Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Christine Schrappe
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Neben Phänomenen wie Globalisierung und virtueller Vergemeinschaftung lassen sich Phänomene der Ver-Szenung in Kultur und Religion ausmachen. „Charakteristische Merkmale der Sozialform ‚Szene‘ sind Partikularität, zeitliche Begrenzung, offene Zugehörigkeitsbedingungen, beschränkte Wahrheitsansprüche ... So spricht man von Psycho-Szene, Esoterik- und Okkultszene, Ufo-Szene, Meditationsszene etc.“74 Daneben findet sich auch das Phänomen fester, in sich abgeschlossener Gruppen, überregionaler geistlicher Gemeinschaften oder das Phänomen des „events“.
Für den Jugendseelsorger bedeutet dies, dass er sich auf immer neue „Szenen“ einstellen muss, dass z.B. religiöse Angebote nur auszugsweise und „szenenabhängig“ ankommen, abhängig von der je eigenen „Musikszene“ und den aktuellen Geschmacksmilieus. Der „Ort“ des Seelsorgers ist in diesen modernen Sozialgestalten schwer auszumachen. Die Frage nach der eigenen Verwurzelung in erweiterten Lebensvollzügen treibt Gemeindemitglieder und hauptberufliches Personal um. Der Pfarrer oder die Gemeindereferentin sollen in ihrer Person durch ihre Präsenz auch sichtbarer „Anker“ sein und „Heimat“ verkörpern. Für Jugendliche ist das personelle Angebot in der Jugendarbeit trotz Chatrooms und virtueller Communities unerlässlich. Kirche kann nicht auf die Verortung des Glaubens verzichten. Lokalität von Kirche impliziert auch die lokale Zuordnung von Personal. Es geht um lokale und temporale Verortung im Sinne kontinuierlicher Präsenz in relevanten Handlungsfeldern. Als soziokultureller Gegentrend zum Megatrend der entgrenzten Gemeinschaft in realen oder virtuellen Netzwerken ist auch der Wunsch nach Identität und Verankerung auszumachen.75 Die Stärkung des Ortes, die Sehnsucht der Menschen nach Verwurzelung in einer Gemeinschaft steht der Globalisierung und Erweiterung der Lebens- und Handlungsräume gegenüber. Die auf große Räume hin angelegte Reorganisation der pastoralen Strukturen, verbunden mit der Reduktion von Personal, erzeugt Widerstand bei alten und jungen Priestern: „Dafür bin ich nicht angetreten!“ Fast alle Pastoralpläne deutscher Diözesen basieren auf einer am Lebens- und Sozialraum orientierten Pastoral. Der Raum, in welchem sich soziale Beziehungen und identitäts- und sinnstiftende Aktivitäten des Individuums abspielen, ist nicht mehr durch Stadtpläne, pfarreiliche Karteikarten und Statistiken zu erfassen. Die Weite der Vorstellung vom pastoralen Raum eröffnet vielen pastoralen Mitarbeitenden neue Handlungsfelder und Spezialisierungen, verunsichert aber gerade Priester in ihrem Selbstverständnis als Pfarrer. Die berufsbiographisch tief verankerten Selbstbilder von Hirte und Weinbergsarbeiter sind kaum kompatibel mit erweiterten Lebensräumen und offenen Sozialräumen. Dazu kommt das Dilemma, dass pastorales Personal in der territorialen Seelsorge divergierende Pastoralkonzepte (Lebensraumerweiterung contra Verortung) im eigenen Tun vor Ort gestalten und Spannungen ertragen muss. Dem Wunsch zumindest traditioneller Christen nach personeller Beheimatung („Licht im Pfarrhaus“) ist kaum noch Rechnung zu tragen. Eigene allzu starke Verwurzelung ist weder möglich noch erwünscht. Fehlende persönliche Kontaktmöglichkeiten zur Mehrheit der Gemeindemitglieder bedeuten nicht nur eine Infragestellung des eigenen Auftrags und Selbstbilds, sondern Verlust geistiger und sozialer Heimat. Die Haushälterin kommt stundenweise und Verwandte wohnen kaum mehr im Pfarrhaus. Das „Single-Leben“ bereitet gerade im Alter zunehmend Schwierigkeiten. Die Suche nach dem „guten Ort“ für sich selbst gestaltet sich schwierig. Die Suche nach außergemeindlicher geistlicher und menschlicher Heimat (Freizeit) birgt die Gefahr, dass die Pfarrei zum reinen Dienst- und Arbeitsort wird. Der väterlich freundschaftliche Rückhalt des Presbyteriums durch den Ortsbischof76 erweist sich in der Praxis oft mehr als Enttäuschung denn als tragfähige Basis und Verankerung. Ein tragfähiges individuelles Netz von Mitbrüdern oder Berufskollegen muss vom Einzelnen geknüpft und aktiv gepflegt und gestaltet werden.
