Die Muse von Florenz. Manuela Terzi
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Читать онлайн книгу Die Muse von Florenz - Manuela Terzi страница 4
»Es ist unglaublich. Sie lassen den aufgeblasenen Träumer hochleben.« Ihr Vater beschirmte seine Augen mit einer Hand und wies gen Norden. Hinter den mächtigen Stadtmauern warteten Schlangen von Menschen bis über die Hügel nach Prato oder Fiesole. Alle wollten einen Blick auf die Bauarbeiten werfen, von denen man sich überall erzählte. Ein Bauwerk, das alles übertreffen und Florenz zur Königin der Künste machen sollte. »Das nennen sie arbeiten? Faules Pack, das sich dieser Verrückte angelobt hat.«
Juliana folgte dem Blick ihres Vaters und lächelte milde. Es war unerträglich heiß. Sie sehnte sich danach, ihr Tuch abzunehmen und die sanfte Brise auf ihrem Kopf, auf ihrem Gesicht zu spüren, doch das schickte sich nicht. Viele der Arbeiter waren erschöpft in den spärlichen Schatten geflüchtet. Hastig tranken sie kühles Wasser, um sich die Hitze erträglicher zu machen. Sie bissen in frisches Brot und aßen köstlich duftenden Schinken. »Nicht jeder kann sich in die Kühle seines Palazzo zurückziehen und ein Loblied auf den Tag singen«, antwortete Juliana und beobachtete die erschöpften Männer. Unmittelbar neben ihr trat ein breitschultriger Mann aus einem Bretterverschlag hervor. Sein schmutziges Hemd triefte vor Schweiß und roch übel. Verunsichert trat sie einige Schritte zurück.
»Nicht jeder ist so mutig, dem notario zu widersprechen«, flüsterte der Arbeiter mit einem spöttischen Lächeln und deutete eine Verbeugung an. »Schade, dass nicht Ihr an seiner Stelle seid und der Signoria die Augen öffnet, bevor der notario alle ins Verderben stürzt.«
Bevor Juliana etwas sagen konnte, empfahl sich der Mann und sah ihren Vater verärgert an. Obwohl das Verhalten des Fremden unentschuldbar war, konnte sie nicht umhin, über seine Worte nachzudenken. Nicht jeder konnte Vaters Freund oder Fürsprecher sein. Ferdinando Serrati suchte keine Freunde, sondern Bewunderer, die ihm Beifall klatschten und sein Urteil niemals infrage zu stellen wagten. Sie wusste, ihr Vater war in seinen Entscheidungen hart, beinahe grausam. Schließlich vertrat er die Rechte jener, die ihn berufen hatten und darauf beharrten, dass sich der notario nicht vom Glanz Hunderter Gulden blenden ließ. Immerhin verhalf er auch dem einfachen Künstler zu seinem gerechten Lohn, falls ihm dieser von einem launischen Patrizier vorenthalten wurde. Manchmal wurde die Wache gerufen, um ihren Vater zu beschützen. Dennoch schaffte der notario vieles zum Wohle der Stadt, auch wenn das mancher Florentiner anders empfand.
Juliana liefen Tränen über die Wangen. Umringt von Dutzenden Menschen fühlte sie sich allein. Verstohlen wischte sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht und straffte den Rücken. Was immer geschah, sie würde heute das Modell sehen! Assunita würde gewiss vor Neid platzen, wenn Juliana ihr später jedes Detail genau schildern konnte. Meistens erzählte die Freundin, was sie brühwarm in der Bäckerei ihrer Eltern von Gerüchten und Ereignissen in der Stadt erfuhr. Heute war es Juliana, die etwas zu berichten hatte. Mit einem hoffnungsvollen Lächeln wandte sie sich ihrem Vater zu, dessen Aufmerksamkeit sich auf ein neues Ärgernis richtete.
»Gott steh uns bei!«
Hatte nicht ihr Vater, der notario, den Kuppelbau zu beaufsichtigen und hatte er nicht in den Sitzungen des Rats immer wieder das Wort für den capomaestro ergriffen und ihn verteidigt? Woher kam Vaters plötzliche Sorge um das Scheitern des Baumeisters?
»Brunelleschi suhlt sich in Gottes Gnade und wird einem Engel gleich triumphieren«, wiederholte sie jene Worte, die er ihr bis vor Kurzem Abend für Abend gepredigt hatte. Was immer ihren Vater zweifeln ließ, es war zu spät. Die Fortschritte an der cupola ließen sich nicht leugnen, glaubte man den Aussagen von Brunelleschis treuen Gefolgsleuten. Vaters seltsames Verhalten lastete Juliana der schwülen Hitze an. Er verhielt sich jedoch seit Wochen sonderbar, lange bevor es so heiß geworden war, überlegte sie.
»Du hast recht, Liebes. Heute ist nicht der Tag für die Hirngespinste eines alten Mannes. Lass uns endlich sehen, was dir den Schlaf raubt, meine schöne Tochter.« Die dicken Sorgenfalten schienen verschwunden. Er beugte sich über sie und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. »Es wird nicht lange dauern, bis alles einstürzt und du begreifst, dass du närrisch und blind warst«, fügte er hinzu.
