Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe
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Mit Absicht erst in Kapitel 8 und 9 findet eine biblische Vergewisserung statt. Die organisationstheoretischen Entfaltungen der vorangestellten Kapitel werden in den Horizont der biblischen Tradition gestellt. Die „Urkunden“ unseres Glaubens bergen als geronnene Lebenserfahrung kritisch-anregendes Potenzial für die Themen moderner Personalentwicklung. Exemplarisch werden drei Texte aus dem Alten Testament ausgewählt, welche in besonderem Maße Deutungsangebote und Handlungsoptionen für individuelle, aber auch gemeinschaftliche Transformationsprozesse aufweisen. Die vorgestellten neutestamentlichen Texte beziehen sich auf das Panorama unterschiedlicher Gemeindeformen des ersten Jahrhunderts und die daraus resultierende Vielfalt divergierender Leitungsstile der jungen Kirche. Alle ausgewählten biblischen Texte werden auf ihre Handlungsoptionen für Personalentwicklung in der Gegenwart befragt. Gegenwärtige Themen kirchlicher Personalentwicklung werden durch die kreative Konfrontation mit biblischen Deutungshorizonten kritisch angefragt und vertieft. Die Texte werden hermeneutisch daraufhin befragt, was sie den Menschen unter Verhältnissen zu sagen haben, in denen Antworten der Vergangenheit nicht mehr die Fragen der Gegenwart und Zukunft beantworten können.
Kapitel 10 bietet Zukunftsperspektiven für das Selbstverständnis von Seelsorgern. Drei neue Leitbilder für die eigene Rolle als Seelsorger legen Spuren aus für eine Pastoral, die sich selbst als Beitrag zur Gestaltung von Veränderung versteht. Drei pastorale Grundtugenden und drei Schlüsselkompetenzen werden erarbeitet, die helfen, eine Pastoral der Zukunft proaktiv zu gestalten.
Ein Schlusswort in Kapitel 11 fasst den Auftrag der Kirche als Arbeitgeber zusammen. Die Kirche als Arbeitsplatz ist ein Raum gemeinschaftlichen Lernens, Versagens und Gestaltens. Die Pastoraltheologie ist als Anwältin der Menschen „Raumpflegerin“, indem sie diese Lern- und Entfaltungsräume auch im Kontext hauptberuflicher Tätigkeit in der Kirche einklagt und eröffnet.
1.3 Eingrenzungen und Entgrenzungen
Personalentwicklungskonzepte müssen maßgenau auf eine Organisation zugeschnitten sein. Deswegen geht es zunächst um Eingrenzung des Themas. Entgrenzungen werden da vorgenommen, wo klassische Konzepte der Personalentwicklung nur einen bestimmten und zu engen Ausschnitt der Organisationskultur in den Blick nehmen. Eine umfassende und strategisch ausgerichtete Förderung des Personals überschreitet die traditionellen Funktionszyklen der Personalentwicklung, deren Schwerpunkt auf Aus- und Weiterbildung lag.
1.3.1 Eingrenzungen des Personenkreises und der Themenfelder
Personalentwicklung beschäftigt sich mit Fragen der Entdeckung und Förderung von Berufungen, der Gewinnung von Mitarbeitern im Dienst der Seelsorge sowie deren Ausbildung und Fortbildung. Die Bereitstellung geeigneter Arbeitsbedingungen und Arbeitsstrukturen gehört im weiteren Sinne ebenso zum Themenfeld der Personalentwicklung wie Fragen der Personalbeschaffung und Personalauswahl.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Priester, Diakone und Pastoral- und GemeindereferentInnen, die in den deutschen Diözesen zumeist unter dem Begriff „Seelsorgepersonal“ geführt werden. Mit dem Begriff Seelsorger sind im Kontext dieser Arbeit kirchenamtlich autorisierte und durch theologische Ausbildung professionalisierte Frauen und Männer gemeint, die mit oder ohne Weihestatus, in Voll- oder Teilzeit im Dienst deutscher Diözesen stehen und „aufgrund einer besonderen Sendung oder aufgrund der Übertragung eines Kirchenamtes Aufgaben im Namen der Kirche erfüllen.“19 Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf Personalentwicklung von Seelsorgern in Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften. Innerkirchliche Professionalisierung bedeutete in den letzten Jahrzehnten fast immer Aufbau einer Handlungsstruktur außerhalb der traditionellen kirchlichen Basisstruktur, der Pfarrei. Der Schwerpunkt diözesaner Personalentwicklung bezieht sich überwiegend auf Kompetenzentfaltung von Theologen in Spezialgebieten (Klinikseelsorge, Eheberatung, therapeutische Zusatzqualifikationen). Der Etat diözesaner Fortbildungsabteilungen fließt überwiegend in Weiterbildungsmaßnahmen jenseits von Gemeindepastoral und territorialer Seelsorge.
