augen wurden riesig.
»Jetzt sind Sie noch dran, nachher erzähle ich.«
»Woher wissen Sie ...?«
»Nachher, Frau Bongartz.«