Juliana seufzte, endlich stand die lang ersehnte Betrachtung des Modells unmittelbar bevor. Aufgeregt wandte sie sich dem Treiben rund um die Basilika zu. Vergessen war die Beklommenheit, die Vaters Worte in ihr ausgelöst hatten. Sie folgte ihm und zwang sich, kleinere Schritte zu gehen. Ihre Ungeduld kannte keine Grenzen mehr. Die unbändige Freude der Menschen, der Stolz, mit dem sie sich brüsteten, ein solches Bauwerk in ihrer Stadt zu haben, erfasste sie ebenso. Oft hatte sie versucht, sich die vollendete Kuppel vorzustellen, und war am bloßen Gedanken daran gescheitert.
Sie glaubte, dass nur ein Mann ein genaues Bild der cupola im Kopf hatte: Filippo Brunelleschi. Der energische Bauherr war voller Ideen, wenn auch mit einem gewissen Maß an Eigensinn, und er schien allen Widrigkeiten zu trotzen. Er plane die Wölbung aus Mauerwerk und Holz, hatte Juliana von Bernardo erfahren, einem Diener in der Casa Serrati. Der junge Mann mit dem bleichen Gesicht ließ sich von ihrem Lächeln stets zu leicht betören und hatte keine Widerrede gewagt, wenn sie ihn weiter ausgefragt hatte. Zudem hatte sie ihn einmal dabei ertappt, wie er sich in der Küche an den Knöpfen einer Magd zu schaffen gemacht hatte. Bernardos Angst, in Ungnade zu fallen und seine Arbeit zu verlieren, überstieg seine Sorge, ihr Vater könnte von ihren zweifelhaften Tauschgeschäften erfahren. Bernardo war mit einigen der Handwerker befreundet und hörte so manches, was er Juliana über ihre Kinderfrau Maria ausrichten ließ.
Brunelleschis Entwurf, nicht frei von Zweifel und Gefahr, hatte sich in der letzten Zusammenkunft der Signoria, dem Rat der Obersten der Stadt, durchgesetzt. Gegen Vaters Willen, der in dem Gremium als notario für Recht und Ordnung zu sorgen hatte, was beschwerlich und manchmal schwierig war. Der capomaestro verstand jegliche Widerworte gegen sein Meisterstück als Kritik an seiner Person. Das führte zu kleineren oder größeren Auseinandersetzungen zwischen den Anwesenden. Manchmal verlor Brunelleschi derart die Beherrschung, dass man ihn aus Sitzungen im Palazzo della Signoria tragen musste, weil er sich weigerte, den Saal zu verlassen. Ein prachtvoller Saal mit riesigen Gemälden in goldenen Rahmen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte. Sie seufzte leise. Am Kuppelbau spalteten sich wahrhaftig die Gemüter der Florentiner.
Je näher Juliana und ihr Vater der Basilika kamen, desto schlimmer wurde das unsanfte Gedränge. Dicht an dicht standen die Menschen inzwischen vor dem Eingang. Sie reckten ihre Hälse und sahen jenen nach, die mit verklärtem Blick aus dem Portal traten. Das Modell in der Kühle des Domes diente nicht nur dazu, die Neugier vieler zu stillen. Es sollte selbst den ungläubigsten Zweiflern zeigen, warum Brunelleschi den ausgeschriebenen Wettbewerb zu Recht für sich entschieden hatte. Zu hartnäckig waren seine Bemühungen, zu ausgeklügelt seine Pläne, zu stark seine Überzeugung gewesen, den richtigen Weg gefunden zu haben, als dass er hätte abgewiesen werden können.
»Sei nicht enttäuscht, wenn du das Modell heute nicht siehst«, murmelte ihr Vater beschwichtigend. Er fasste sie bei den Schultern und schob sie als schützendes Schild vor sich her durch die Menschenmassen. »Es wäre besser gewesen, dich in der Obhut deiner Kinderfrau zu belassen. Warum nur habe ich zugestimmt?«
Viele hatten den einflussreichen notario inzwischen erkannt. Sie wichen zurück, sodass eine schmale Gasse entstand, die vor dem Seitenportal der Basilika endete. So erreichten sie den Eingang unverhofft rasch. Juliana missfiel die ungewollte Aufmerksamkeit, doch so kurz vor dem Ziel umkehren zu müssen, wäre schrecklicher, als die seltsamen Blicke der Menschen zu ertragen. An der Seite ihres Vaters stehend, focht sie innerlich einen Kampf mit sich aus. Lieber wollte sie der Menge entfliehen und unbeobachtet von Vaters Argusaugen das Modell betrachten. Nicht jeder schien ihnen freundlich gesinnt, doch es gab kein Zurück mehr. Allein, um dieser schweren Arbeit Anerkennung und dem capomaestro den verdienten Respekt zu