Demgegenüber steht das Phänomen, dass „Kirche“ von den Menschen in ihrer Biographie und ihrem Erlebenshorizont überwiegend mit konkreten Pfarrern, mit Kaplan oder Gemeindereferentin assoziiert wird. Der Pfarrer bei der Hochzeit von Freunden oder der Beerdigung der Mutter, die Gemeindereferentin und ihr Gespür für die Kinder stehen mehr für katholische Kirche als Bildungsreferenten oder Verbandsvorsitzende. Befragt nach den Wahrnehmungen von und Wünschen an die Kirche beziehen sich viele Interviewpartner von Lebensweltstudien auf ihre Erfahrungen mit der konkreten Kirche und den Personen vor Ort. Kirche ist keine abstrakte Größe, sondern wird maßgeblich mit der Pfarrei und den dort agierenden Personen identifiziert.20 Die primären Assoziationen mit dem Begriff Kirche beziehen sich nicht auf den Bereich Caritas, Bildung oder Verbandsarbeit, sondern immer noch auf die konkreten Frauen und Männer in der Gemeindeseelsorge. Gemeinden haben eine zentrale Funktion hinsichtlich der Vermittlung von religiösem Bedürfnis und konkreter christlicher Praxis, weil in ihnen idealiter sowohl die Perspektive des Einzelnen und dessen Wünsche als auch die (wie immer geartete) Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft gelebt und erfahrbar wird. „Kirche vor Ort hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die buchstäbliche Wahrnehmung und die Glaub-Würdigkeit der Kirche als Ganzes. Dementsprechend ist die Pfarrei also nicht nur der Ort, an dem fundamentale Konflikte der Kirche in der Gegenwart sichtbar werden. Sie ist auch der Ort, an dem sie zu lösen sind.“21 Selbst Fernstehende beziehen sich in ihrem Wunsch oder ihrer Kritik an Kirche auf reales Leben vor Ort in Diakonie oder Liturgie. Das territoriale Prinzip der Kirche bedeutet auch Präsenz vor Ort und bewahrt davor, den „Zeichen der Zeit“ auszuweichen und sich in pastorale Nischen zurückzuziehen. In der Pfarrei Tätige sind in hohem Maße von gesellschaftlichen Veränderungen und pluralen Formen von Spiritualität betroffen: das Ausmaß an Rollendiffusion und Verunsicherung durch diözesane Umstrukturierungsprozesse ist in dieser Gruppe von Hauptamtlichen besonders hoch. Umsetzung von Personal- und Organisationsentwicklung und damit ausgelöste Professionalisierungsprozesse finden bisher in kirchlichen Subsystemen wie sozialen Einrichtungen, Verbänden oder Bildungshäusern statt. Personalentwicklung für die Hauptamtlichen in den klassischen Seelsorgefeldern im Territorium, die trotz Errichtung neuer Pastoralräume nach wie vor auf personale Präsenz vor Ort setzen, ist im Vergleich zu Mitarbeitenden in Spezialseelsorge oder in diözesanen Hauptabteilungen weit weniger professionalisiert und reflektiert.
Im Kontext dieser Arbeit geht es nur um die Situation römisch-katholischer Diözesen im deutschsprachigen Raum, die Theologen als hauptberufliche Mitarbeiter in der Seelsorge einsetzen. Studium und Ausbildung von Theologen als ein Teil von Personalentwicklung kommen nur am Rande zur Sprache. Dieser Bereich umfasst im Verhältnis zur Lebensarbeitszeit nur wenige Jahre und ist durch Universitäten, Priesterseminare und Mentorate in den deutschen Diözesen professionalisiert und personell gut aufgestellt. Der Focus liegt auf der gesamten Berufsbiographie hauptberuflicher Theologen im pastoralen Dienst. Nicht der im Verhältnis zum Berufsleben relativ kurze Zeitraum der Ausbildung oder Personalauswahl, sondern die viele Jahrzehnte umfassende Arbeitsbiographie der im Auftrag der Kirche tätigen Seelsorger steht im Mittelpunkt meiner Erörterungen.