Die gesellschaftliche Akzeptanz der zölibatären Lebensform von Priestern nimmt ab und bedeutet weiteren Heimatverlust. „Nicht der Zölibat ist das Hauptproblem sondern seine Nichtunterstützung ... In einer solchen Lage fällt die Kunst, eheloses Leben befriedigend zu gestalten, auf die Person des Priesters zurück. Was früher ein kulturell getragenes Gut war, ist heute einsame Lebensleistung.“77 Es geht darum, die vielgestaltigen und widersprüchlichen Aspekte der eigenen Identität und die widersprüchlichen Ansprüche der Menschen und Strukturen zu integrieren und zu ordnen. Dazu gehört auch die Integration der pastoralen Entwicklungen in die eigene Biographie und das Entwerfen neuer beruflicher Identitäten. Zeit- und Selbstmanagement dienen nicht nur pastoraler Qualitätssicherung, sondern werden in der Pastoral zur Überlebensfrage.
Beim diözesanen Personaleinsatz ist abzuwägen, an welchen gesellschaftlichen Orten Kirche von ihrem Auftrag her mit welcher personalen Kompetenz präsent sein muss und wie Präsenz erlebbar und kommunizierbar bleiben kann. Mitarbeiter fühlen sich von der Diözesanleitung im Stich gelassen, wenn das Arbeitsgebiet und die Führungsverantwortlichkeit zu groß oder ungenau gehalten sind. Nicht wenige Pfarrer wissen nicht, für welche Mitarbeiter sie selbst direkte Personalverantwortung haben und wie diese wahrzunehmen ist. (Mitarbeitergespräche mit Pfarrsekretärinnen, Fortbildung und spirituelle Angebote für Erzieherinnen, Konfliktgespräche u. a.). Personaleinsatzplanung im pastoralen Bereich darf nicht nur die Bedürfnisse der Gemeindemitglieder im Blick haben, sondern muss bedenken, wie der Erhalt und die Pflege einer spirituellen, psychisch-sozialen und äußeren Heimat (Wohn- und Rückzugsort) für den Seelsorger möglich ist, um psychische und physische Gesundheit zu erhalten.
Eine Pastoral der Vernetzung meint sowohl ein pastorales Grundangebot vor Ort als auch die Errichtung von „Leuchttürmen“ und pastoralen Zentren, in denen Kirche präsent ist, wo geistliches Leben intensiv gepflegt wird, Angebote gebündelt und verdichtet werden. Entscheidend wird sein, ob die Gemeinde vor Ort und pastorale Zentren auch für Haupt- und Ehrenamtliche selbst zu Kraftorten gemeinsamen Betens und sozialen Ankerpunkten werden können. Die Gruppe der aktiv das pastorale Leben (haupt- und ehrenamtlich) tragenden und dafür verantwortlichen Christen wird sich wohl immer deutlicher als die „Primärgruppe“ des priesterlichen Einheitsund Leitungsdienstes des Pfarrers herauskristallisieren. Für das spirituelle Niveau einer Pfarrei ist es wichtig, dass die Gruppe der faktisch Verantwortlichen auch selbst so etwas wie ein „kommunikatives Glaubensmilieu“ bildet. Wenn Kirche heute weniger Kirche im Ort als Kirche am Ort ist, so hat Theologie zu klären, wo heute die jeweiligen relevanten Orte und Handlungsfelder von Kirche sind. Personalentwicklung muss sich in diesen Diskurs einschalten mit der Frage, wie kirchliches Personal an diesen Orten und in diesen Handlungsfeldern selbst Raum zum Arbeiten, aber auch zum Leben und zum Beten findet.
2.6 Pfarreiseelsorge zwischen Expertokratie und Dilettantismus
Die Kompetenzanforderungen an das Seelsorgepersonal sind gestiegen: Hohe fachliche Professionalität wird von den Dienstleistern einer funktional gegliederten Gesellschaft erwartet, hohe Authentizität und personale Glaubwürdigkeit sind speziell in der Kirche gefordert. Naivität, fachlicher Dilettantismus und mangelnde Professionalität seitens hauptamtlicher Kirchenrepräsentanten auf Ebene der Bistumsleitung wie auf Ebene der erlebbaren Ortspfarrei werden in einer Dienstleistungsgesellschaft geächtet.
Große Unklarheit herrscht jedoch darüber, welche und wie viel Professionalität erforderlich ist, was Professionalisierung angesichts zunehmender Heterogenität und Differenzierung pastoraler Handlungsfelder speziell für die Gemeindearbeit bedeutet und wie diese umgesetzt werden soll. Aus einem reichen Fortbildungsangebot von EDV-Kursen über Projektmanagement bis hin zu Sterbebegleitung kann der Einzelne wählen, ohne genau zu wissen, welche Kompetenzen seitens des Arbeitgebers vorrangig erwünscht sind und abgerufen werden sollen. Das pfarreiliche Handlungsfeld ist nicht nur der fruchtbare Weinberg, sondern wird zum „Kraut- und Rübenacker“, wenn Prioritäten und Posterioritäten nicht festgelegt werden. Die Wahlfreiheit des Einzelnen bezüglich seines Kompetenzzuwachses kann für die Gesamtorganisation zu einem konzeptlosen „Gießkannenprinzip“ werden.
Gemeinde- oder Pastoralreferenten in der Pfarrei dem in immer neuen Varianten wiederholten Vorwurf aus, als Experte