Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe

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Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal - Christine Schrappe Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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beheimatet fühlen und oder zu ihr wegen einer überbordenden liturgischen Experimentierwilligkeit in Pfarreien und anderen kirchlichen Gemeinschaften Zuflucht nehmen. Daneben gibt es drittens eine große und stets größer werdende Zahl von Kirchenmitgliedern, die ihre Kirchenzugehörigkeit weitgehend passiv leben und vor allem oder nur an den Hochfesten und an den Knotenpunkten ihres Lebens unter Tatbeweis stellen und die deshalb vor allem passagerituelle Erwartungen an den Gottesdienst der Kirche herantragen. Viertens ist an jene Kirchenglieder zu denken, die zwar getauft sind, aber sich eigentlich in einem präkatechumenalen Zustand aufhalten und die man am ehrlichsten als getaufte Katechumenen bezeichnet. Nicht zu vergessen ist fünftens die bedrängend große Zahl von Randchristen und Fernstehenden, von Konfessionslosen und Ungetauften in der heutigen säkularen Gesellschaft, die dennoch relativ hohe Erwartungen an die gottesdienstliche „Dienstleistung“ der Kirche haben.“32 Wenngleich in allen genannten Erwartungsmilieus die Sehnsucht nach „Wandlung“ und „Verwandlung“ zu spüren ist – in je eigener Ausformung und Ausdrucksweise –, wissen der Priester und die Seelsorger vor Ort um die Unmöglichkeit der Befriedigung aller Bedürfnisse. Es gilt der Gefahr überzogener Partizipationsansprüche gegenüber Menschen mit geringer Kirchenbindung zu begegnen.

      Das breite Panorama der Spiritualitäten wird in jeder Eucharistiekatechese deutlich, wenn die Bandbreite der elterlichen Gestaltungsvorschläge vom esoterischen Naturerleben einer Nachtwanderung mit Baumverehrung bis hin zur verpflichtenden Teilnahme an wöchentlichen Rosenkranzandachten für Kinder reicht. Der einzelne Seelsorger kann sich nun entscheiden, von welcher Seite er Kritik, Lob, Unterstützung oder Widerstand im Gemeindealltag riskieren, ertragen und theologisch verantworten kann.33 Und immer sieht er sich unter dem Erwartungsdruck, Positionen vertreten zu müssen, die er selbst kaum verantworten kann.34

      Eine Pluralität der Kirchenbilder impliziert auch divergierende Vorstellungen von Leitung und Kirchlichkeit: Der Wunsch nach mehr Strenge und klarer Struktur steht neben der Forderung nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung. Der Seelsorger vor Ort sieht sich selbst innerkirchlich einer Vielzahl von Spiritualitäten, Leitungswünschen, Zukunftsvisionen und Ansprüche an Leitung gegenüber.35 Die Anforderungen „von außen“ werden pluraler und unübersichtlicher, die innerkirchlichen Zeichen stehen auf Straffung und Bündelung. Personalabbau, Rückgang finanzieller Ressourcen und gewandeltes Ehrenamt betreffen wieder direkt den Seelsorger als Person. Pfarreien werden zusammengeführt, diözesane Arbeitsstrukturen gestrafft, Abteilungen und Dienstleister innerhalb der Diözese werden aufgelöst oder umgelegt.

      Zielgruppenorientierung und Ständepastoral, mit der der gesellschaftlichen Pluralisierung begegnet wurde, werden nun zur „Altlast“ für die vor Ort Tätigen. Unter den Jungsenioren (im Unterschied zu den klassischen „Alten“, die am Seniorennachmittag zum Pfarrsaal gefahren werden, bis hin zu den Pflegebedürftigen) befinden sich zufriedene Vorruheständler, enttäuschte Langzeitarbeitslose, hochaktive Freiberufler, glückliche Großeltern, Singles, die nie verheiratet waren, tief religiöse, aber zunehmend auch kirchlich desinteressierte, vielleicht aber kulturell aufgeschlossene Menschen. Die Pluralisierung in diesem Fall bedeutet für die Pastoral, dass Schwerpunkte gesetzt werden müssen, dass Prioritäten und Posterioritäten zu bestimmen sind, dass im Sinne einer lebensraumorientierten Pastoral delegiert und kooperiert werden muss. Die Praxis zeigt aber, dass in Veränderungsprozessen derjenige, der notwenige Schritte (z.B. die Reduktion der Anzahl von Eucharistiefeiern oder die Zusammenführung von Katechesen im pastoralen Raum) proaktiv und zukunftsträchtig umzusetzen beginnt, dafür angefeindet und bestraft wird, im schlimmsten Falle als faul oder „untreuer Hirte“ gilt, der ohne Not die „Weide eng macht“ und die „Herde“ im Stich lässt.

