Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
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Читать онлайн книгу Extra Krimi Paket Sommer 2021 - A. F. Morland страница 79
Langsam drehte sich der andere um und entfernte sich, verfiel in einen merkwürdigen Zockeltrab.
»Dein Glück!«, zischte Rogge.
»Was ... was wollen Sie?«
»Erst einmal möchte ich deine Waffe, wenn du eine hast. Und bitte ganz langsam, ich bin sehr nervös.« Seine Stimme zitterte tatsächlich vor Wut.
»Ich habe - ja ...« Unendlich vorsichtig, als könne er jeden Moment einen empfindlichen Zünder berühren, griff der Arrogante unter die Jacke, Rogge drückte die Pistole fester an seine Schläfe, die Hand bewegte sich noch langsamer zurück. Tatsächlich, eine Pistole. Und kein Finger am Abzug.
»Gib mir die Waffe, Hand am Lauf.«
Irgendwo wurde ein Fenster geöffnet, eine Männerstimme rief: »Ist was passiert?«
»Kann jederzeit geschehen«, zischte Rogge leise.
»Soll ich den Notarzt rufen?«
»Der käme zu spät!«, knurrte Rogge und riss dem Arroganten die Waffe aus der Hand, richtete sich auf und trat schnell zwei Schritte zurück, noch immer auf den Liegenden zielend.
Der Zuschauer vergaß seine staatsbürgerliche Pflicht zur Hilfe und staunte über den Livekrimi in seiner Gasse.
»Bleib noch liegen. Ich werde dir eine Quittung für die Waffe geben.«
»Wa...as?« Die Angst hatte den Schmerz betäubt und jetzt siegte die Verblüffung. »Was wollen Sie?«
Die Marke kannte er nicht, ein großes Kaliber, wahrscheinlich neun Millimeter. Einen Besen samt anhängender Putzfrau wollte Rogge fressen, wenn das eine Dienstwaffe war. Der Mann rollte sich herum, um ihn zu beobachten, das Gesicht immer noch vor Schreck und Schmerz verzerrt, aber er wagte nicht aufzustehen.
Rogge steckte die Pistole in eine Jackentasche und holte mit einer Hand mühsam Brieftasche und Kugelschreiber hervor, bückte sich wieder, legte das Ledermäppchen auf das Pflaster, holte eine Visitenkarte heraus und schrieb, immer wieder auf den Arroganten schielend: Quittung über eine 9-mm-Pistole. Lindau, 1. Oktober.
Die Karte legte Rogge vor sich hin, stand auf und zog sich noch weiter zurück.
»Ich rufe die Polizei!«, drohte der Zuschauer nun mit maximaler Lautstärke.
»Nimm die Karte und verschwinde. Du hast ja gehört, gleich kommt die Polizei!«
Auf allen vieren kroch der Typ bis zu der Karte, nahm sie auf, las Vorder- und Rückseite und fletschte die Zähne. Aus hilfloser Wut oder vor Jähzorn?
Rogge zielte unbewegt auf ihn, der Mann steckte die Karte ein und quälte sich hoch, taumelte, aber den Trick hatte Rogge einkalkuliert und war noch drei Schritte zurückgetreten.
»Lieber nicht!«, warnte er.
Damit hatte Rogge ihn wohl endgültig überzeugt, der Arrogante drehte sich um und wankte davon, seinem Kumpel hinterher, der an der nächsten Kreuzung wartete. Zwei Minuten. Die beiden Männer trafen zusammen, drehten sich nach Rogge um, der sich nicht bewegt hatte. Dreißig Sekunden Beratung, dann gondelten sie um die Häuserecke außer Sicht.
Schnell ging Rogge auf seinen Wagen zu; Charlotte hatte sich tief nach unten rutschen lassen und betrachtete ihn aus weit aufgerissenen Augen, totenbleich, vor Angst wie paralysiert.
»Später!« Der Motor gehorchte, Rogge wendete in bester Kavaliersmanier mit kreischenden Reifen und gab Gas; im Rückspiegel sah er zwei Gestalten, der eine hoppelte ungeschickt und kam nicht so schnell voran, wie sein Kumpel wünschte, ihr Auto musste in der Nähe des Zinneck-Häuschens parken, aber sie brauchten zu lange; bis sie ihn verfolgen konnten, war Rogge außer Sicht.