      Viel mehr als Theologen in Referaten und Abteilungen eines Ordinariates klagen Territorialseelsorger über mangelnde Freiräume zum Experimentieren. Eine Gemeinde, die sich treu Jahr für Jahr an den vorgegebenen Diözesan- und Weltkirchenmottos „abarbeitet“36, ist irritiert und überfordert, wenn nun von der Diözesanleitung eine „Gemeindeanalyse“, „lebensraumorientierte Schwerpunktsetzungen“ und „Kooperationsvereinbarungen“ erwartet werden. Neben diesen Interventionen von außen ersinnen die praktischen Theologen als die von der Gemeinde freigestellten Denker ständig Modelle und neue Anregungen für die Gemeinden. „Dieses Hase-Igel-Spiel ermüdet auf Dauer jeden Praktiker.“37

      Die diözesanen Themenvorgaben des „zweiten Kirchenjahres“ halten in Bewegung, ohne zu bewegen. Das „zweite Kirchenjahr“ symbolisiert die Gemeinschaft mit der Diözese und der Weltkirche, birgt aber die Gefahr für dauerhaften „thematischen Stress“. Die bunt zusammengewürfelte, oft ohne innere Logik zusammengestellte Mischung der Plakate im Schaukasten, die gehäuften Aufrufe zu Spenden und Sonderaktionen im Pfarrbrief und schließlich die mühsam „gedehnten und gebogenen“ Predigten, die versuchen das vorgeschriebene Sonntagsevangelium mit dem jeweiligen Diözesanmotto zusammenzubinden, sind mehr Zeugnis von Überforderung und Hilflosigkeit, denn von lebendiger Vielfalt.

      Nicht nur die Praktiker in den Gemeinden verzweifeln an dem Vielerlei und manchmal auch an der Banalität der Alltagsanforderung. Auch Leitungsverantwortliche der Diözesen leiden unter dem Sog des Alltagsgeschäftes, dem operationalen Druck, unter welchem theologische Reflexion, das Entwerfen eines langfristigen Veränderungsmanagements und Lenkungsstrategien zu kurz kommen.

       2.2 Spiritueller Konsumismus und Synkretismus – Das Panorama neuer Spiritualitäten als Herausforderung an den Seelsorger

      „Innerhalb der offenen und keineswegs eindeutigen Begrifflichkeit ‚neue Religiosität‘ ist im Einzelnen zu differenzieren, z.B. in historischer Perspektive zwischen Religionen und Naturreligionen, in phänomenologischer Hinsicht zwischen religiösen Gemeinschaften und religionsartigen Erscheinungen, in theologischer Hinsicht zwischen Strömungen und Gruppen, die für sich selbst Christlichkeit beanspruchen und solchen, die sich dezidiert ohne Bezugnahme auf die christliche Tradition verstehen.“38

      Charakteristisch für postmodernes religiöses Konsumverhalten ist, dass einzelne religiöse Elemente und Rituale eklektisch aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen herausgenommen und in lebenspraktischer Hinsicht zeitweilig aufgegriffen und ausprobiert werden. „Die Postmoderne ist synkretistisch, man baut sich aus verschiedenen Elementen eine Patchwork-Religion zusammen. Wahrheit hat in der Postmoderne keinen hohen Wert. Das führt dazu, dass es beliebig ist, wie man sich religiös orientiert, es muss nur etwas bringen. Das führt dazu, dass man seine Lebensentscheidungen einer Wahrsagerin überantwortet, die aus Tarotkarten oder astrologischen Büchern herausliest, ob man mit einem Partner zusammenbleiben, Kinder bekommen oder nicht bekommen soll.“39

      „Was wir nicht alles sein sollen: ‚Sinnagentur für höhere Werte‘, ‚soziale Feuerwehr‘, die stets mit ihren Löschzügen zur Stelle ist, wenn es irgendwo brennt, ‚Feier-Institution‘, die den tristen Alltag verschönert und Glanz von oben auf die harten Realitäten des Lebens hier unten fließen lässt ...“40 Der Klinikseelsorger muss davon ausgehen, dass seine Begleitungsangebote wie Gebet und Krankensalbung von den Patienten oft gleichwertig neben anderen Angeboten aus dem psychosozialen Bereich ergriffen und „genutzt“ werden. Die Kurseelsorgerin weiß, dass ihr Angebot von religiösen Gesprächskreisen und Bibelabenden mit esoterischen und Heilungsund Wellnessprogrammen, pseudoreligiösen Beratungs- und Meditationsangeboten konkurriert. Von Gongmeditation bei Räucherstäbchen bis zu Heilungsritualen in der Gruppe, von Qi Gong über T’ai chi bis Feng Shui finden immer mehr Angebote in Kursprogrammen und zunehmend auch im Bildungsbereich christlicher Bildungshäuser gleichrangig ihren Platz.

      Der „Zwang zur Häresie“ (Peter Berger), der Druck ständig auswählen zu müssen, bestimmt die Denk- und Lebensform. Neue Religiosität bedeutet zudem, dass vieles miteinander verbunden und vermischt wird.41 Theistische und pantheistische Spiritualität weisen in Deutschland eine deutliche Nähe zu den Kirchen auf. Für Westdeutschland ist „ein stark durch die großen Kirchen geprägter, asymetrischer

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