»Wer - wer - was war das?«
Fünf Minuten raste Rogge kreuz und quer durch Seitenstraßen, landete auf einer Landstraße und missachtete Tempo 100. Erst als sie sich einer Kreuzung mit einer Bundesstraße näherten, vor der Lindau/Zentrum angezeigt war, entspannte er sich.
»Ich weiß es nicht«, sagte Rogge, was nur halb gelogen war.
»Haben die auf uns gewartet?«
»Ja und nein.« Mit viel Gas schoss er nach rechts auf die Bundesstraße, der Fahrer hinter ihm bediente virtuos seine Lichthupe. »Nicht speziell auf dich oder mich, aber auf Leute, die sich für Mutter Zinneck interessieren.«
»Warum denn das ?«;
»Um herauszufinden, ob einer die falsche Identität des Hans Zinneck durchschaut hat.«
»War sie denn falsch?«
»Ja. Die Mutter hat mir erzählt, dass ihr Sohn Hans vor zehn Jahren ertrunken ist.«
Nach zwei Minuten flüsterte Charlotte; »Die arme Frau.«
Er schaute starr geradeaus.
Auf der Insel stellte Rogge den Wagen in einem Parkhaus ab. Vielleicht hatten sie sich doch sein Kennzeichen gemerkt und unnütze Risiken sollte man sich ersparen.
Bis zur nächsten Abfahrt der Fähre bummelten sie wortlos durch die Stadt, es war alles gesagt, sie würden sich nicht wieder sehen.
Am Anleger küsste sie ihn flüchtig: »Danke, Jens.«
»Alles Gute.«
An Bord winkte Charlotte ihm noch einmal zu, Rogge hob die Hand und hockte sich auf ein Mäuerchen, bis das Schiff abgelegt und volle Fahrt aufgenommen hatte. Dann warf er die Zigarette fort.
Auf der Autobahn döste Rogge bei einem gemächlichen Tempo vor sich hin. Wer immer diesen Wolfgang Tepper mit falschen Personalpapieren ausgestattet hatte, pokerte hoch, aber mit Umsicht. Eine Legende aufzubauen war gar nicht so leicht, und eine der Hürden bildete die Gefahr, dass sich jemand an dem ausgewählten Geburtsort informierte, ob wirklich an dem angegebenen Tag ein XY dort geboren worden war. Unterstellt, für Tepper waren falsche Papiere benötigt worden - wer machte sich die Mühe, dafür die Personalien plus Universitätsdiplom eines vor zehn Jahren verunglückten Mannes zu besorgen? Wer konnte überhaupt wissen, dass jemand vor so langer Zeit ertrunken war? Irgendein Gauner, der Papiere fälschte? Klang das nicht eher nach einer Behörde, die alles immer ganz genau erledigte? Bürokratisch korrekt? Und wenn das so war - gewann dann Charlottes Behauptung, Wolfgang Tepper/Hans Zinneck habe als V-Mann für den BND gearbeitet, nicht an Glaubwürdigkeit? Und falls Rogge das bejahte: Hieß das nicht auch, dass es tatsächlich eine Liga gab, mit den verrückt-verbrecherischen Zielen, die Charlotte geschildert hatte?
Plötzlich lachte Rogge laut auf. Wie von selbst war er auf einen Parkplatz eingebogen. Er stellte den Karren ordentlich in eine Bucht und stieg aus. Am Himmel jagten dunkle Wolken schnell nach Osten und die Temperatur war fühlbar gesunken. Am Tisch nebenan hatte eine Familie zum Picknick gerüstet, sein Magen knurrte laut.
Wahrscheinlich ungewollt hatte Charlotte ihm ein paar wichtige Anhaltspunkte geliefert. Charlotte Bongartz, 38 Jahre alt, aus einer reichen Nürnberger Familie stammend, der Vater gestorben, als sie etwa 18 oder 19 war, sechs oder sieben Jahre später die Mutter, nach Frankreich verzogen, zum Schluss